Rauchfreies Neuseeland: Die letzte Generation
Seit dem Jahreswechsel gilt in Neuseeland das restriktivste Tabakgesetz der Welt. Das Bewusstsein dafür, wie verheerend sich das Rauchen auf die Gesundheit auswirkt, steigt aber weltweit.
Die Zahlen sind alarmierend: Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sterben jedes Jahr acht Millionen Menschen an den Folgen des Tabakkonsums – das sind mehr, als die Covid-Pandemie bisher an Menschenleben gefordert hat. Bei der Verbrennung von Tabak entstehen rund 250 giftige chemische Verbindungen, von denen Dutzende krebserregend sind. Dennoch ist der Verkauf von Zigaretten bis heute in allen Ländern der Welt legal.
Die Zahl der Raucher:innen sinkt allerdings. Und es gibt einen globalen Trend zu mehr Restriktionen. Neuseeland steht dabei an der Spitze: Als erstes Land hat es das Konzept der «rauchfreien Generation» gesetzlich verankert. Seit Beginn des Jahres ist es verboten, allen 2009 oder danach Geborenen Zigaretten zu verkaufen – und das lebenslang. Ausserdem muss die Industrie den süchtig machenden Nikotingehalt in ihren Produkten drastisch verringern. Und die Zahl der Verkaufsstellen für Tabakprodukte wird von 6000 auf nur noch 600 im ganzen Land reduziert.
Nikotin bleibt legal
In der neuseeländischen Bevölkerung ist gemäss Umfragen die Zustimmung für das neue Gesetz gross. Schon frühere Regierungen hatten Massnahmen gegen den Tabakkonsum beschlossen: 1995 wurde den Tabakkonzernen das Sponsoring verboten, 2004 wurden alle Schulen, Restaurants, Bars, Fabriken und Büros für rauchfrei erklärt. Inzwischen haben viele Gemeinden das Rauchen auch in öffentlichen Parks, an Bushaltestellen und anderen Orten im Freien verboten. Auch sind die Steuern immer weiter angehoben worden; eine Packung Marlboro etwa kostet heute umgerechnet rund 21 Franken.
Das neue Gesetz richtet sich nicht gegen die Droge Nikotin, sondern gegen den Tabakrauch. E-Zigaretten mit Nikotin dürfen deshalb weiter ungehindert verkauft werden. Möglicherweise sind es gerade die neuen Möglichkeiten, das Nervengift ohne weitere schädliche Stoffe zu konsumieren, die die Verschärfung durchsetzbar machten. Auch dürfte das gestiegene Gesundheitsbewusstsein im Zusammenhang mit der Coronapandemie zu diesem Schritt beigetragen haben.
Massgeblich geprägt hat Neuseelands neues Tabakgesetz Ayesha Verrall – und das nicht von ungefähr. Die heute 43-jährige Infektiologin machte sich bei Ausbruch der Coronakrise einen Namen, als sie die Regierung aufforderte, mehr Menschen zu testen und das Kontakttracing auszuweiten. Im Oktober 2020 wurde sie auf der Liste der Labour-Partei ins nationale Parlament gewählt und sogleich als Ministerin in die Regierung berufen.
Im Dezember 2021 stellte Verrall den Plan für ein rauchfreies Neuseeland vor. Während der Parlamentsdebatte schilderte sie, wie sie früher als Ärztin mit Patient:innen zu tun hatte, die aufgrund ihres Tabakkonsums nur noch röchelten und dennoch weiterrauchten. Mit den Stimmen von Labour, den Grünen und der Maori Party, die sich für die Rechte der Indigenen einsetzt, gelang es ihr, das Gesetz durchs Parlament zu bringen. «Tausende Menschen werden länger leben», versprach sie. Und das Gesundheitssystem werde jährlich umgerechnet rund drei Milliarden Franken einsparen können, «indem es weniger Krebserkrankungen, Herzinfarkte und Hirnschläge behandeln und weniger Glieder amputieren muss».
Die beschlossenen Massnahmen basierten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, betont Verrall. So belegen verschiedene Studien, dass ein verringerter Nikotingehalt in Zigaretten dazu führt, dass mehr Menschen mit dem Rauchen aufhören. Auch die starke Reduktion der Verkaufsstellen sollte die Zahl der Konsument:innen senken. Das Konzept der tabakfreien Generation basiert auf der Einsicht, dass achtzig Prozent der Tabakkonsument:innen im Alter von unter 18 Jahren mit dem Rauchen beginnen und die restlichen zwanzig Prozent spätestens mit 26. Gelinge es also, Jugendliche und junge Erwachsene davon abzuhalten anzufangen, würden sie später kaum das Bedürfnis nach Zigarettenkonsum verspüren.
Signal an andere Länder
Für die Wissenschaftler:innen Chris Bostic, Eduardo Bianco und Marita Hefler, die in der Tabakprävention arbeiten, ist das neue Tabakgesetz ein Signal, dass nun das «endgame», die Endphase, im Kampf gegen die Tabakindustrie begonnen habe, wie sie im «Pan American Journal of Public Health» schreiben. Neuseeland werde damit zum ersten Land der Welt, das den Status rauchfrei erlange. Sie prognostizieren, dass bald mehr Länder dem Beispiel folgen werden. Nachdem Neuseeland und Irland vorgespurt hatten, gilt inzwischen in 67 Ländern ein Rauchverbot in Restaurants und Bars. Das Konzept der tabakfreien Generation würde derzeit in ähnlicher Form in Spanien, Dänemark, Irland, Malaysia und Singapur geprüft. Auf dem Weg zu einer rauchfreien Gesellschaft befänden sich zudem auch Australien, Bangladesch und die USA, schreiben die Forscher:innen.
Dass es rund um den Globus immer schärfere Gesetze zur Eindämmung des Tabakwarenverkaufs und gegen das Passivrauchen gibt, liegt aber auch an der WHO. Deren Generalversammlung hatte 2003 das «Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums» (FTCT) verabschiedet. Seither treffen sich Gesundheitspolitiker und Expertinnen aus der ganzen Welt regelmässig, um die Fortschritte zu überprüfen und zu diskutieren. «Wenn Tabak ein Virus wäre, würde schon längst eine Pandemie ausgerufen», sagte WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus bei der Eröffnung der letzten FTCT-Konferenz. Die Schweiz ist übrigens das einzige europäische Land, das die Übereinkunft bisher nicht ratifiziert hat – was wohl daran liegt, dass mehrere globale Tabakkonzerne hier ihren Hauptsitz haben.
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