Tabakinitiative: Schweiz, Paradies für die Tabakmultis

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Nirgends in Europa findet die Zigarettenindustrie so gute Bedingungen vor wie in der Schweiz. Damit das so bleibt, zeigt die Branche wenig Skrupel.

In der Schweiz ist die Tabakindustrie ein Machtfaktor. Drei der wichtigsten Tabakkonzerne haben ihre globale oder regionale Zentrale hier: Philip Morris International (PMI) und British American Tobacco (BAT) sind in Lausanne, Japan Tobacco International (JTI) hat seinen Hauptsitz in Genf. Damit ist die Branche ein wichtiger Wirtschaftszweig – auch deswegen lehnt das überparteiliche «Komitee gegen Werbeverbote» die Volksinitiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» ab.

Über die von Gesundheitsorganisationen lancierte Initiative wird am 13. Februar abgestimmt. Die Volksinitiative will für Minderjährige sichtbare Tabakwerbung verbieten. Dies gilt etwa für Kinospots oder am Kiosk. Zulässig wäre dann nur noch Tabakwerbung, die ausschliesslich für Erwachsene sichtbar wäre, etwa in Mailings. Bundesrat und Parlament setzen der Initiative das neue Tabakproduktegesetz entgegen. Damit soll Tabakwerbung am Kiosk, in der Presse oder im Internet weiterhin erlaubt bleiben, ebenso das Sponsoring von Anlässen, deren Zielpublikum nicht Minderjährige sind. Zu den Gegner:innen der Initiative gehören die FDP, die SVP und die Mitte-Partei sowie der Gewerbeverband und der Verband Schweizer Medien.

«Das ist ein unverhältnismässiger Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Wirtschafts- und Informationsfreiheit», kritisiert etwa der Zürcher Nationalrat Philipp Kutter (Mitte) vom Nein-Komitee. Kutter argumentiert auf der gleichen Linie wie die Branche. Philip Morris findet die Initiative «überflüssig» und «radikal», sie sei eine Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit. «Dieser Ansatz ebnet den Weg für weitere Werbeverbote für Produkte, die als ungesund eingestuft werden, wie beispielsweise Alkohol, Fett, Zucker oder Autos mit Verbrennungsmotoren», behauptet das Unternehmen auf Nachfrage.

Schwache Regeln, tiefe Steuern

Für die Tabaklobby steht die Gesundheit der Bürger:innen offensichtlich hintenan. «Es gibt keinen Grund, wieso der Verfassungsartikel der Wirtschaftsfreiheit wichtiger sein sollte als der Verfassungsartikel zum Schutz der Gesundheit», hält Kris Schürch von der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz und vom Ja-Komitee den Argumenten der Tabakfreund:innen entgegen. Er ist Mitautor des «Global Tobacco Industry Interference Index», einer Studie, die untersucht, wie Regierungen gegen die Einflussnahme der Tabakindustrie vorgehen. Die Schweiz landete im vergangenen Jahr auf dem 79. Platz von 80 untersuchten Staaten (auf dem letzten Platz befand sich die Dominikanische Republik). «Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, das die internationale WHO-Rahmenkonvention über die Tabakkontrolle nicht ratifiziert hat», sagt Schürch. «Die Tabakindustrie profitiert in vielfacher Hinsicht von der Schweiz: Hier findet sie hochqualifizierte Arbeitskräfte, das regulatorische Umfeld ist schwach, die Steuern sind tief. Der perfekte Standort für Produktion und Konzernführung.» Felix Gutzwiller, ehemaliger Zürcher FDP-Ständerat und Präventionsmediziner, erklärt: «Es gibt seit langem eine gut organisierte Lobbyarbeit von Tabakvertretern, die sich der Freiheitsrhetorik bemächtigt haben. Dabei geht das enorme Schadenspotenzial vergessen, das regulatorische Eingriffe des Staates rechtfertigt.»

Um nur einige Beispiele der engen Verflechtung von Politik und Industrie zu nennen: SVP-Nationalrat Gregor Rutz ist Präsident der Vereinigung des schweizerischen Tabakwarenhandels. Philipp Kutter vom Nein-Komitee ist Präsident der Schweizerischen Lauterkeitskommission. Das Selbstregulierungsorgan des Werbefachverbandes traf 2005 mit dem Verband Swiss Cigarette eine Vereinbarung über Marketing- und Werberichtlinien. Es «darf keine Werbung in gedruckten Publikationen gemacht werden, es sei denn, es gibt eine realistische Grundlage für die Annahme, dass mindestens achtzig Prozent der Leserschaft der betreffenden Publikation Erwachsene sind.» Das klingt restriktiv – tatsächlich aber erlaubt es den Zigarettenherstellern, in den reichweitenstärksten Publikationen zu werben, etwa im «Blick» und in «20 Minuten».

Sponsoring fürs EDA

Dabei sterben laut dem Bundesamt für Gesundheit jährlich in der Schweiz rund 9500 Menschen an den Folgen des Qualms. Mit rund zwei Millionen Raucher:innen gehöre der Tabakkonsum zu den grössten Gesundheitsproblemen. Und die meisten Raucher:innen beginnen ihre Sucht als Jugendliche, so das Bundesamt für Statistik. Im Jahr 2017 gaben bei den 15- bis 24-Jährigen 32 Prozent an, zu rauchen. «Die Schweiz scheint mehr am Wohlergehen der Tabakkonzerne interessiert zu sein als an der Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger», hiess es in der 2020 veröffentlichten Umfrage der Tobacco Control Scale, des europäischen Netzwerks zur Raucherprävention. Denn das Land habe eine sehr schwache Gesetzgebung zur Tabakwerbung.

Damit das auch so bleibt, treten die Tabakfirmen im ganzen Land als Sponsoren und Unterstützer auf. 2019 sorgte die Verbindung zwischen Philip Morris und dem Aussendepartement (EDA) für Schlagzeilen. Bei der Eröffnung der schweizerischen Botschaft in Moskau war PMI Sponsor. 2020 wurde bekannt, dass der Konzern auch Sponsor des Schweizer Pavillons an der Weltausstellung in Dubai sein sollte. Als die öffentliche Kritik deswegen nicht nachliess und auch die WHO eine Mahnung aussprach, nahm das EDA Abstand von der Zusammenarbeit. Japan Tobacco wiederum unterstützt Pro Senectute in Luzern oder den Verein für Such- und Rettungshunde Redog; rund dreissig Organisationen haben in den vergangenen Jahren hierzulande vom Konzern Spenden erhalten. In welcher Höhe, will JTI nicht angeben. Das Rote Kreuz erhält seit 2011 Gelder von der JTI Foundation, die etwa ein Siebtel des Jahresbudgets ausmachen – noch: Denn das Schweizerische Rote Kreuz will keine Tabakgelder mehr annehmen.

Doch wie passen die lebensrettende Arbeit etwa von Redog und die Gelder der Tabakindustrie zusammen? «Redog ist auf Spendengelder angewiesen, um die Ausbildung unserer Hundeteams sicherzustellen und in den Einsatz zu gehen», antwortet Michèle Tanner, Geschäftsführerin der Organisation. Sie versichert: «Die Stiftung verlangt und erhält für die Unterstützung keinerlei Gegenleistungen, keine Visibilität und nimmt keinen Einfluss auf unsere Arbeit.» Hingegen präsentiert JTI die Partnerschaft auf der Website der eigenen Stiftung.

Wenn Spenden nicht mehr helfen, kommen andere Praktiken zum Zug. Ein 2019 von der Eidgenössischen Kommission für Tabakprävention veröffentlichter Bericht zeigt die Strategien der Industrie auf: Leugnen der Gefahr, indem zum Beispiel Wissenschaftler:innen für tabakfreundliche Gutachten bezahlt werden. Und aggressiver: das Relativieren von Schäden, Einschüchterungsversuche, Säen von Zweifeln bei unabhängigen Studien. So hat PMI 2017 Wissenschaftler:innen der Universität Lausanne unter Druck gesetzt, weil diese im Fachblatt «Jama» eine Studie veröffentlichten, in der ein PMI-Produkt kritisiert wurde. Der Konzern forderte, dass die Untersuchung nicht mehr verbreitet werden dürfe, sie habe «erhebliche methodische Einschränkungen», so seien nicht validierte Geräte benutzt worden, beharrt PMI noch heute auf Nachfrage. Die Forscher:innen aber blieben dabei, ihre Studie sei richtig, und zogen diese nicht zurück.