Qualmende Schweiz: «Süchte nicht mit Verboten bekämpfen»

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In kaum einem europäischen Land ist die Tabaklobby so einflussreich wie in der Schweiz. Schon eine strenge Umsetzung des geplanten Werbeverbots wäre ein Erfolg.

Zuschauer bei einem Fussballspiel der Schweizer Nationalmannschaft 1939 in Bern.
Früher konnten sich die Tabakkonzerne noch auf ihre Stammkunden verlassen: Bei einem Fussballspiel der Schweizer Nationalmannschaft 1939 in Bern. Foto: Keystone


«Die Schweiz scheint mehr am Wohlergehen der Tabakkonzerne interessiert zu sein als an der Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger»: Der Satz stammt aus der 2020 veröffentlichten «Tobacco Control Scale» der Vereinigung der europäischen Krebsligen, die die Bemühungen der Länder zur Bekämpfung des Rauchens misst. Auch zwei Jahre später steht die Schweiz schlecht da. In der aktualisierten Auflistung liegt sie an 36. und damit zweitletzter Stelle. 2004 hatte Bern zwar das Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Eindämmung des Tabakkonsums unterzeichnet. Doch die Tabak- und E-Zigaretten-Industrie muss ihre Werbeausgaben noch immer nicht melden, das Abkommen ist also bis heute nicht ratifiziert.

Nach sechsjähriger Behandlung hat das Parlament 2021 endlich ein neues Tabakproduktegesetz verabschiedet, in dem auch diese Meldepflicht verankert werden soll. Das neue Gesetz sieht zudem vor, dass Tabakprodukte und E-Zigaretten nicht mehr an unter Achtzehnjährige verkauft werden dürfen – bislang ist die Schweiz neben dem Kosovo das einzige Land in Europa, in dem das nicht schon landesweit gilt. Auch Tabakwerbung auf Plakaten, in Kinos, auf Sportplätzen und im öffentlichen Raum soll verboten werden.

Nachdem aber vor knapp einem Jahr die Volksinitiative «Ja zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Tabakwerbung» angenommen wurde, muss das Gesetz bereits wieder revidiert werden. Die Initiative verlangt, dass Tabakwerbung auch überall dort verboten wird, wo Minderjährige sie sehen könnten – also auch in der Presse und im Internet.

Die Macht der Konzerne

In allen anderen Kategorien der Tobacco Control Scale schneidet die Schweiz jedoch weiterhin kläglich ab. So etwa sind die Tabaksteuern, gemessen am Lohn- und Kostenniveau, tief. Derweil die WHO einen Steueranteil von mindestens 75 Prozent des Einzelhandelspreises empfiehlt, liegt er in der Schweiz bei 60 Prozent. Zwar will der Bundesrat neu auch E-Zigaretten besteuern; den Vorschlag aber, die Steuern für sämtliche Tabakwaren anzuheben, lehnt er ab. Auch findet sich in seiner Botschaft zur Umsetzung der Initiative zum Werbeverbot kein Vorschlag, wie die Förderung der Gesundheit von Minderjährigen zusätzlich gestärkt werden könnte – obwohl auch das eine Forderung der Initiative war.

Die Folgen all dieser Unterlassungen: Derweil der Anteil an Raucher:innen in Neuseeland oder Australien inzwischen auf 15 Prozent gesenkt werden konnte, liegt er in der Schweiz seit zehn Jahren konstant bei etwa 27 Prozent. Von den 15- bis 24-Jährigen rauchten hierzulande in den vergangenen Jahren gar über 30 Prozent.

Eine Senkung des rauchenden Bevölkerungsanteils auf 15 Prozent bis 2030: Dieses Ziel hat sich die Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz vorgenommen. Dabei plädiert sie unter anderem für eine deutlich höhere Besteuerung der multinationalen Tabakkonzerne, die hierzulande ihren Hauptsitz haben. Deren Einflussnahme auf die Politik ist allerdings gross: Immer wieder versuchen bürgerliche Parlamentarier:innen, mögliche Entscheide zuungunsten der Tabakkonzerne zu torpedieren.

So reichte etwa Mitte-Nationalrat Philipp Matthias Bregy im vergangenen September eine Interpellation ein, in der er für eine weniger strenge Regulierung von E-Zigaretten, Snus oder Nikotinbeuteln plädierte – mit der Behauptung, diese Produkte würden vielen Nikotinabhängigen den Weg zum Nichtrauchen ebnen. Dabei berief er sich auf methodisch höchst fragwürdige Studien, die von der Tabakindustrie finanziert worden waren. Es ist die gleiche Strategie, die die Tabaklobby vor Jahren mit «leichteren» Zigaretten verfolgt und sich so als Partnerin der öffentlichen Gesundheit aufgespielt hatte.

Diesmal ist sie bis auf Weiteres erfolglos: In seinem Vorentwurf zur Umsetzung der Initiative «Kinder ohne Tabak», der wohl ab kommendem Frühling im Parlament beraten wird, hält der Bundesrat am umfassenden Verbot der Werbung für sämtliche Tabak- und Nikotinprodukte, die sich an Minderjährige richtet, fest. Das sei überaus erfreulich, sagt die grüne Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber. Was dabei allerdings fehle, sei die von der Initiative ebenso geforderte Stärkung der Prävention: «Hier muss noch nachgebessert werden.»

Nutzlose Verbote

Verkaufsverbote, wie sie in Neuseeland vorgesehen sind, lehnt Prelicz-Huber aber ab: «Verbote machen solche Produkte für Jugendliche nur noch attraktiver. Zudem führen sie zur Stärkung des Schwarzmarkts und damit auch zu weniger gut kontrollierten Stoffen.» Da spreche sie aus ihrer Erfahrung als ehemalige Jugendarbeiterin: «Süchte kann man nicht einfach mit Verboten bekämpfen.» Viel wichtiger seien eine starke Prävention und sachliche Aufklärung.

SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen, wie Prelicz-Huber Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, findet den neuseeländischen Weg zwar durchaus interessant: «In der Schweiz haben wir aber schon rein geografisch andere Voraussetzungen.» So sei es unkompliziert, Tabakprodukte einfach im nahen Ausland zu kaufen. «Und angesichts dessen, dass drei Tabakkonzerne hier ihren Sitz haben und politisch stark lobbyieren, wäre eine Mehrheit für ein solches Verbot kaum vorstellbar.» So gesehen sei schon eine möglichst strenge Umsetzung der Tabakinitiative ein wichtiger Teilerfolg.

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Kommentare

Kommentar von Christoph S.

So., 08.01.2023 - 19:06

Ich finde es sehr schade, dass die WOZ zum Thema E-Zigaretten sehr undifferenziert lediglich "methodisch höchst fragwürdige Studien, die von der Tabakindustrie finanziert worden waren" erwähnt und verschweigt, dass es sehr wohl unabhängige, methodisch nicht fragwürdige Studien gibt, welche nicht nur eine extrem tiefere Schädlichkeit der E-Zigaretten im Vergleich zu den Glimmstängeln belegen, sondern ihnen die beste Effizienz als Ausstiegshilfe attestieren, siehe dazu z.B. die Cochrane Studie der Universität Oxford.

Auch sehr zu empfehlen ist der Film "A Billion Lives" von Aaron Biebert.

Meines Erachtens und aus persönlicher Erfahrung sind E-Zigaretten eine riesige Chance für die Harm Reduction!

A propos Harm Reduction: Ich verstehe grundsätzlich nicht, wieso im Tabakbereich immer mehr Verbote gefordert werden, nach dem man z.B. bei den harten Drogen endlich eingesehen hat, dass diese nicht funktionieren.

Kommentar von Igarulo

Di., 10.01.2023 - 00:30

Mit dem Rauchen aufzuhören kann man, indem man aufhört. Am Aufhören ist noch niemand gestorben.