Satanic Panic: Littenheider Vertuschungs­versuche

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Ein Bericht des Kantons Thurgau bestätigt, dass in der Clienia Littenheid eine Verschwörungserzählung grassierte. Die psychiatrische Privatklinik versuchte offenbar, die Missstände unter den Teppich zu kehren.

Traumapatient:innen waren in den vergangenen Jahren stark gefährdet, falsch behandelt zu werden: So lässt sich der Untersuchungsbericht des Kantons Thurgau zu den Zuständen in der Clienia Littenheid zusammenfassen. Nach den Medienberichten zum Einfluss der sogenannten Satanic Panic auf die Traumastationen der psychiatrischen Klinik (siehe WOZ Nr. 8/22) hatte eine Privatperson eine Aufsichtsbeschwerde gegen die Einrichtung und einen dort tätigen Arzt eingereicht. Der Kanton beauftragte daraufhin die Zürcher Anwaltskanzlei Lexperience mit der Aufarbeitung.

Was der Bericht ausserdem ans Licht bringt: Die Clienia versuchte sich mit einem selbst in Auftrag gegebenen Gutachten von den Vorwürfen reinzuwaschen. Einem Gutachten notabene, das die konkreten Vorwürfe zur Satanic Panic gar nicht untersucht hat. Die wenigen kritischen Stellen zur allgemeinen Behandlungsqualität habe die Klinik dann auch noch aus dem internen Gutachten zu streichen versucht. Der kantonale Bericht wirft der Klinikleitung zudem vor, sie habe verlangte Dokumente immer wieder zurückgehalten. Kurz: Die private Klinik tat offenbar alles, um die Missstände auf ihren Traumastationen unter den Teppich zu kehren.

Chefärztin entlassen

Die von der Satanic Panic beeinflusste Verschwörungserzählung rund um «rituelle Gewalt» und «Mind Control» wird von einigen wenigen Fachleuten verbreitet, die in ihrem Bereich aber einen gewissen Einfluss haben, insbesondere von manchen Expert:innen für die sogenannte dissoziative Identitätsstörung (DIS). Sie besagt, es gebe im Untergrund operierende satanistische Netzwerke, die ihre Opfer nicht nur auf grausamste Weise missbrauchten, sondern auch verschiedene Anteile von deren Persönlichkeit abspalten würden, um diese dann für ihre Zwecke zu programmieren und unter totale Kontrolle zu bringen.

In Littenheid waren von Januar 2019 bis Mai 2022 insgesamt 33 Patient:innen mit einer DIS-Diagnose in Behandlung. Die Anwaltskanzlei Lexperience hat stichprobenartig acht der Dossiers untersucht – und kommt zum Schluss: Der Verschwörungsmythos «Rituelle Gewalt / Mind Control» habe systematisch Eingang in die Behandlungen gefunden. Der Experte stellt schon bei der Diagnostik «Unsorgfältigkeiten» fest. Es gebe zudem Hinweise darauf, dass in den Therapien Erinnerungen an «rituelle Gewalt» suggestiv erfragt und unkritisch wie Fakten behandelt worden seien. Unter dem Strich hält der Gutachter fest: Das praktizierte methodische Vorgehen sei «fachlich nicht korrekt und vermutlich sogar krankheitsfördernd» gewesen. «Die Regeln der ärztlichen Kunst wurden bei der Stichprobe nicht eingehalten.»

Die WOZ hatte letzten Februar darüber berichtet, welche Auswirkungen es haben kann, wenn Therapeut:innen von den abstrusen Verschwörungsmythen überzeugt sind – und sie ihren Patient:innen einpflanzen. Gerade psychisch ohnehin labile Menschen drohen dadurch den Bezug zur Realität komplett zu verlieren. Oft brechen Betroffene den Kontakt zu Familie und Freund:innen ab und geraten in ein fatales Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Therapeut:innen: Sie denken, diese würden ihnen als Einzige glauben, und leben in ständiger Angst vor den vermeintlich omnipräsenten Täter:innen.

In Littenheid habe sich mindestens ein Arzt in das Konstrukt verrannt, hält das Gutachten fest. Mindestens eine Person habe er an Tagen, an denen gemäss der Verschwörungserzählung besonders oft Rituale stattfinden, mit einer Unterbringung «geschützt». Seine Faszination für das Thema habe zudem wohl auch einige weitere Mitarbeiter:innen der Klinik beeinflusst.

Der Kanton Thurgau hat inzwischen Konsequenzen gezogen: Er hat dem Arzt die Berufsbewilligung entzogen, einen disziplinarischen Verweis und diverse Bussen ausgesprochen sowie verschiedene Strafanzeigen eingereicht. Der Kanton hat zudem aufsichtsrechtliche Massnahmen eingeleitet, die sich an den Empfehlungen des Berichts orientieren. Details dazu gibt er derzeit nicht bekannt. Die Behörde äussert sich auch nicht zur Frage, wie sie die Aufarbeitung der Geschehnisse in Littenheid überwachen will. Die Klinik wiederum hat die Chefärztin entlassen und einen Umbau der Traumastationen angekündigt. Zum vom Bericht gemachten Vorwurf des Vertuschungssversuchs schreibt die Clienia, man habe unter den «sehr knapp bemessenen Zeitvorgaben» alles getan, «um die Fülle der verlangten Unterlagen zusammenzustellen und unsere Mitarbeitenden für Gespräche mit den Anwälten zur Verfügung zu stellen».

Wächter und Schreckgestalten

Die Frage der Aufarbeitung stellt sich über Littenheid hinaus: Ein Bericht des Kantons Bern etwa hat betreffend Satanic Panic kürzlich auch der Klinik Münsingen ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Das Grundproblem liegt jedoch bei der Fachwelt, die mit den Theorien der einschlägigen DIS-Expert:innen bislang zu unkritisch umgegangen ist. Diese haben ihre Lehren an verschiedenen Weiterbildungsinstituten verbreitet, Fragmente der Theorie und nebulöse Begrifflichkeiten wie «rituelle Gewalt» konnten sich unhinterfragt in der Fachwelt festsetzen.

Im August 2021 hielt mit Claudia Fliss etwa eine der dogmatischsten Verfechter:innen der Mind-Control-Verschwörungsideologie in Littenheid einen Vortrag. Im kantonalen Untersuchungsbericht schreibt ein von Lexperience hinzugezogener Psychiatriearzt dazu: «Auf 65 Folien entfaltet Fliss eine mystische Grusel-Märchenwelt mit Phantasiefiguren (Wächter, Programmierinnen und Oberprogrammierern, Knotenpersönlichkeiten), Schreckgestalten (Mörder, Roboter, Kultpersonen) und einer völlig aus der Luft gegriffenen Erzählung von allmächtigen Tätern […]. Nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht, sondern schon alleine mit gesundem Menschenverstand ist der Inhalt des Referats als grober Unfug zu bezeichnen […].»

Die Aufräumbereitschaft scheint nach wie vor gering: Zwar betonen Fachverbände, man dulde keine Verschwörungsmythen. Doch konkreter will etwa die deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie nicht Stellung nehmen. Auch das Interdisziplinäre Netzwerk Psychotraumatologie Schweiz (INPS) reagiert nicht auf die Frage der WOZ, warum man noch immer eine Netzwerkgruppe «Gegen Rituelle Gewalt» auf der Website aufführe.

Das Weiterbildungssystem im psychotherapeutischen Bereich ist extrem unübersichtlich, ein eidgenössisches Anerkennungsverfahren fehlt. Das dürfte dazu beigetragen haben, dass ein geschlossener DIS-Expert:innenkreis seine Theorien in Umlauf bringen konnte. Der Bericht kritisiert die enge Verflechtung der Traumastation mit dem Schweizer Institut für Psychotraumatologie (SIPT). Dieses zertifizierte die Klinik und führte Supervisionen für das Klinikpersonal durch. Gleichzeitig gaben sowohl Bernd Frank, der den Traumabereich in Littenheid aufgebaut hat und an die Verschwörungserzählung glaubt, als auch Matthias Kohlmann, der im Sommer entlassene Oberarzt der Trauma­­station, am SIPT Kurse.

Aufgrund des Berichts lässt sich die Klinik nicht mehr vom SIPT zertifizieren. Dieses weist jedoch jegliche Mitverantwortung von sich. Das Institut teilt mit: «Littenheid ist bezüglich der Behandlung von Patient:innen mit einer dissoziativen Identitätsstörung von anderen Ausbildungsinstitutionen beeinflusst.»* Das SIPT lege keinen Fokus auf DIS oder rituelle Gewalt.

* Korrigenda vom 9. Januar 2022: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion wurde das SIPT fälschlicherweise wie folgt zitiert: «Littenheid ist aufgrund von anderen Einflüssen in die Verschwörungsecke abgedriftet.» Wir möchten für die unsorgfältige Wiedergabe des mündlichen Zitats um Entschuldigung bitten.