Strafjustiz in Italien: Gnadenlose Härte

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Ein umstrittener Artikel im italienischen Strafvollzugsgesetz erlaubt Haftbedingungen, die manche Jurist:innen als Folter bezeichnen. Seit mehr als zwei Monaten befindet sich der linke Häftling Alfredo Cospito deswegen im Hungerstreik.


Seit Mai letzten Jahres lebt der 55-jährige Anarchist Alfredo Cospito im Hochsicherheitsgefängnis von Bancali bei Sassari, im Nordwesten Sardiniens, in fast vollständiger Isolation. Ende Oktober trat er aus Protest dagegen in einen Hungerstreik, den er mit aller Konsequenz fortsetzen will.

Unmittelbare Verantwortung für seine Haftbedingungen trägt Marta Cartabia. 2019/20 wurde sie als erste Frau Präsidentin des italienischen Verfassungsgerichts, von Februar 2021 bis Oktober 2022 war sie parteilose Justizministerin im Kabinett von Mario Draghi. Im Mai 2022 unterschrieb Cartabia ein Dekret, durch das Cospito vier Jahre verschärfte Haftbedingungen auferlegt wurden. Offiziell begründet wurde das mit «zahlreichen Botschaften», die Cospito aus dem Gefängnis «an seine anarchistischen Genossen» geschickt und in denen er diese aufgefordert habe, «den Kampf gegen die Herrschaft fortzusetzen, insbesondere mit gewaltsamen Mitteln, die er für effektiver hält».

Dauernd überwacht und isoliert

Cospitos «Botschaften» gibt es tatsächlich. Es handelt sich um Artikel und Briefe, die in anarchistischen Medien veröffentlicht wurden und damit frei zugänglich waren, keinesfalls um geheime Kassiber oder verschlüsselte Anschlagspläne. Die Delikte, für die Cospito verurteilt wurde, liegen etliche Jahre zurück: Am 3. Juni 2006 explodierten nachts zwei Paketbomben vor einer Carabinieri-Rekrutenschule im Piemont; verletzt wurde niemand. Am 7. Mai 2012 wurde in Genua Roberto Adinolfi, Manager des Atomkonzerns Ansaldo Nucleare, durch Schüsse in die Beine verletzt. Cospito, der sich zu dieser Tat bekennt, wurde dafür zu zehn Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Eine Beteiligung an den Paketbombenanschlägen streitet er bis heute ab. Verurteilt wurde er dennoch auch dafür, zunächst zu zwanzig Jahren Haft.

Dem Kassationshof, der dritten Instanz, schien das Urteil noch zu mild. Im April 2022 wertete er die Paketbomben als «Anschlag gegen die Sicherheit des Staates». Darauf steht nach Artikel 285 des Strafgesetzbuchs lebenslange Haft ohne die Möglichkeit vorzeitiger Entlassung. Dem Urteil folgte Cartabias Dekret gegen Cospito: Es stützt sich auf Artikel 41-bis des Strafvollzugsgesetzes, der die Rechte von Gefangenen massiv einschränkt. Sie können von anderen Häftlingen isoliert werden, auch beim Hofgang, sie werden 24 Stunden am Tag überwacht, Besuch gibt es nur von Verwandten, Gespräche werden aufgezeichnet, die Post überprüft. Die Verfassungsmässigkeit des Artikels ist umstritten; eingeführt wurde er 1986, um einsitzende Mafiabosse an der Fortsetzung ihrer Geschäfte zu hindern. Seit 2002 kann er auch gegen Gefangene angewandt werden, die wegen Terrorismus oder Untergrabung der staatlichen Ordnung verurteilt sind.

Folter durch Umerziehung

Die Zwangsmassnahmen werden damit begründet, dass Cospito der Chefideologe und damit aus dem Gefängnis heraus Anführer der anarchistischen Gruppierung Federazione Anarchica Italiana / Fronte Rivoluzionario Internazionale (FAI/FRI) sei – was diese umgehend dementierte. Cospito selbst wehrt sich gegen den Versuch, ihn nicht nur lebenslang wegzusperren, sondern auch zum Schweigen zu bringen: «Als man sah, dass ich vom Gefängnis aus weiter für die anarchistische Presse arbeitete, beschloss man, mir mit 41-bis für immer den Mund zu stopfen», erklärte er Anfang Dezember. Ziel seines Hungerstreiks ist nicht nur die Aufhebung seiner Isolationshaft, sondern auch die Abschaffung des Artikels 41-bis und der lebenslangen Zwangsverwahrung («ergastolo ostativo»). Ähnlichen Haftbedingungen wie Cospito waren Ende 2021 in Italien mehr als 700 Gefangene unterworfen, die allermeisten davon Mitglieder diverser Mafiaclans, aber auch Linksradikale aus bewaffneten Gruppen in der Tradition der Roten Brigaden.

Juristische Initiativen gegen Artikel 41-bis sind allesamt gescheitert, sowohl beim italienischen Verfassungsgericht als auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dabei heisst es in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention: «Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.» Ähnlich liest sich Artikel 27 der italienischen Verfassung. «Die Strafen dürfen nicht aus Behandlungen bestehen, die dem Menschlichkeitsempfinden widersprechen, und müssen die Umerziehung des Verurteilten anstreben», heisst es dort. Artikel 41-bis will diese «Umerziehung» durch den Entzug von Rechten ermöglichen: Wer sich anpasst, Reue zeigt und mit den Behörden kooperiert, kann auf Vergünstigungen hoffen, auch auf vorzeitige Entlassung; wer sich verweigert, bleibt in Haft und dort Bedingungen unterworfen, die den Gerichten oder den Gefängnisverwaltungen geboten erscheinen. Durch Zwangsmassnahmen den Willen von Gefangenen brechen – manche Jurist:innen sehen damit die Grenze zur Folter erreicht, wenn nicht überschritten.

Unter Italiens neuer rechter Regierung ist allerdings nicht auf eine Verbesserung der Situation zu hoffen. Und auch die Zivilgesellschaft lässt sich kaum gegen Artikel 41-bis mobilisieren: Bei den meisten Solidaritätsdemos für Alfredo Cospito in mehreren italienischen Städten war die anarchistische Community weitgehend unter sich, konfrontiert mit gewaltigen Polizeiaufgeboten.