Machtpolitik: Bauer Bärtschis Diagnose

Nr. 9 –

Unter Markus Ritter, der vielleicht bald Bundesrat wird, hat der Bauernverband im Parlament so viel Macht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Warum wirken dann so viele Landwirt:innen, als stünden sie mit dem Rücken zur Wand? Besuch bei einem Praktiker, der eine Erklärung dafür hat.

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Ziegen auf dem Biohof Tempikon
Harmonisch wie der Bauernverband? Ziegen auf dem Biohof Tempikon. Von dort stammen alle Fotos auf diesen Seiten. Foto: Nils Lucas

Die «Macht der Bauern» ist ein Lieblingsthema der Journalist:innen hierzulande. Falls Bauernverbandspräsident Markus Ritter am 12. März Bundesrat wird, wird es noch mehr Artikel darüber geben. Es gibt sie seit Jahrzehnten, und sie tönen immer gleich.

Aber von welchen «Bauern» reden wir? Und von welcher Macht?

«Einen besseren Direktzahlungs-Verteidigungsminister als Ritter kann man sich nicht vorstellen», sagt Biobauer Res Bärtschi. «Er hat die Besitzstandswahrung perfektioniert. Sachthemen sind in den Hintergrund getreten. Das bedaure ich.»

Bärtschi (61) wohnt bei Lützelflüh im Emmental. Sein Vater hat schon 1973 auf Bio umgestellt, jetzt macht sein Sohn Lukas weiter, die Eltern Res und Christine sind ins Stöckli gezogen. Man kennt Bärtschi in der Branche, weil er sagt, was er denkt – ohne diese bei Landwirt:innen oft spürbare Angst, zu deutlich zu werden, weil es die Nachbar:innen stören könnte. «Im konventionellen Bereich kann man mit rabiaten Massnahmen eingreifen, aber ein so hoher Einsatz an Chemie ist fragwürdig», sagte er etwa 2022 im Interview mit der Zeitung «Schweizer Bauer» – als die Stimmen immer lauter wurden, die meinten, man müsse jetzt wegen Putins Krieg so intensiv wie möglich produzieren. «Wie viel Energie der Kunstdünger braucht, Gas und Öl, das merken wir ja jetzt», konterte Bärtschi. In Onlinediskussionen scheut er sich nicht, unter seinem vollen Namen zu schreiben.

«Bio hat nicht für alles eine Lösung», sagt er an diesem Nachmittag im Stöckli. «Wir versuchen bloss, die grössten Fehler nicht zu machen.» Holzhäuser, Obstbäume, rot gefleckte Kühe mit Hörnern im Laufstall: Die Emmentaler Landidylle vor dem Fenster trügt. Etwas vom Ersten, was er im Gespräch erwähnt, ist seine Besorgnis über die Macht von Donald Trump und Elon Musk – und dass die meisten seiner Berufskolleg:innen noch nicht verstanden hätten, wie viel Manipulation es im Internet gebe.

Bärtschi war Präsident der «Bärner Bio Bure» (heute Bio Bern) und im grossen Vorstand, dem «Parlament» des Berner Bauernverbands. Bei Bio Suisse war er zwanzig Jahre mitverantwortlich für die Biorichtlinien. Dort hatte er viel mit dem Bundesamt für Landwirtschaft zu tun und erhielt Einblick in politische Prozesse. Beim Berner Bauernverband liess er sich auf Kontroversen ein. «Wer Karriere machen will, muss die Linie des Verbands verfolgen.» Bärtschi wollte keine Karriere machen. Nach Sitzungen hörte er oft von Kolleg:innen: «Gut, hast du es gesagt.»

Der Wendepunkt

Lange war die «Macht der Bauern» vor allem eine Behauptung der Medien. Trotz der vielen bäuerlichen Politiker:innen im Parlament: Politisch war der Bauernverband drei Jahrzehnte lang in der Defensive. Ab den Neunzigern krempelte die Schweiz ihre Agrarpolitik um: Weg von Preisstützungen und Absatzgarantien, hin zu Direktzahlungen, die nicht an die Produktionsmenge gebunden sind, sondern Leistungen wie Landschaftspflege abgelten sollen. Der Bauernverband und seine Vertreter:innen im Bundeshaus bekämpften die meisten Reformen – und verloren fast immer gegen eine Allianz aus Linken, FDP und Teilen der CVP, die «Mehr Markt und mehr Ökologie» propagierten. Der heutige SP-Bundesrat Beat Jans war ein prominenter Vertreter dieser Stossrichtung (darum ist es absurd, ihn zum «Bauernblock» zu zählen).

«Mehr Markt und mehr Ökologie» klingt ziemlich widersprüchlich und war es auch. Die Landwirtschaft sollte ökologischer werden, aber bei Verarbeitung, Handel und Konsum wollte man den «freien Markt» spielen lassen. Immerhin erhielten dank der Reformen viel mehr Tiere Auslauf, die Düngerüberschüsse sanken (wenn auch nicht weit genug), und vielfältige Kulturlandschaften konnten wenigstens teilweise erhalten werden.

In den zehner Jahren nahm das Interesse an Agrarthemen zu. Diverse agrarpolitische Initiativen wurden lanciert: von einem Bauern, der Kühe mit Hörnern fördern wollte. Von Veganer:innen, die sich an der Massentierhaltung störten. Von einer Fitnesstrainerin, die sich über Gewässerverschmutzung Sorgen machte. Die Fair-Food-Initiative der Grünen, die 2018 an die Urne kam, fand Sympathien weit in bäuerliche Kreise hinein. An einer Veranstaltung dazu in Bern gab sich Markus Ritter offen für Veränderung. Er liess sich sogar zu einem Seitenhieb gegen die SVP hinreissen.

Nach allem, was seither passiert ist, stellt sich die Frage: War Ritter damals noch ein anderer? Oder einfach ein cleverer Opportunist, der dem Publikum sagte, was es hören wollte?

Die Initiativen für Ernährungssouveränität, Fairfood und Kuhhörner gingen verloren. Doch die grosse Polarisierung begann erst mit den beiden Pestizid-Initiativen. 2020 lancierten die Umweltverbände die Kampagne «Agrarlobby stoppen!». Sie war offensiv und plakativ, umgesetzt von der Zürcher Agentur Feinheit. Auch viele, die sich für eine Verständigung zwischen Landwirtschaft und Naturschutz einsetzten, empfanden sie als kontraproduktiv. Markus Ritter stilisierte die Kampagne später zum Wendepunkt, der für ihn «das Fass zum Überlaufen» gebracht habe.

Traktor auf dem Biohof Tempikon
Zum Ackern und Heuen: Traktor auf dem Biohof Tempikon. Foto: Nils Lucas

Den Kontrollverlust verdrängen

«Seither redet er nicht mehr mit den Umweltverbänden», sagt Res Bärtschi. «Und das ist immer der erste Schritt in den Untergang: wenn man nicht mehr miteinander redet. Bauern und Umweltverbände sollten möglichst viel Kontakt haben!»

Ritter, der Machtpolitiker, persönlich verletzt? Viel eher sah er wohl endlich die Chance, aus der Defensive zu kommen. 2021 half die FDP dem Bauernverband, die neuste Agrarreform zu verhindern, dieser sagte dafür Nein zur Konzernverantwortungsinitiative. Nach einem teils gehässigen Abstimmungskampf wurden beide Pestizid-Initiativen abgelehnt. Vor zwei Jahren schlossen sich Bauernverband und Wirtschaftsverbände dann offiziell zu «Perspektive Schweiz» zusammen (siehe WOZ Nr. 2/23). Die so lange von den Medien beschworene «Macht der Bauern» ist real geworden. Jetzt hat der Bauernverband meistens die Mehrheit im Parlament.

Aber wie Mächtige wirken die meisten Bäuer:innen, wenn sie in der Öffentlichkeit sichtbar werden, nicht. Eher gehetzt, gestresst, gereizt.

Bärtschi hat eine Erklärung dafür. Die Macht im Bundeshaus sei trügerisch. Im Alltag stünden viele mit dem Rücken zur Wand: «Mit dem Klimawandel wird die Witterung immer extremer. Damit kommen ständig neue Probleme auf uns zu: invasive Neophyten, neue Schadinsekten. Und jedes Jahr sind weniger Pflanzenschutzmittel zugelassen.» Er nennt ein Beispiel: «Wir Biobauern durften unser Maissaatgut noch nie chemisch beizen. Also hatten wir immer Probleme mit Krähen, die es frassen. Die Konventionellen haben uns belächelt – jetzt merken sie selber, wie es ist, wenn Pflanzenschutzmittel wegfallen.» Er habe auch schon vor mehr als zehn Jahren dafür plädiert, robustere Kartoffelsorten zu züchten. «Viele Kollegen lachten – man kann ja spritzen. Aber letztes Jahr war es so nass, dass sie es auch mit Spritzen nicht mehr in den Griff bekamen.»

Der Kontrollverlust ist real. Ihm ehrlich zu begegnen, könnte zum Beispiel heissen: den Austausch zwischen Forschung und Praxis verstärken, robuste Sorten züchten, bodenschonende und wassersparende Anbaumethoden fördern – und den Konsument:innen den Klimanotstand, der ihre Ernährung betrifft, begreiflich machen. Doch die meisten «Bauernpolitiker», allen voran SVP-Präsident und Klimawandelverharmloser Marcel Dettling, tun das Gegenteil. «Probleme ‹vernütige›, damit man sich nicht damit befassen muss», nennt es Bärtschi. «Einfache Lösungen sind verlockender als komplizierte. Trump macht es vor: Er schafft die Umweltauflagen einfach ab – Problem gelöst.»

Landwirtin Jo Bucher beim Obstbaumschneiden
«Mensch, Tier und Pflanze verbinden sich, Natur und Kultur kann   man nicht klar trennen»: Landwirtin Jo Bucher beim Obstbaumschneiden. Foto: Nils Lucas

Geschlossen in Bern, misstrauisch daheim

So reihen sich viele Bäuer:innen in die grosse Allianz der Verdränger:innen ein. Psychologisch ist das schlüssig: «Alles wird betoniert. Man ist in der Sackgasse und verteidigt, was man hat, lässt nur noch so viel Veränderung zu, wie sich nicht verhindern lässt. Und hat eine Riesenangst, unter die Räder zu kommen, wenn man Schwäche zeigt.» Der Geschlossenheit im Verband steht im Alltag oft eine Misstrauenskultur gegenüber. Früher gab Bärtschi den Milchkühen im Winter etwas Kraftfutter. Irgendwann hörte er damit auf und teilte das der Landi mit. «Da ging das Gerede los, bei wem ich es jetzt wohl heimlich kaufe.»

Vergrössern, spezialisieren, investieren: Viele seien diesem Trend gefolgt. «Wenn ich sehe, was für Ställe gebaut werden, wie das Futter herumgekarrt wird … Der Bauernverband hat den Vogel abgeschossen mit seinen Argumenten für den Autobahnausbau: ‹Unsere Tiere und unser Futter stehen im Stau› – ja, das ist nicht gelogen!»

Bärtschis versuchen, es anders zu machen. «Unsere Strategie ist ‹low input, high output›: mit möglichst wenig möglichst viel rausholen. Unsere Kühe geben auch ohne Kraftfutter noch ordentlich Milch. Aber sie stellen keine Rekorde auf und gewinnen nicht an Ausstellungen.» Ihn stört das nicht: «Milchproduktion ist kein Skirennen.» Das gelte auch für den Ackerbau: «Die Maschinen mancher Nachbarn sind sicher fünfmal schwerer als unsere. Das macht die Böden kaputt, besonders in nassen Jahren wie 2024.» Den Betrieb in mindestens so gutem Zustand an die nächste Generation weitergeben, wie man ihn übernommen hat: Mit dieser Philosophie ist Bärtschi aufgewachsen. «Heute können das viele nicht mehr von sich sagen. Die Probleme auf die nächste Generation abzuschieben, ist wieder beliebt», sagt er und meint längst nicht nur seine Branche.

Inzwischen ist die Bauernverbandsmehrheit im Parlament spürbar: Neue Biodiversitätsflächen im Ackerbaugebiet, eigentlich bereits beschlossen, wird es nicht geben. Ebenso versuchen SVP und Co., das neue Instrument Digiflux zur digitalen Erfassung von Dünger und Pestiziden zu verhindern. Und die Wirtschaftskommissionen beider Kammern befürworten eine Motion des Walliser Mitte-Nationalrats Philipp Bregy, die fordert, dass die Schweiz EU-Zulassungen für Pestizide automatisch übernehmen soll.

Was würde Bärtschi als Erstes anpacken, wenn er Agrarminister wäre? «Wir kommen nicht darum herum, über die hohen Tierzahlen, Futterimporte und Nährstoffüberschüsse zu reden. Ich würde nicht gleich mit Verboten kommen, sondern die Betriebe unterstützen, andere Strategien zu entwickeln.» In diese Richtung geht auch die bereits eingereichte Ernährungsinitiative. «Die Probleme, die sie anspricht, kann man nicht wegdiskutieren.»

Bärtschi beobachtet, dass auch konventionelle Landwirt:innen vermehrt Biomethoden wie die mechanische Unkrautbekämpfung anwenden. «Auch wenn sie die Pestizide verteidigen. Was sie sagen und was sie tun, klafft auseinander.» Ein Paradox – aber doch auch ein Erfolg für die Umwelt.

Er hoffe, dass in der Agrarpolitik wieder Leute ans Ruder kämen, die mehr Weitsicht mitbrächten. «Mehr Offenheit und einen Fokus auf die wirklichen Probleme. Diese Leute gibt es durchaus. Im aktuellen Klima sagen sie einfach nichts mehr.»

Biolandbau 1: «Landwirtschaft ist total queer!»

In grosser Distanz zur Machtpolitik des Bauernverbands gehen viele Praktiker:innen neue Wege. Zum Beispiel die Frauen vom Biohof Tempikon in Baldegg LU.

«Es ist ein Vorteil, lesbisch zu sein!», sagt Jo Bucher. Immer wieder hat sie miterlebt, dass heterosexuelle Landwirtinnen in der klassischen Bäuerinnenrolle landen, besonders wenn sie Kinder bekommen. «Moni und ich, wir machen beide alles. Wir können die Arbeit ja nicht nach Geschlecht aufteilen. Wir tun es eher nach Kompetenzen.»

Jo Bucher leitet einen Biobetrieb im Luzerner Seetal. Ihre Partnerin Moni Rimensberger ist zu sechzig Prozent angestellt, arbeitet daneben als Grafikerin und lebt einen Teil der Zeit in St. Gallen. Die beiden halten fünfzehn Milchkühe mit Hörnern, zwölf Ziegen, zwei Pferde, pflegen etwa 160 Hochstammbäume, dazu kommt ein kleiner Acker. Der Hof liegt direkt am Baldeggersee, am Horizont stehen Rigi und Pilatus. Buchers Weg war nicht geradlinig: Sie studierte Kunstgeschichte und Gender Studies in Basel, bevor sie beschloss, den elterlichen Hof weiterzuführen.

«Warum ist Ernährung kein Schulfach, so selbstverständlich wie Mathe?», fragt die 44-Jährige. Sie hat gerade den Erntebericht der Biofarm-Genossenschaft gelesen, an die sie Obst und Getreide liefert, und ist etwas frustriert. Seit Jahren fördert Biofarm Pflanzen wie Hirse oder Buchweizen. Sie wachsen gut unter Biobedingungen, sind nahrhaft und gesund – aber verkaufen sich schlecht. «Wofür bauen wir etwas an, wenn die Konsument:innen nicht offen dafür sind? Und wie lässt sich das ändern? Es müsste schon in der Schule anfangen.»

Das Feld und der Teller sind getrennte Domänen, die eine traditionell männlich, die andere weiblich. So wie Bäuerin und Landwirt:in in der Schweiz bis heute zwei verschiedene Berufe sind. Bäuerinnen sind für Haushalt, Garten und Vermarktung zuständig, Landwirt:innen für Feld und Stall. Bucher und Rimensberger haben den früheren «Männerberuf» gelernt – und sind doch auch Bäuerinnen, denn sie führen einen Haushalt und verarbeiten hofeigene Lebensmittel. Rimensberger stellt aus der Ziegenmilch verschiedene Käsesorten her, denkt auch darüber nach, Fleisch selbst zu verarbeiten. «Der Hof ist ein schönes Experimentierfeld für uns», sagt Bucher. «Aber finanziell geht es nur auf, wenn wir sehr bescheiden leben.»

Der Frauenanteil unter den Landwirt:innen ist in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Dass Frauen auch die Betriebsleiter:innenschule besuchen, um selber Lehrmeisterin zu werden, wie es Bucher getan hat, ist aber immer noch selten. Sie bildet nur Frauen aus – konsequent. Jedes Jahr kommt eine neue Lernende auf den Hof. «Ich habe mich auch schon gefragt, ob ich damit Männer diskriminiere. Aber das Buch ‹Revolution der Verbundenheit› von Franziska Schutzbach hat mich bestätigt: Wir müssen Frauenzusammenhänge stärken!»

Dass Biolandbau manchmal mit konservativen Ideen von «Natürlichkeit» in Verbindung gebracht wird, stört Bucher. «Ich empfinde Landwirtschaft als etwas total Queeres: Mensch, Tier und Pflanze verbinden sich, Natur und Kultur lassen sich nicht klar trennen.» Sie nennt als Beispiel die Obstbäume: «Sie würden ganz anders wachsen, wenn wir sie nicht pflegen würden. Die Tiere gäbe es nicht in der heutigen Form, und auch wir wären andere ohne sie – diese Beziehung ist wertvoll und bereichernd.»

Sie kennt die Kritik an der Tierhaltung und hat sich doch dafür entschieden, auch weil sie mit Wiederkäuern steile Hänge nutzen kann: «Die Zusammenarbeit mit diesen Wesen liegt mir. Aber ich weiss, dass es ein Machtverhältnis ist.» Dem Druck in der Branche, grösser und schneller zu werden, versucht sie sich zu verweigern: «Wir investieren viel in die Mensch-Tier-Beziehung und brauchen bei der Futterernte viel länger als die Nachbarn mit ihren grossen Maschinen. Dafür versuchen wir, unsere Tätigkeit so zu gestalten, dass es Freude macht. Sonst würde ich die hohe Arbeitsbelastung – oft auch -überlastung – kaum durchhalten.»

Biolandbau 2: Gut zum Boden und zu sich selbst

Immer mehr Landwirt:innen orientieren sich an den humusfördernden «Regenerativ»-Prinzipien. Ein kleiner Hof im Thurgau zeigt, dass das auch vegan möglich ist. 

«Bleibt realistisch, und bleibt nett zu euch!», sagt Dani Knobel. «Schont eure Böden, aber auch eure eigenen Ressourcen, sonst lauft ihr ins Burn-out.» Knobel steht im Kursraum einer Sporthalle im aargauischen Windisch. Sechs Männer und zwei Frauen hören ihm zu. Der Gemüsegärtner hat sich hier eingemietet, um Wissen über sein Fachgebiet weiterzugeben: Gemüsebau, der so sorgfältig wie möglich mit dem Boden umgeht. «Regenerativ» heisst die Strömung, die viele Landwirt:innen dazu gebracht hat, ihre Praxis radikal zu ändern (siehe WOZ Nr. 20/20). Zu ihren Prinzipien gehört, dass auf den Feldern ganzjährig Pflanzen wachsen. Sie bringen Nährstoffe und Humus in den Boden. Gepflügt wird grundsätzlich nie, weil das die Bodenstruktur zerstört und viele Kleinlebewesen tötet.

Manche «Regenerativen» kommen ideologisch, gar sektiererisch daher. Davon grenzt sich Knobel ab: «Je besser ich den Boden verstehe, desto mehr wird mir bewusst, dass ich Fehler mache. Zum Beispiel, wenn ich ihn bearbeite, obwohl es tendenziell zu nass ist. Aber manchmal ist das unvermeidlich, gerade in feuchten Jahren wie 2024.» Ein schlechtes Gewissen helfe da nicht weiter.

Auf den Tischen stehen Plastiksäcke mit Erdklumpen. Alle Teilnehmer:innen haben Bodenproben von ihren Arbeitsorten mitgebracht. Dass sie selbst Profis sind, ist ihren präzisen Fragen anzuhören. In der Pause umringt ein Teil der Gruppe den Lehrer und diskutiert weiter.

Im Winterhalbjahr machen Kurse und Beratungen einen grossen Teil von Knobels Arbeit aus. Geplant war das nicht: «Ich gab erste Kurse und merkte, dass mir das liegt. Dann kamen immer mehr Leute mit Fragen auf mich zu.» Der Vierzigjährige war einst Polygraf, dann lernte er Gemüsegärtner. Vieles davon stellt er heute infrage: «Der Boden wird als totes Ding betrachtet, als Substrat, das man mit Nährstoffen füllen muss. Auch im Biogemüsebau geht es teils in diese Richtung, einfach mit Biomitteln.» Sein Regenerativ-Wissen hat er sich mit Fachpublikationen, Weiterbildungen, Podcasts und Webinaren angeeignet, oft aus den USA: Die Methoden wurden im grossflächigen Ackerbau entwickelt. «Mit Kursen und Beratungen kann ich mehr bewirken, als wenn ich unser kleines Höfli optimiere», sagt Knobel.

Das «Höfli» liegt in einer versteckten Ecke des Thurgaus: auf zwei Seiten Wald, auf der dritten thront wie eine Burg die Wallfahrtskirche St. Pelagiberg. Dani Knobels Partnerin Judita Hättenschwiler ist hier aufgewachsen, die Familie hat zwei Kinder. Hättenschwiler leitet eine Waldspielgruppe und ist Teil des Hofteams.

Rundherum sind die Wiesen auch im Winter knallgrün: Die meisten Landwirt:innen setzen auf intensive Tierproduktion und bringen entsprechende Güllemengen aus. Knobel und Hättenschwiler hingegen ernähren sich seit zwanzig Jahren vegan und halten abgesehen von ein paar Laufenten und Katzen keine Tiere. Der regenerative Gemüsebau funktioniere problemlos ohne Mist und Gülle, sagt Knobel: Das Heu von den Wiesen kommt als Mulch auf die Felder, schützt dort vor Unkraut und düngt den Boden, ohne Umweg über den Kuhmagen.

Mit einem Kollegen hat Knobel den Arbeitskreis «regenerativ-Ostschweiz» gegründet. «Wir tauschen uns sehr offen aus, auch über Fehler, die wir gemacht haben.» Das habe er an Biotreffen sonst nicht erlebt: «Da sehen sich viele als Konkurrenten, wollen ihre Geheimrezepte nicht verraten.» An Regenerativ-Treffen kämen bis zu siebzig Leute: «Lange nicht alle sind bio, aber alle wollen besser mit dem Boden umgehen. Diese Gruppe gibt mir wirklich Hoffnung.»

Nett mit sich selbst zu bleiben: Gelingt Dani Knobel das, was er propagiert? Ja, sagt er. «Mulchgemüsebau ist arbeitsintensiv, aber vor allem im Frühling. Im Sommer kann ich sogar kurz Ferien machen. Und das Wochenende gehört der Familie, da arbeite ich nie – ausser beim Heuen.»