Fotografie: Kunst als kontrollierte Explosion

Nr. 4 –

Mit der ältesten Fototechnik der Welt auf der Spur eines vergessenen Krieges: Marco Frauchiger verstrickt die Altlasten der Bombardierung von Laos in eine vielschichtige fotografische Auseinandersetzung.

Landschafts-Fotoaufnahme aus Laos mit einer Loch­kamera (1)
«Verletzten Landschaften», die der Fotograf Marco Frauchiger in Laos mit einer Lochkamera aufgenommen hat.
Landschafts-Fotoaufnahme aus Laos mit einer Loch­kamera (2)

Schwerter zu Pflugscharen, Spiesse zu Sicheln, so steht es in der Bibel. Laotische Landarbeiter:innen würden bei solch frommen Wünschen wohl erst einmal abwinken und sagen: Klingt gut – aber bei uns ist auch das Pflügen und Mähen lebensgefährlich. Nach wie vor liegen Millionen von Blindgängern im Boden des südostasiatischen Landes, eine mörderische Hinterlassenschaft des Flächenbombardements durch die US-Armee in den 1960er und 1970er Jahren (vgl. «Bombenterror bis in die Gegenwart» im Anschluss an diesen Text). Wer in Laos brachliegendes Agrarland bestellen möchte, läuft stets Gefahr, sich mit dem eigenen Pflug in die Luft zu jagen, ein Auge oder ein Bein zu verlieren oder das Leben.

Und doch: Schwerter zu Pflugscharen! Oder zumindest: Bomben zu Suppenlöffeln. Mit den entschärften Sprengkörpern hat sich in Laos ein florierender Altmetallhandel entwickelt. Auch kunsthandwerklich werden die Bombenfragmente weiterverwertet: Man schmiedet sie zu Kochgeschirr, zu Werkzeugen, gar zu Schmuckstücken für die Tourist:innen um. In solchen Alltagsgegenständen bleibt der Bombenkrieg erinnert, nützlich aufgehoben, eingebettet in eine irgendwie befreiende Recyclinglogik.

einfache Loch­kamera, gebaut aus einer alten Napalmbombe
Einfache Loch­kamera, gebaut aus einer alten Napalmbombe.
Landschafts-Fotoaufnahme aus Laos mit einer Loch­kamera (3)
Landschafts-Fotoaufnahme aus Laos mit einer Loch­kamera (4)
Landschafts-Fotoaufnahme aus Laos mit einer Loch­kamera (5)
Landschafts-Fotoaufnahme aus Laos mit einer Loch­kamera (6)

Gebrochene Erleuchtung

Das ist der historische Hintergrund, das reale Vorspiel zu «how to dismantle a bomb», der multimedialen künstlerischen Arbeit des Berner Fotografen Marco Frauchiger. Auch er sucht jenseits von Metalldetektoren und Blindgängerspezialist:innen nach Wegen, wie die alten Bomben unschädlich gemacht, wie die Gewaltgeschichte von Laos wenigstens ein Stück weit symbolisch befreit und in eine Zukunft überführt werden könnte.

Inspiriert von den praktischen Gegenständen, die in Laos aus Bombenfragmenten angefertigt werden, liess Frauchiger bei einem einheimischen Handwerker eine Lochkamera bauen – aus den Überresten einer Napalmbombe. Diese Camera obscura, das älteste und einfachste Kameramodell der Fotografiegeschichte, montierte er auf ein Stativ und fotografierte damit Landschaften, Menschen, auch Bombenkrater.

ein Löffel
Vier Alltagsgegen­stände, die in Laos aus entschärften Spreng­­körpern gefertigt wurden: ein Löffel,
ein Messerschaft
ein Messerschaft,
ein Reiskocher
ein Reiskocher,
eine Petroleumlampe
und eine Petroleumlampe.

In der Dunkelkammer der Camera obscura werden die Landschaften von heute quasi künstlich von der Vergangenheit eingeholt und überlagert. Frauchiger nennt dieses Kapitel «Bringing light into the dark». Die Funktionsweise der Lochkamera – Licht fällt durch ein winziges Loch ins Innere der dunklen Metallbox und projiziert dort die Ansicht vor dem Loch auf die Rückwand – liefert die Metapher. Aber die angesagte Erleuchtung wird dabei gleich wieder gebrochen. Denn die so entstandenen Bilder sind nicht richtig dekodierbar, wahren ihr Geheimnis, legen einen verfremdenden historischen Schleier über die Gegenwart. Das ist nicht zuletzt ein versteckter Kommentar zum Genre der Presse- und Kriegsfotografie und zu dem ihr zugeschriebenen Authentizitätseffekt. Was kann eine Fotografie wirklich einfangen und vermitteln, was bleibt verborgen?

Die Bombe auflösen

Ein anderer Teil von «how to dismantle a bomb» zeigt die auf Aluminium aufgezogene, zum Mosaik zerstückelte Fotografie einer Streubombe. Auch hier legt das Aluminium eine materielle Spur zurück zum Bombenmaterial. Die Anzahl der Teile, die den Bombenkörper bilden, entspricht der Anzahl der sogenannten Submunitionen, die diese Bombe in sich trägt: 665 Stück. Bei Ausstellungen legt Frauchiger dieses Mosaik auf den Boden, die Besucher:innen bringen es mit der Zeit durcheinander, manche nehmen einzelne Mosaikstücke mit nach Hause – auch das eine Art, die Bombe symbolisch aufzulösen.

eine auf Aluminium auf­gezogene Fotografie einer Streubombe als Mosaik
Die auf Aluminium auf­gezogene Fotografie einer Streubombe als Mosaik. Im Laufe einer Ausstellung bringen die Besucher:innen die Teile immer mehr durch­einander.

Der Fotograf als Bombenentschärfer, seine Werkgruppe als eine Reihe kontrollierter Explosionen? Frauchigers Auseinandersetzung mit der tödlichen Altlast des Krieges in Laos zielt zwar auf grosse Fragen. Die daraus entstandenen Bilder bleiben jedoch angenehm tastend, fragend, nie auftrumpfend oder trophäenartig – wie das manchmal bei Kriegsfotografien der Fall ist. Vielleicht lässt sich eine toxische Geschichte, die nie wirklich zu bewältigen ist, nur so angehen: in viele kleine Alltags- und Kunstprojekte zerkleinert, die – im geschützten Proberaum der Kunst – die Gewalt in etwas weniger Schmerzhaftes übersetzen.

Der geheime Krieg : Bombenterror bis in die Gegenwart

200 Millionen Tonnen Sprengkörper fielen zwischen 1964 und 1973 auf Laos. Das ist mehr als die Menge aller Bomben, die während des Zweiten Weltkriegs über Europa abgeworfen wurden. Fast pausenlos wurde das südostasiatische Land damals von der US-Luftwaffe bombardiert; durchschnittlich alle acht Minuten fiel eine Bombe auf den Nachbarstaat von Vietnam. Das vordergründige Ziel: die Versorgungswege der Vietcong zu stören in einem der vielen Stellvertreterkriege gegen den Kommunismus.

Die neun Jahre andauernde Bombardierung ohne Rücksicht auf zivile Opfer blieb, wie von der CIA beabsichtigt, vor der Öffentlichkeit weitgehend verborgen. Erst die Pentagon Papers warfen 1971 ein Licht auf den «geheimen Krieg». Offiziell galt die einstige französische Kolonie Laos für die USA wie auch für Vietnam als neutral.

Zu den Versehrungen und den Traumata des als «verdeckte Operation» getarnten Bombenhagels kommen verheerende Spätfolgen: Dreissig Prozent der abgeworfenen Sprengkörper sind nicht explodiert. Sie liegen zum Teil bis heute offen herum wie Spielbälle, oft werden in Laos deshalb Kinder schwer verletzt oder getötet. Auch unter der Erde lauern nicht detonierte Sprengsätze. Dieser in die Gegenwart hinein verlängerte Bombenterror hat seit Ende der Luftschläge an die 20 000 Todesopfer gefordert. Noch 2015 sprechen Quellen von siebzig bis achtzig Millionen potenziell gefährlichen Sprengkörpern im Boden: Streumunition, Granaten, Brandbomben. Diese schlummernden Killer behindern auch die wirtschaftliche Entwicklung des armen Landes, breite Landstriche können landwirtschaftlich nicht genutzt werden.

In mühsamer Kleinarbeit wird Laos seit Jahrzehnten parzellenweise von den gefährlichen Blindgängern (UXOs genannt) befreit. Die Organisation Welt ohne Minen etwa bilanzierte allein für das Jahr 2021 die Identifizierung und Beseitigung von 319 «Kampfmittelrückständen»; 572 333 Quadratmeter Agrarland konnten so wieder bestellt werden. Ebenfalls 2021 vermeldete die Mines Advisory Group die 300 000. entschärfte Bombe.

Zwar reiste 2016 der damalige US-Präsident Barack Obama gegen Ende seiner Amtszeit nach Laos und bewilligte Hilfsbeiträge in zweistelliger Millionenhöhe für die Bombenentschärfung, und auch andere Staaten geben Geld. Doch ein Schuldeingeständnis der USA bleibt aus.