Literatur: Zerrissen zwischen zwei Welten
Mit den deutschen Behörden hat Said Al-Wahid nur noch selten zu tun. Kein banges Warten mehr auf die morgendliche Post, die Zeit kafkaesker Situationen auf Ämtern liegt hinter ihm. Damals wurde er nur dann als Mensch behandelt, wenn ein einheimischer Rechtsanwalt dabei war. Nun lebt er mit seiner Freundin und dem gemeinsamen Sohn in Berlin, schreibt Erzählungen und arbeitet an einem Roman. Eine ganz angenehme, unaufgeregte Realität also.
Und dann holt ihn doch diese andere, mit dem Berliner Leben unvereinbare Wirklichkeit im Irak wieder ein. Sein Vater und die Schwester samt Familie sind schon lange tot, als Folge der Repression und der Gewalt. Als Said wegging, «war das Land ein Loch der Verzweiflung; zwei Jahrzehnte später ist es zu einem Loch der Hoffnungslosigkeit geworden». In Deutschland auf den Irak angesprochen, konstatiert er gerne: «Ein kurzer Aufenthalt mit Islamisten ist eine lange Hölle.» Er kehrt erst zurück, als seine Mutter im Sterben liegt.
Dieser Zerrissenheit zwischen zwei Wirklichkeiten folgt der deutsch-irakische Schriftsteller Abbas Khider in seinem neuen Roman «Der Erinnerungsfälscher». Pointiert schildert er das Leben seines Protagonisten in einer Fremde, die gleichwohl besser ist als die von Gewalt und Chaos geprägte Heimat. Das Buch konzentriert sich auf einen nur wenige Stunden dauernden Ausschnitt aus Said Al-Wahids Leben: vom Telefonanruf kurz hinter Mainz, wo er an einem Podiumsgespräch teilgenommen hat, bis zur Ankunft bei der Familie seines Bruders in Bagdad.
Auf der stundenlangen Reise rekapituliert Said bruchstückhaft sein Leben, ausgeschmückt mit vielen Anekdoten: aus dem Irak, von seiner Flucht, von den ersten Jahren in Deutschland. Diese zugleich witzigen und dramatischen Erinnerungen – für deren Wahrheitsgehalt sich Said nach vergeblichem Wühlen in seinem Gedächtnis nicht mehr sonderlich interessiert – sind in der für Abbas Khider so typischen, dichten und prägnanten Sprache gehalten, was den ernsten Themen des Romans eine unerwartete Leichtigkeit verleiht.
Abbas Khider: «Der Erinnerungsfälscher». Roman. Hanser Verlag. München 2022. 128 Seiten. 29 Franken.