Marie Kreutzer: «Sisi muss allein gewesen sein»

Nr. 40 –

Mitgefühl mit der Kaiserin? Regisseurin Marie Kreutzer wollte eigentlich gar nie einen Film über Elisabeth von Österreich machen. Für «Corsage» suchte sie dann eigens baufällige Schlösser – was gar nicht so einfach war.

Filmstill aus «Corsage»: Vicky Krieps als Kaiserin Elisabeth von Österreich
«Corsage» behandelt ein Jahr im Leben der Kaiserin: Elisabeth von Österreich (Vicky Krieps, rechts) strebt nach Selbstbestimmung. Foto: © Ricardo Vaz Palma, Alamode Film

WOZ: Marie Kreutzer, um gleich mit einem Problem zu beginnen, das aber eigentlich ein Kompliment für Ihren Film ist: Als militanter Antiroyalist und überzeugter Antiimperialist komme ich nicht so gut damit klar, wie spannend ich Ihren Film über Kaiserin Elisabeth finde.

Marie Kreutzer: (Lacht.) Es ist ja auch ein antiimperialistischer Film. Ich würde mich selber auch als Antiimperialistin bezeichnen.

«Corsage» konzentriert sich auf ein Jahr im Leben von Kaiserin Elisabeth, von Dezember 1877 bis Ende 1878. Wieso genau diese Zeitspanne, was war die Überlegung dahinter?

Einerseits wollte ich einen Film mit der Schauspielerin Vicky Krieps machen, das heisst, es war klar, dass sich dieser ungefähr an ihrem Alter orientieren wird. Ich habe dann meine Recherche auf die entsprechende Zeit im Leben Elisabeths konzentriert und bin dabei auch auf vieles gestossen, was ich gar nicht wusste. Zum Beispiel, dass sie gerade damals immer mehr anfing, kleine Akte der Rebellion zu vollziehen, gegen dieses System und gegen die für sie vorgesehene Rolle. Darin habe ich dann einen Grund gefunden, diesen Film überhaupt zu machen – eigentlich wollte ich ja nie einen Film über eine Kaiserin drehen, auch nie einen historischen Film. Das war Vickys Idee, schon 2016 – und ich habe dann zunächst offengelassen, ob ich etwas in dem Stoff finde, das mich genug reizt.

Marie Kreutzer
Marie Kreutzer Foto: Pamela Russmann

Und was genau hat Sie gereizt?

Letztlich war es die Geschichte, dass man als Frau – ob Kaiserin oder nicht und egal in welcher Zeit – so sozialisiert wird, dass man gefallen muss, um geliebt zu werden. Auch heute noch. Darum gehts für mich in dem Film. Elisabeth ist darin einfach die Frau, an deren Beispiel wir das erzählen. Deshalb haben wir das auf die Zeit in ihrem Leben verdichtet, in der sie immer mehr Schwierigkeiten hatte, der Rolle, die sie nie mochte, zu entsprechen, und versuchte, sich auf verschiedene Arten zu widersetzen. Ausserdem meine ich, dass klassische Biopics, die wirklich ein ganzes Leben abbilden, im Medium Film eigentlich nicht funktionieren. Ich finde solche Filme auch langweilig.

«Corsage» findet eine sehr spezielle Balance zwischen historischer Recherche und einem dezidiert heutigen Blick. Wie sind Sie da vorgegangen? Und wie schwierig war es, dabei nicht auf die eine oder die andere Seite zu kippen?

Ich habe einerseits eben recherchiert, das Material dann aber auch wieder beiseitegelassen und versucht, meinen eigenen Zugang zu finden. Weil ich eben selber keine grosse Affinität zu historischen Filmen habe, war mir auch klar, dass ich nicht so einen klassischen, prunkvoll historischen Film machen will. Mit einem europäischen Budget ist das auch gar nicht möglich: Deshalb sehen europäische historische Filme oft ein bisserl nach Kompromiss aus. Das war nicht mein Ziel, ich wollte nicht so eine geschönte historische Welt, mit diesen Bildern, die wir eigentlich auch nur aus anderen Filmen kennen. Das ist ja nur eine Sehgewohnheit, die wir haben. Die Idee für das visuelle Konzept, grob gesagt, war die Inszenierung einer Monarchie, die kurz vor dem Ende steht – einer Monarchie, in der man die teuren Dinge schon verkauft hat. So haben wir auch die Motive gesucht, diese Schlösser, die eben nicht renoviert und schon etwas abgelebt sind. Lustigerweise wurde ich schon öfter gefragt, ob wir aus Kostengründen in älteren Schlössern gedreht hätten.

Im Ernst?

Das ist eine sehr lustige Frage, weil es in den zwei Wohlstandsländern Österreich und Luxemburg schwierig war, überhaupt Schlösser zu finden, die nicht renoviert sind. (Lacht.)

Die Landsitze und die Paläste wirken im Film mit zunehmender Dauer immer baufälliger – eine untergehende Welt.

Ja, und Elisabeth hat das auch wirklich so wahrgenommen. Sie hat sich mit ihrem Sohn, der sehr republikanisch dachte, immer wieder darüber ausgetauscht, dass es zu Ende gehen wird. Das war natürlich etwas, was man in dieser Gesellschaft nicht hören wollte.

Die Kinder der Kaiserin zeigen Sie wiederholt als Moralapostel, die der Mutter immer wieder vorhalten, was sich alles nicht gehört. Ist das verbürgt?

Das war stark mein Eindruck. Fast am interessantesten bei der Recherche fand ich die Tagebücher der Tochter und der Hofdame: Das sind ja wirklich Berichte von Zeitzeuginnen. Die jüngste Tochter stand einerseits der Mutter sehr nahe, aber andererseits hat dieses Kind auch immer versucht, es dem Vater recht zu machen – das war ein sehr braves, funktionierendes, konservatives Kind. In den Tagebüchern kann man lesen, wie hart diese Tochter mit zehn, elf Jahren über ihre Mutter geurteilt hat. Sie hat sich in diesem Milieu erwachsener benommen als die Mutter und war bis zu einem gewissen Grad auch der verlängerte Arm des Vaters. Mit Kindern muss man ja anders arbeiten als mit professionellen Schauspielerinnen, und meine Regieanweisung für Rosa, die die Tochter spielt, war immer: Spiel so, als wärst du die Mutter und sie das Kind. So hat sie die ganze Rolle angelegt.

Das sieht man. Ein Motiv, das sich durch den ganzen Film zieht: Der Körper der Kaiserin wird ständig von Männern taxiert. Heute sprechen wir von «Bodyshaming». Hat sich das aus den historischen Quellen ergeben, oder haben Sie das mit dem heutigen Blick so angelegt?

Beides. Es ist sicher heute viel mehr ein Thema, durch die Medien und die sozialen Medien – dadurch, dass es viel mehr Abbildungen gibt und dass wir dadurch viel genauer hinschauen und auch viel strenger urteilen können. Das war damals wohl noch weniger üblich, und es war wahrscheinlich auch nicht bei jeder Frau so. Aber bei einer Frau, die öffentlich so exponiert war wie Elisabeth, hatte jeder das Gefühl, das Recht zu haben, über sie zu urteilen. Es gibt tatsächlich verschiedene Aufzeichnungen mit solchen Beurteilungen über ihr Äusseres, wie sie sich entwickelt und wie sie altert. Es gibt zum Beispiel Zeitungsartikel, in denen spekuliert wurde, ob sie zugenommen hat – darauf bezieht sich dieser Herr, der in einer Szene am Anfang des Films zu sehen ist.

Es gibt eine Menge historischer Details in «Corsage», die offenkundig recherchiert sind, die für einen Sisi-Novizen wie mich aber auch künstlerische Freiheiten sein könnten: etwa die Sache mit dem ärztlich verschriebenen Heroin.

In Wirklichkeit war es Kokain. Das wurde damals injiziert, und im Sisi-Museum in Wien kann man sich auch das Kokainbesteck anschauen, das sie benutzt hat. Damals hat man ja gedacht, dass dieser Stoff jetzt alle Probleme lösen wird. Heroin kam erst ein paar Jahre später, und man hat dann erneut gedacht, dass das nun alle Probleme lösen würde. Historisch ist es im Film falsch dargestellt, aber was der Arzt zu Elisabeth sagt, ist original – so wurde das damals den Patienten gegenüber beworben. Und ich habe mich für Heroin entschieden, weil die Wirkung, die man Kokain zuschreibt, nicht zu dem passt, was ich erzählen wollte. Mir ging es darum, dass man ihr etwas gegeben hat, um sie zu beruhigen, nicht um sie noch zu beflügeln.

Also eine historische Verfälschung, aber in bewusster Absicht.

Ich habe mich immer in dem ungefähren Zeitraum bedient. Auch dieser Filmpionier, der zu sehen ist und Elisabeth filmt: Das ist auch nicht korrekt, aber fünfzehn Jahre später hätte die Szene auch real stattfinden können. Ich habe den Zeitraum einfach etwas grosszügiger bemessen.

Und dieser Stinkefinger der Kaiserin, der jetzt sogar das Filmplakat ziert?

Das ist interessant, den gabs schon viel früher.

Seit der Antike, oder?

Ja, genau. Ich wusste das selber nicht, es war uns auch nicht wichtig. Aber manchmal sprechen mich Leute auch auf Dinge an, von denen sie glauben, das seien künstlerische Freiheiten, die aber tatsächlich stimmen. Dafür bemerken sie andere Dinge wiederum nicht, die überhaupt noch nicht sein können. Zum Beispiel wurde ich immer wieder darauf angesprochen, dass die reale Elisabeth ja wahrscheinlich nicht tätowiert gewesen sei. Aber dieses Ankertattoo hatte sie, das ist verbrieft.

Der Film spielt auch mit der Theorie von den zwei Körpern des Königs. Kaiserin Elisabeth hat hier ebenfalls einen konkreten, realen Körper und einen öffentlichen, symbolischen Körper – und in Letzterem lässt sie sich später von ihrer Hofdame doubeln.

Tatsächlich hat sie sich zweimal von Hofdamen doubeln lassen. Daher kommt diese Idee im Film. Andererseits hat sie sich, seit sie Ende dreissig, Anfang vierzig war, gar nicht mehr gezeigt, nur noch mit Schleier. Sie hat sich auch nicht mehr malen lassen. Das heisst, man hat das Gesicht dieser Frau zwanzig Jahre lang nicht mehr gesehen. Wenn man ein paar Krimis gelesen hat, weiss man, das so etwas natürlich sehr viel Spielraum für Spekulationen lässt, was da alles gewesen sein könnte.

Würden Sie sagen, dass Ihr Film die Kaiserin Sisi als feministisches Role Model rehabilitiert?

Sicher nicht feministisch im bewusst politischen Sinn. Das habe ich auch nicht zu zeigen versucht. Ich glaube, dass sie sehr selbstbezogen war – wobei man auch da wieder entschuldigend sagen muss: Sie war auch so erzogen worden. Sisi ist ja aristokratisch aufgewachsen und mit sechzehn Jahren Kaiserin geworden. Es hat sich immer alles nur um sie gedreht. Trotzdem hat sie sich sehr für psychisch Kranke eingesetzt, das kommt auch im Film vor. Das hat schon einen feministischen Anteil, weil es darum geht, dass sie gegen die Erwartungen an sie rebelliert. Aber feministisch im gesellschaftspolitischen Sinn war sie nicht, glaube ich, das würde ich auch nicht behaupten. Zumindest für sich selbst war sie schon eine Feministin: eine Frau, der klar ist, dass an sie andere Massstäbe angelegt werden als an ihren Mann – und auch an jeden anderen Mann. Aber keine Ikone, keine feministische Heldin, das sicher nicht.

Was klar wird: In der Selbstbestimmung, die Sie der Kaiserin letztlich gewähren, ist nicht wirklich Platz für «Sisterhood», für ein solidarisches Miteinander der Frauen.

Bei den Recherchen ist mir bewusst geworden, dass es niemanden gab, der mit ihr auf Augenhöhe war: Das fand ich am tragischsten. Sie hatte viele Schwestern, aber niemand sonst war mit einem Kaiser verheiratet, niemand sonst war Kaiserin. Das heisst, sie stand automatisch über ihren Schwestern. Gleichzeitig stand sie immer unter ihrem Mann, weil er ja auch ihr Chef war. Und alle diese Frauen um sie herum, die sie sich mit zunehmendem Alter immer mehr selbst ausgesucht hat, waren ja auch unter ihr. Sosehr es da einen Wunsch nach Freundschaft gegeben und sicher auch etwas Freundschaftliches zwischen ihnen existiert hat, waren die ihr natürlich trotzdem immer ausgeliefert und untergeben. Das war für die ja auch ganz normal und selbstverständlich, weil sie auch so erzogen waren. Aber ich fand das wahnsinnig traurig, auch beim Lesen dieser Tagebücher. Sie muss wahnsinnig allein gewesen sein.

Unvermeidliche Frage noch: Wie präsent waren eigentlich die Sisi-Filme mit Romy Schneider bei der Arbeit an «Corsage»?

Ich kannte nur Bilder aus den Filmen mit Romy Schneider, weil ich in einem Hippiehaushalt aufgewachsen bin, in dem ich nicht fernsehen durfte. Ich habe die Filme also gar nicht als Kind gesehen, sondern sie mir dann erst in der Recherche angeschaut, mit Tochter und Stieftöchtern. Wobei diese Filme gar nichts mit dem zu tun haben, was ich gelesen habe – nicht hinsichtlich der Fakten, sondern von der Charakterzeichnung her. Die Schneider-Sisi ist natürlich eine Sisi, die man sich in den fünfziger Jahren ausgedacht hat. Die filmische Interpretation von historischen Figuren hat ja immer vor allem mit der Zeit zu tun, in der der Film gemacht wird, nicht so sehr mit der Figur an sich. Ich habe mich weder bewusst gegen diese Sisi-Filme gestellt noch sonst irgendwie dazu verhalten. Das hat einfach miteinander nichts zu tun, ich habe über diese Filme gar nicht nachgedacht.

Das Spektrum der Milieus, die Sie in Ihren Filmen zeigen, ist inzwischen so, wie man sich das gar nicht weiter auseinander denken könnte: von der Kommune in Ihrem ersten Film, «Die Vaterlosen», bis zum Kaiserhof.

Das ist das Schöne an dem Beruf: Man darf in andere Milieus hineinschauen. Ich tue ja nichts lieber, als anderen Leuten bei ihren Privatgesprächen zuzuhören, im Schwimmbad oder im Kaffeehaus. Das sind alles so kleine Einblicke in andere Welten. Und je mehr verschiedene Welten, desto spannender.

«Corsage» : Was ihr die Luft abschnürt

Kaiserin Elisabeth plötzlich auf allen Kanälen: Letztes Jahr zu Weihnachten gabs bereits eine Miniserie auf RTL («Sisi»), jetzt läuft bei Netflix schon die nächste Sisi-Serie («Die Kaiserin»), soeben ist auch ein historischer Roman von Karen Duve erschienen («Sisi»), und nächstes Jahr steht noch ein Kinofilm von Frauke Finsterwalder an («Sisi und ich»). Die österreichische Regisseurin Marie Kreutzer kann sich diesen geballten imperialen Rollback auch nicht erklären. Von sich aus wäre die 44-Jährige gar nicht darauf gekommen, einen Sisi-Film zu drehen, wie sie sagt: Das sei der Wunsch von Hauptdarstellerin Vicky Krieps gewesen; mit der Absolventin der Zürcher Schauspielschule hatte Kreutzer einst schon bei ihrem Film «Was hat uns bloss so ruiniert» (2016) gearbeitet.

Dass Kreutzers Sisi-Film allerdings erfreulich quer zum Rest dieser Welle steht, kann man schon am Titel ablesen. Da steht nirgends der Name der Monarchin, nicht mal deren Titel, stattdessen nur ein Stück Garderobe, dieses Instrument zur Disziplinierung der Frau: «Corsage». Es geht hier also nicht um die «zwei Kilo Blech» auf ihrem Kopf, wie die Sisi im Film einmal entnervt sagt, sondern um das, was ihr am Hof die Luft abschnürt. Man darf diesen Titel metaphorisch nehmen, denn letztlich ist dies ein Film über Körperpolitik. Etwa wenn Sisi ihrem Cousin vorführt, wie sie sich dem höfischen Protokoll entzieht – dank der Kunst der fingierten Ohnmacht. Oder wenn sie sich im Irrenhaus, wie das damals noch hiess, für eine Verbesserung der hygienischen Einrichtungen einsetzt – aber als es dort endlich Badewannen gibt, werden diese auch nur benutzt, um die Patientinnen zu quälen.

Klar, die Frau, die hier nach Selbstbestimmung strebt, tut dies von ihrer quasi gottgleichen Stellung aus: superprivilegiert, aber selbst als Kaiserin noch eine Untergebene. So etwas könnte ja schnell beim reaktionären Kitsch landen: ein Ermächtigungsdrama im Dress der Kaiserin, feministisch verbrämt? Marie Kreutzer und ihre Darstellerin Vicky Krieps entgehen dem, weil sie eben nicht auf eine sentimentale Seelenschau aus sind. «Corsage» ist Kostümkino, das im Vergangenen nicht den Prunk sucht, sondern die Spuren des Niedergangs. Fleckiges Gemäuer, rissige Wände: Die Paläste, in denen Sisi einkehrt, sind anfangs noch herausgeputzt und künden dann zusehends vom Zerfall. Der Song «She Was» von Camille, der den Film anachronistisch begleitet, beschwört es ja auch dauernd: Bloss weg hier. Bevor alles zusammenstürzt.  

«Corsage». Regie und Drehbuch: Marie Kreutzer. Österreich/Luxemburg 2022. Jetzt im Kino.