Auf dem Steueramt: Vasellas Verwirrspiel

Nr. 5 –

Zum Schein den Wohnort wechseln, um Steuern zu sparen: Unter den Reichen ist das weit verbreitet. Der Superreiche Daniel Vasella war nur besonders dreist – und ungeschickt.

Es war ein schwarzer Tag für Daniel Vasella. Die «SonntagsZeitung» enthüllte am 29. Januar, dass sich der ehemalige Novartis-Verwaltungsratspräsident 2013 nur zum Schein von seinem Wohnort im zugerischen Risch abgemeldet hatte – offenbar um Steuern zu sparen. Die Belege der Zuger Steuerbehörden dafür, die sich aus einem Urteil des kantonalen Verwaltungsgerichts von 2020 erschliessen, sind erdrückend: So war im fraglichen Zeitraum etwa der Wasser- und Stromverbrauch in Vasellas Anwesen in Risch um ein Mehrfaches höher als am angeblich neuen Lebensmittelpunkt, einer Fünf-Zimmer-Mietwohnung in Monaco.

Materiell sollte der Multimillionär Vasella das Urteil locker verkraftet haben. Viel schwerer dürfte der Reputationsschaden wiegen. Vasella ist wieder am selben Punkt wie 2013. Damals kam die sogenannte Abzockerinitiative zur Abstimmung – und Vasella wurde im Vorfeld als Paradebeispiel des Abzockers vorgeführt. Kurz vor dem Abstimmungstermin war bekannt geworden, dass er nach seinem Rücktritt bei Novartis 72 Millionen Franken an Entschädigung bekommen sollte, damit er nicht bei der Konkurrenz einsteige. Die Initiative wurde mit fast 68 Prozent der Stimmen angenommen. Vasella verzichtete auf die 72 Millionen.

Im Lauf der folgenden Jahre gelang es Vasella, sein Image allmählich wieder aufzupolieren. Phase eins: In einem doppelseitigen «Blick»-Interview mit dem Journalisten Peter Hossli gibt er im März 2013 seinen Wegzug nach New York bekannt. Das Gespräch wird mit mehreren Fotos von Vasella in New York umrahmt. Ein Verwirrspiel, wie man heute weiss: Den Steuerbehörden hatte er ja suggeriert, von Risch nach Monaco gezogen zu sein.

Phase zwei, drei Jahre später: Ein scheinbar geläuterter Vasella kehrt zurück, kommuniziert exklusiv im «SonntagsBlick». Diesmal wird Vasella von Hossli und Ringier-Boss Marc Walder befragt. «Es ist sicher eine Schwäche von mir, dass ich manchmal provoziere und trotzig bin», gibt er sich selbstkritisch. Phase drei, Vasella ist wieder wer: 2020 lässt er sich von Marc Walder alleine interviewen. «Sein Wort hat Gewicht. Und er geht äusserst sorgsam damit um», heisst es im Lead. Dann darf Vasella – ohne jede kritische Frage – die Pandemiepolitik des Bundesrats bewerten.

Kleine Vasellas gibt es viele

Alles inszeniert und abgesprochen, nachdem der «Blick» Vasella jahrelang kritisiert hatte? Hossli, der heute die Ringier-Journalistenschule leitet, verneint: «Bei einer aufwendigen Recherche rund um den geplanten Novartis-Campus in Risch bin ich auf Vasellas Abmeldung von seiner Wohngemeinde gestossen.» Das habe er im «SonntagsBlick» publik gemacht. «Erst nachdem die Publikation schweizweit für grosses Aufsehen sorgte, ging Vasella auf meine Interviewanfrage ein. Wie es zum Interview anlässlich der Rückkehr von Vasella in die Schweiz kam, erinnere ich mich nicht.» 

Dass Reiche hierzulande falsche Angaben über ihren Wohnort machen, um Steuern zu sparen, ist nichts Aussergewöhnliches. Vasella hat sich nur besonders ungeschickt angestellt. «Die Steuerbehörden wissen inzwischen, auf welche Punkte es ankommt. Sie schauen in Verdachtsfällen sehr genau auf den Strom-, den Wasser- oder den Gasverbrauch», sagt Luzius Cavelti, Professor für Steuerrecht an der Universität Basel. Entscheidend bei der Beurteilung des Wohnsitzes sei der tatsächliche Lebensmittelpunkt. Und dieser muss vom Steuerpflichtigen in einem solchen Fall bewiesen werden können.

Wie viele Fälle von Scheindomizilen es jährlich gibt, wird bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung laut ihrer Pressestelle nicht erhoben. Allerdings sind 2021 allein beim Steueramt der Stadt Zürich 31 Abklärungen getroffen worden. Die Stadt hatte 2014 eine eigene Stelle geschaffen, die Verdachtsfälle überprüft. Denn immer wieder kommt es vor, dass Reiche dem Schein nach in steuergünstige Schwyzer Gemeinden am oberen Zürichsee ziehen. Im Durchschnitt würde die Hälfte dieser Überprüfungen zum Erfolg führen, heisst es von der Pressestelle.

Unterstützung erhalten die Zürcher:innen dabei vom Steueramt Schwyz, das bei den Abklärungen hilft. Dem Vernehmen nach wird dort jährlich in Dutzenden Fällen Rechtshilfe geleistet, nicht nur der Stadt Zürich. Allerdings fehlt es offenbar an den nötigen Personalressourcen. So könne nicht allen Verdachtsmomenten auf den Grund gegangen werden.

Fehlende Abschreckung

Dass der Trick mit dem Scheinumzug so stark verbreitet ist, liegt auch an der fehlenden Abschreckung. Während in Deutschland etwa der Tennisstar Boris Becker 2002 wegen eines Scheindomizils in Monaco zu zwei Jahren bedingter Gefängnisstrafe und 500 000 Euro Busse verurteilt wurde, ist es fraglich, ob gegen Vasella überhaupt Anklage erhoben werden kann. Bei Steuervermeidungstricks sind in der Schweiz die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität fliessend. Trickser:innen können sich meist sicher fühlen, auch weil die Steuerbehörden keinen Zugriff auf die Bankdaten haben. Falls Vasella doch Steuerhinterziehung nachgewiesen werden könnte, müsste er maximal eine Busse in der Höhe des dreifachen Steuerbetrags bezahlen.