Teure Schiffe: Prunk und Proletariat auf hoher See

Nr. 6 –

Die einen stecken fest, die anderen können sich jederzeit davonmachen: Fast nichts eignet sich besser, um von den Widersprüchen der Gegenwart zu erzählen, als Superjachten und Kreuzfahrtschiffe.

Wann fing das eigentlich an, dass das Befahren des Meeres zum bevorzugten Sujet wurde, um von den Abgründen des Kapitalismus zu erzählen? Seereisen und ihre Tücken sind ja seit jeher ein beliebter Stoff: Früh schon suchten die Argonauten ein goldenes Vlies und irrte ein griechischer Kriegsheld auf Heimfahrt über die Ägäis. Jahrhunderte später ging erst das Narrenschiff, dann Gulliver auf Reisen, erlitt Robinson Schiffbruch und begleitete Ismael mit seinem Busenfreund Queequeg einen fanatischen Kapitän auf Walfang.

Und kürzlich schickte uns der schwedische Filmemacher Ruben Östlund auf die hohe See, um die schreiende Ungleichheit der gegenwärtigen Verhältnisse zu illustrieren. In der Brachialsatire «Triangle of Sadness» lässt er das Publikum mit an Bord einer Luxusjacht, um die zynische Dekadenz superreicher Kreuzfahrtpassagier:innen auf vorzuführen. Und das wenig subtil: Es wird gefressen und gekotzt, was das Zeug hält, und überhaupt sind Östlunds Figuren – von den Bonzen bis zur Reinigungskraft – allzu überzeichnete Karikaturen (siehe WOZ Nr. 41/22).

Gefangen auf dem Ozeanriesen

Subtiler und zugleich verstörender ist da der kürzlich erschienene Kreuzfahrtroman der britischen Schriftstellerin Lara Williams. «Die Odyssee» heisst nicht zufällig so wie Homers Epos und berichtet von einer jungen Frau namens Ingrid. Die ist allerdings nicht etwa eine vermögende Waffenhändlerin oder eitle Influencerin, wie sie an Bord von Östlunds Luxusliner Erholung suchen. Ingrid ist vielmehr Repräsentantin des zur See tätigen Teils des Dienstleistungsproletariats.

Seit Jahren schon arbeitet sie in verschiedenen Funktionen auf einem Ozeanriesen. Dass sie dabei Beschädigungen davongetragen hat, wird schnell deutlich: Abgesehen von sporadischen Tagesausflügen hat Ingrid seit einem halben Jahrzehnt das Schiff nicht mehr verlassen, weil sie sich so an ihre an sich eher mickrige Koje gewöhnt hat: Wer Landurlaub macht, nimmt in Kauf, später einen neuen Schlafplatz zugeteilt zu bekommen. «Ich wollte den Verlust meiner Kabine nicht riskieren», erklärt sie sich. «Ausserdem hätte ich nicht gewusst, wohin.»

Überhaupt mutet Ingrids Sozialverhalten pathologisch an. Dreimal lässt uns Williams sie auf kurze Landgänge begleiten, jedes Mal nutzt ihre Protagonistin diese Gelegenheit für deprimierende Saufexzesse. Ingrids Flashbacks deuten an, dass hinter ihr eine gescheiterte Ehe liegt.

Doch es handelt sich hier nur zum Teil um die Beschreibung privaten Unglücks, mehr noch ist «Odyssee» eine «workplace novel». Auf dem Kreuzfahrtschiff ist die Prekarisierung der Arbeitswelt auf die Spitze getrieben, regelmässig übernimmt Williams Heldin neue Jobs zur Passagierbespassung: erst im Souvenirladen, dann im Nagelstudio und schliesslich als Rettungsschwimmerin am Pool, obwohl sie selbst gar nicht schwimmen kann. Einarbeiten müssen sich die Angestellten jeweils eigeninitiativ mithilfe von Lehrvideos, die sie sich abends im Bett auf dem vom Arbeitgeber geliehenen Tablet anschauen können. Das Managementgebot der maximalen Flexibilität erreicht in dieser Hölle ganz neue Dimensionen.

Dass es Williams um die neoliberale Praxis wie Ideologie geht, macht auch der eigentliche Plot deutlich: Diese Geschichte beginnt damit, dass Ingrid einen Platz in einem Mentoringprogramm für die Crew ergattert. Fortan darf sie beim monomanischen Schiffskapitän Keith antreten. Dieser will nach eigenem Bekunden «das Beste» aus seiner Mitarbeiterin kitzeln, weswegen er sich anmasst, Ingrid in übergriffigen Therapiesitzungen mit esoterischem Geschwafel zu traktieren. Sie nimmt das bereitwillig in Kauf, immerhin verheisst das Programm Aufstiegsmöglichkeiten, obgleich reichlich diffuse. Und je länger das so geht, desto absurder und unwirklicher wird Ingrids Irrfahrt, bis sie fast zur Horrorstory mutiert.

Ideal und Verbrechen

Grauenhaftes weiss auch Grégory Salle in seiner glänzend geschriebenen Studie über Superjachten zum Treiben auf hoher See zu berichten: ein Sachbuch, das sich mindestens so unterhaltsam liest wie ein Roman. Tatsächlich könnte man die Arbeit (deren deutscher Untertitel «Luxus und Stille im Kapitalozän» übrigens auch gut zu Williams Kreuzfahrtstory passen würde) als Krimi lesen. Im Vorwort erinnert Salle an die Unterscheidung von «Subsistenzemissionen», etwa durch das lebensnotwendige Beheizen von Wohnräumen, und «Luxusemissionen», die beispielsweise private Flüge ins Weltall oder eben gigantische Privatjachten verursachen. Letztere seien streng genommen «ein als ideales Leben angepriesenes Verbrechen», zitiert er den schwedischen Ökomarxisten Andreas Malm.

Salle nähert sich seinem Gegenstand auf vielfältige Weise, etwa auch mit einem Besuch eines Hafens für die schwimmenden Paläste der Ultrareichen. Wobei schon die «Palast»-Metapher in die Irre führt, wie der französische Soziologe schreibt: «Weit entfernt vom Schloss früherer Zeiten, dem Synonym der Immobilität und lokal verwurzelten Territorialherrschaft, ist die Fähigkeit, sich von den gemeinsamen Grenzen frei zu machen und auf Distanz zum gemeinen Volk zu gehen, gegenwärtig ein typischer Bestandteil des Lebens der herrschenden Klassen und vor allem ihrer wohlhabendsten Teile.» Hypermobilität markiert ein gesellschaftliches Kräfteverhältnis: Die einen stecken an einem Ort fest, die anderen können sich jederzeit davonmachen – und trompeten das bisweilen auch gerne lauthals heraus, wie etwa der Milliardär Elon Musk, der am liebsten gleich zum Mars reisen würde.

Die Branche boomt jedenfalls, sie wächst proportional zur Ungleichheit infolge der globalen Deregulierungspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Damit eine Jacht als Superjacht gilt, muss sie eine Länge von mindesten 24 Metern haben, wobei im Spitzensegment oft um ein Vielfaches grösser gebaut wird. Weltranglistenführende bei den Motorjachten ist aktuell die «Azzam», die lange Chalifa Bin Said al-Nahyan gehörte. Seit dem Tod des Scheichs 2022 ist allerdings unklar, wer Eigentümer des 180 Meter langen Schiffs aus norddeutscher Produktion ist.

In den Top 20 sind russische und arabische Oligarchen eindeutig überrepräsentiert, weiter hinten aber auch westliche Promis wie Hollywoodregisseur Steven Spielberg («Seven Seas», 109 Meter) vertreten. Amazon-Chef Jeff Bezos wiederum hat sich kürzlich eine 127 Meter lange Segeljacht zugelegt: Das in den Niederlanden gebaute Schiff soll 500 Millionen US-Dollar gekostet haben.

Mehr als Burundi

So erzählt Salles Essay von einer Welt obszönen Reichtums, in der ausser dem eigenen Status alles andere egal zu sein scheint. «Allein die 300 grössten Superyachten emittieren im Jahr mehr CO₂ als die über zehn Millionen Einwohner Burundis», schreibt er. Dazu kommen prekäre Arbeitsbedingungen an Bord: Die Besatzungen müssen ständig verfügbar sein, von Betriebsräten und Gewerkschaften fehlt natürlich jede Spur. Arbeitsrechtlich gesehen, schippere man «in einer Zone der Exterritorialität», heisst es bei Salle lapidar. Nirgends scheinen sich die Widersprüche der Gegenwart – ökonomisch, ökologisch, politisch – schlagender zu verdichten als in den schwimmenden Luxusschalen.

Natürlich: Hier steht nur ein winziger Bruchteil des berüchtigten «einen Prozents» im Fokus, das von den herrschenden Verhältnissen in extremem Ausmass profitiert. Auch Salle weiss, dass der «Vorwurf der Unmoral» eine stumpfe Waffe ist. Selbst wenn man den Oligarchen aus Ost und West ihre Spielzeuge wegnähme, änderte das nichts «an den kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen, der Alltäglichkeit des Kapitals».

Aber irgendwo müsse man ja anfangen. Es wäre das erste Kapitel einer neuen Geschichte darüber, was zu Wasser alles möglich ist. Nicht nur Pirat:innen können ein Lied davon singen.

Buchcover von «Die Odyssee»

Lara Williams: «Die Odyssee». Roman. Atlantik Verlag. Hamburg 2022. 256 Seiten. 34 Franken.

Buchcover von «Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän»

Grégory Salle: «Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän». Suhrkamp Verlag. Berlin 2022. 170 Seiten. 26 Franken.