«Triangle of Sadness»: Stinkreich im Scheiss
Brachialer Spass oder bestechende Satire über Klassenfragen? Ruben Östlunds Siegerfilm von Cannes ist in seiner Ambivalenz tatsächlich beides.
Kommt ein Passagier in der Badehose in den Salon, um sich ganz diskret bei der Kabinenchefin zu beschweren. «Kein Ding», raunt er leise, weil es ihm selber ein wenig peinlich ist, aber draussen auf Deck, da arbeite ein Mann von der Crew mit entblösstem Oberkörper. Die Kabinenchefin nickt verständnisvoll, und der Gast in der Badehose möchte dann noch den 28 000 Euro teuren Verlobungsring sehen, der hier für seine Freundin aufbewahrt wird.
Es ist, in ihrer präzisen Beiläufigkeit, eine heimliche Schlüsselszene in Ruben Östlunds «Triangle of Sadness». Der Film ist ja wegen ganz anderer Qualitäten längst notorisch geworden, gleich nach der Premiere in Cannes, wo er dann auch noch mit der Goldenen Palme prämiert wurde. Andere Qualitäten? Gemeint sind die Körpersäfte, die mitten im Film relativ freigiebig ausgeschüttet werden, als der reichen Gesellschaft auf einer 280-Millionen-Dollar-Jacht so richtig schlecht wird. Erst kommt das Kotzfest, dann läuft auf dem Schiff auch die Scheisse über.
Billige Zielscheiben
Stimmt schon, der 48-jährige Schwede scheint in seinen Methoden mit jedem Film grobschlächtiger zu werden, zumal sich Östlund hier eine noch billigere Zielscheibe für seinen Spott ausgesucht hat als zuletzt in «The Square». Nach jener ermüdend stumpfen Satire zum Kunstbetrieb (auch dafür gabs schon die Goldene Palme, ein Witz) führt er diesmal genüsslich die Welt der Superreichen vor, bevor er diesen den schwankenden Boden ihres Wohlstands buchstäblich unter dem Arsch wegsprengt. Schon das Tondesign ist das Gegenteil von subtil: Nach dem Knall mischt Östlund tatsächlich kurz hämisches Möwengeschrei dazu, als wärs Konservengelächter in einer Sitcom.
Soziale Unterschiede sind halt doch geil, wenn du es dir leisten kannst, sie nur zu spielen.
Das war schon bei «The Square» ein Problem: Östlunds Abrechnung mit der Selbstgerechtigkeit eines linksliberalen Kurators hatte ihrerseits etwas Selbstgerechtes. «Triangle of Sadness» reiht sich jetzt in eine ganze Serie von Filmen ein, die in den letzten Jahren mehr oder weniger drastisch die Klassengesellschaft in einer räumlichen Metapher verdichtet haben. Nach dem Hochhaus («High-Rise»), dem Schnellzug in der Eiswüste («Snowpiercer») und der unterkellerten Villa («Parasite») nun also die Luxusjacht, die auf den Dienstleistungsetagen weiter segmentiert ist, mit den uniformierten Stewards und den Putzkolonnen unter ihnen.
Und dann ist da noch der versoffene Kapitän, mit Gusto gespielt von Woody Harrelson. Seine Figur ist als Karikatur eines Salonmarxisten angelegt: Eigentlich könnte er das Schiff steuern, aber seine Macht ist pro forma, und die Rolle als Kapitän erfüllt er nur symbolisch. Erst verschanzt er sich tagelang in der Kabine, und als er für die Gäste doch noch in seine schicke Uniform steigt, endet er beim Zitatebingo mit einem ordinären russischen Kapitalisten (lustig: Zlatko Buric) und schickt dann im Vollsuff politische Predigten durch den Lautsprecher.
Zynismus, verkleidet als Optimismus
Und doch ist längst nicht alles hier einfach nur ein brachialer Spass. Die feine Szene mit dem Mann in der Badehose zeigt leise und in aller Schärfe, wovon dieser Film eigentlich handelt. Ein Gast, selber halb nackt, verpfeift einen anderen Mann, der oben ohne arbeitet – und schaut später ganz entsetzt zu, als der Arbeiter wohl seinetwegen von Bord gehen muss. «Triangle of Sadness» ist letztlich ein grosser satirischer Laborversuch über soziale Gefälle in allen denkbaren Variationen. Der Film annonciert das auch gleich in Grossbuchstaben, wenn im ersten Teil, der in der Modewelt spielt, an einer Modeschau der plakative Slogan aufleuchtet: «Everyone’s equal now». Alle gleichgestellt? Dass das schon hier, im exklusiven Fashionzirkel, reine Augenwischerei ist, zeigt Östlund mit einer einfachen Kamerafahrt, in einem absurden kurzen Theater zur Sitzordnung am Laufsteg.
Was folgt, ist dann so etwas wie ein Thesenstück zur heterosexuellen Dynamik in Rechnungsfragen, penibel durchgespielt zwischen einem männlichen Model (Harris Dickinson) und seiner Freundin (Charlbi Dean), die als Influencerin mehr Geld macht als er. Über Geld zu sprechen, sei einfach nicht sexy, sagt sie im Taxi. Was sie beide sexy finden, sieht man später auf der Jacht, wenn er für sie das Pornoklischee des Poolreinigers spielt, der die reiche Hausfrau verführt. Stereotype und soziale Unterschiede sind halt doch geil, zumindest dann, wenn du dir leisten kannst, sie nur zu spielen.
Auf der Luxusjacht ist jeder Rollentausch nur eine Fantasie der reichen Gäste, die diese auf das Personal projizieren – Zynismus, verkleidet als Optimismus, wie es an anderer Stelle im Film einmal heisst. Man darf hier Carl Schmitt berichtigen: Souverän ist nicht, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Sondern wer für andere bestimmen kann, wann sie sich wie zu amüsieren haben.
Wenn im letzten Teil des Films die soziale Ordnung von Grund auf neu konstituiert wird, verliert Östlund zwar an Biss und Schärfe, und die gar nicht so überraschende Schlusspointe ist auf den ersten Blick ziemlich lahm. Aber sie ist ja vor allem da, damit ganz zuletzt dieser trügerisch banale Satz fallen kann: «Lass uns diesen Augenblick geniessen.» Wer bestimmen kann, welchen Augenblick man gerne geniessen möchte: auch das eine Klassenfrage.
«Triangle of Sadness». Regie und Drehbuch: Ruben Östlund. Schweden 2022. Jetzt im Kino.