Vogelgrippe: Der Abstand schrumpft beängstigend

Nr. 7 –

Die Vogelgrippe verbreitet sich immer stärker, ein Überspringen auf den Menschen wird wahrscheinlicher. Die Massentierhaltung könnte dabei – einmal mehr – die Brücke bilden.

Nerze, welche in engen Käfigen für die Pelzzucht gehalten werden
Beste Bedingungen für Viren: In Pelzzuchten leben Tiere auf engstem Raum – wie diese Nerze in Dänemark. Foto: Mads Claus Rasmussen / Keystone

Erst langsam wird klar, wie gefährlich die Entwicklung sein könnte, an deren Anfang eine Nerzzuchtanlage in der spanischen Provinz Galizien stand. Dort brach im Oktober 2021 eine Epidemie aus. «Zu den klinischen Zeichen gehörten Appetitverlust, übermässiger Speichelfluss, Depression, blutige Schnauzen und neurologische Symptome wie Zuckungen und Zittern», heisst es in einem Bericht spanischer und italienischer Veterinär:innen vom Januar 2023. Ausgehend von einigen Käfigen in der Nähe des Jauchelagers, verbreitete sich die Krankheit allmählich in der ganzen Anlage und führte zum Tod von immer mehr Tieren. Die Betreiber vermuteten zunächst Covid-19 als Ursache. In den Jahren 2020 und 2021 war es in der Gegend wiederholt zu solchen Ausbrüchen in Zuchtanlagen gekommen. Im aktuellen Fall stellten die Veterinärbehörden allerdings fest, dass die hochpathogene aviäre Influenza A/H5N1 (Vogelgrippe) verantwortlich war. Letzten November wurden schliesslich alle Tiere in der Anlage getötet und ihre Überreste beseitigt.

Eine Tierseuche neuer Qualität

Der Ausbruch in Galizien beunruhigt Virologinnen und Veterinäre. Nerze haben wiederholt viralen Krankheiten als «Brückenwirt» hin zum Menschen gedient. Dass eine Ansteckung von Nerz zu Nerz möglich ist, zeigte sich während der Covid-19-Pandemie: bei Ausbrüchen in Pelztierfarmen in Dänemark, den Niederlanden und Spanien. In Dänemark wurde der gesamte Bestand des Landes, fast sechzehn Millionen Tiere, gekeult.

Auch in Galizien kam es zu Covid-19-Fällen unter Mitarbeiter:innen, die von Nerzen infiziert worden waren. Beim Ausbruch im Oktober 2021 scheint dies nicht der Fall gewesen zu sein. Tests der insgesamt zwölf Beschäftigten der riesigen Farm blieben negativ. Elf von ihnen hatten direkten Kontakt mit den Nerzen gehabt. Die Anlage beherbergte die erstaunliche Anzahl von insgesamt 51 986 Nerzen, mithin etwa 4700 Tiere pro Mitarbeiter:in.

In der spanischen Provinz Galizien, am äussersten westlichen Rand Europas, konzentriert sich die Pelztierzucht des Landes. Während in den anderen europäischen Ländern die Produktion zurückgeht, wächst sie in der strukturschwachen und dünn besiedelten Gegend weiter. Eine der Anlagen in der Nähe der Stadt A Coruña hat ihren Bestand vor kurzem sogar verdoppelt. Spanische Tierschützer:innen vermuten, dass sich der Ausbruch in ebendieser Anlage ereignet hat. Aus Datenschutzgründen werde den Anwohner:innen aber nicht mitgeteilt, welche Farmen betroffen seien. So sei das auch während Corona gewesen: Die lokale Bevölkerung erfahre von den Behörden lediglich, ob sie ihr Geflügel noch ins Freie lassen dürfe. Wenn Krankheiten in Zuchtanlagen grassieren, müssen die Tierhalter:innen in der Gegend besonders vorsichtig sein.

Hintergrund ist die beispiellose Vogelgrippe-Epidemie unter Wildvögeln und in Geflügelbeständen. 2020 entstand in den Niederlanden ein neuer Virenstamm mit der Abstammungsbezeichnung H5N1 Klade 2.3.4.4b, der vermehrungsfähiger und ansteckender ist als frühere. Der Erreger verbreitete sich zunächst in Europa, Asien und Afrika, wanderte dann über Island nach Nordamerika und von dort weiter nach Südamerika, wo die Vogelgrippe jahrzehntelang nicht mehr aufgetreten war. Er infiziert Gattungen, die bislang nicht betroffen waren, und dringt in neue Ökosysteme vor.

Diese neue Variante der Vogelgrippe führt seit dem Frühjahr 2021 zu ­einem Massensterben. Schätzungen gehen von mittlerweile über 200 Millionen verendeten Wildvögeln aus. Im Sommer 2022 sanken die Fallzahlen in Europa nicht wie in früheren Jahren, sondern stiegen sogar noch an. Von Oktober 2021 bis September 2022 wurden der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit insgesamt 2520 Ausbrüche bei Geflügel und 3867 Ausbrüche bei Wildvögeln gemeldet. Noch schlimmer ist die Lage in der Geflügelzucht in den USA, wo allein im Januar 2023 knapp 58 Millionen Tiere gekeult werden mussten. An den Meeresküsten wurden ganze Kolonien von Wasservögeln ausgelöscht.

«Die Vogelgrippe hat eine neue Qualität bekommen», sagt Elke Reinking, «sie ist endemisch geworden.» Die Biologin arbeitet am Friedrich-Loeffler-Institut, dem staatlichen tiermedizinischen Forschungszentrum Deutschlands. Das Virus habe die bisherigen regionalen und saisonalen Beschränkungen überwunden.

Eine Tierseuche mit solch verheerenden Ausmassen ist neu. Weil gleichzeitig der Klimawandel die Lebensräume und das Nahrungsangebot für die Wildvögel schrumpfen lässt, befürchten Biolog:innen, dass sich manche Populationen nie mehr erholen werden. Bedrohte Arten könnten aussterben. Allerdings gibt es mittlerweile Hinweise darauf, dass Wildvögel eine gewisse Immunität entwickeln.

Marder als Brücke zum Menschen?

Bei Menschen verlaufen Vogelgrippe-Infektionen oft schwer, in vielen Fällen gar tödlich. Das Virus löst eine Lungenentzündung mit starken Blutungen aus, schädigt aber auch andere Organe, führt unter Umständen etwa zu Gehirnentzündung. Allerdings sind solche Fälle selten, seit 2021 erkrankten nur sieben Menschen weltweit. Ohne engen Kontakt mit einem erkrankten Vogel, etwa durch den Verzehr des Fleisches, kommt es nicht zu einer Infektion, und die Infizierten stecken keine weiteren Personen an. Menschen sind sogenannte Fehlwirte, das bedeutet: eine Sackgasse in der Infektionskette. So verhält es sich auch mit anderen Säugetieren. Bisher wurden Infektionen bei Bären, Ottern, Füchsen, Delfinen und Robben gemeldet.

Die Gattungsschranke schützt uns also vorläufig vor dem Erreger. Aber wird das so bleiben? Krankheitserreger sind an die Lebensweise und das Körpergewebe bestimmter Wirte angepasst – Wissenschaftler:innen sprechen anschaulich vom «Reservoir». Die aviäre Influenza vermehrt sich in erster Linie in den Verdauungsorganen von Vögeln. Dort herrschen andere Temperaturen und ein anderes biochemisches Milieu als in den Atemwegen von Säugetieren, wo sich Influenzaviren üblicherweise festsetzen und vermehren. Die Zellen der Darmwand der Vögel unterscheiden sich zudem durch die Struktur der Sialinsäuren, an die sich die Influenzavirusstränge binden, um dann in die Zellen einzudringen.

Der Ausbruch in Galizien ist so beunruhigend, weil die Vogelgrippe von Säugetier zu Säugetier wanderte. Expert:innen vermuten, dass H5N1 in die Anlage eindrang, als einer der Nerze einen infizierten Wildvogel gepackt und gefressen hat. Danach zirkulierte das Virus auf der Farm, ohne dass Vögel eine Rolle gespielt hätten. Wenn die Vogelgrippe in Nerzen zirkuliert, dann schrumpft unser Sicherheitsabstand erheblich. Denn die Zuchttiere fungieren für Zoonosen wie Mischgefässe, in denen Humanpathogene und tierische Viren aufeinandertreffen und sich verbinden können. Ausserdem haben sie im Gegensatz zu Vögeln mit Menschen physiologisch viel gemeinsam. Die Körpertemperatur, die Proportionen der Atemwege und die Krankheitssymptome bei einer Influenza-Infektion ähneln sich. Aus diesem Grund werden Frettchen – als Marderart eng mit den Nerzen verwandt – als Versuchstiere in der Influenzaforschung eingesetzt.

Eine humanpathogene Vogelgrippe hätte unabsehbare Folgen. Wie häufig Infektionen zum Tod führen, ist umstritten, weil die meisten der milderen Verläufe unerkannt bleiben. Eine gewisse Immunität gegen die Vogelgrippe dürfte bestehen, weil das angeborene Immunsystem den Erreger bekämpft und von einer Kreuzimmunität mit anderen Influenza-A-Viren auszugehen ist. Dennoch könnte die Letalität jene von Covid-19 weit übertreffen. Die Epidemie eines Grippevirus, das sich über die Atemwege verbreitet, lokal einzudämmen, scheint fast aussichtslos: Eine noch schlimmere Pandemie als die jüngste wäre möglich. Die internationalen Überwachungssysteme der Gesundheitsbehörden und der Tiermedizin sitzen auf einem Pulverfass – allerdings ohne zu wissen, wann es explodiert und wo sich die Zündschnur befindet.

Fatale Rolle der Massentierhaltung

Die Massentierhaltung hat Zoonosen wiederholt den Weg geebnet. Im Fall des Coronavirus Mers zirkulierten die Erreger zunächst bei Kamelzüchtern, weil die Tiere in ihren Ställen sowohl engen Kontakt mit Fledermäusen als auch mit Menschen hatten. Zoonosenexpert:innen vermuten, dass gefangene Nerze und Schleichkatzen auch als Brückenwirte zur Entstehung von Sars-CoV-1 und Sars-CoV-2 beigetragen haben. Das hochgefährliche Nipah-Virus schliesslich geht auf Flughunde zurück und fand seinen Weg über die Schweinezucht zum Menschen.

Insofern ist die Pelztierzucht in ihrer gegenwärtigen Form geradezu fahrlässig. Die Tiere leben auf engem Raum, was Epidemien begünstigt. Sie unterscheiden sich in ihren Erbanlagen – und damit auch in ihren Immunreaktionen – nur wenig, weil der ganze Bestand einer Anlage von wenigen Weibchen mit dem schönsten Fell abstammt. Fotoaufnahmen aus der galizischen Zuchtanlage zeigen Reihen von Käfigen unter einem Wellblechdach, auf dem Möwen sitzen. Zur Seite hin sind die Schuppen offen. Gefüttert werden die Nerze mit einer Paste aus Schlachtabfällen der Geflügelindustrie, die auf ihre Käfige geschmiert wird. Dieses Futter lockt auch Vögel an.

Und doch warnen die Zoonosen­expert:innen vor Panik. Sie verweisen auf die geringe Zahl menschlicher Infektionen und betonen, dass das Influenzavirus noch einige Hürden überwinden müsste, um sich dauerhaft bei Säugetieren einzunisten. Unterdessen greifen die Behörden zu Massnahmen, um die Geflügelbestände zu schützen. In der Schweiz und Teilen von Deutschland gilt bereits eine Stallpflicht, um den Kontakt mit Wildvögeln zu verhindern. In Asien, dem Nahen Osten und Nordafrika kommen schon seit vielen Jahren Impfungen zum Einsatz. Nun sollen auch Zuchttiere in Europa gegen die Grippe geimpft werden. Die Europäische Arzneimittel-Agentur prüft einen Zulassungsantrag, während die Europäische Kommission an einem entsprechenden Gesetz arbeitet. Schon in den nächsten zwei bis drei Monaten könnte die Impfung in Europa erlaubt werden.

Die Gefahr, dass sich die aviäre Influenza irgendwann unter Menschen ausbreitet, ist damit allerdings nicht gebannt. Denn das Virus wird trotz der Immunisierung weiter in den Hühnerbeständen zirkulieren und sich evolutionär weiterentwickeln – und gerade die Influenza hat sich als enorm anpassungsfähig erwiesen.