Bezahlbarer Wohnraum: Prilly zeigt, wie es gehen könnte

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In einer Gemeinde bei Lausanne ist ein Konflikt um ein Baugrundstück entbrannt: Die Gemeinde will es kaufen, bürgerliche Parteien klagen dagegen.

Eine noch unverbaute Wiese in Lausanne
Eine der letzten freien Wiesen am westlichen Rand von Lausanne: Die Frage ist, ob hier renditeorientierte oder preisgünstige Wohnungen gebaut werden. Foto: Ursula Häne

Maurizio Mattia scrollt durch eine Immobilienplattform. «Hier», sagt er. «2,5 Zimmer für über eine Million. Und für diese 4,5-Zimmer-Wohnung verlangen sie 1,75 Millionen Franken.» Nicht nur für potenzielle Käufer:innen steigen in Prilly die Preise immer weiter an, auch die Mieten werden unaufhörlich teurer. In den vergangenen zwanzig Jahren sind sie laut Angaben der Gemeinde um rund vierzig bis fünfzig Prozent gestiegen.

Das 12 500 Einwohner:innen zählende Prilly ist kein besonders schöner Ort. Er zieht sich lange und zentrumslos an einer Hauptstrasse entlang, etwas Industrie, viele gesichtslose Wohnblöcke. Teuer ist die Gemeinde, weil sie unmittelbar an Lausanne grenzt. «Der ganze Westen der Stadt ist zu einer einzigen grossen Agglomeration zusammengewachsen», sagt Mattia, der für die Grünen in der fünfköpfigen Gemeindeexekutive sitzt. Leerwohnungsziffer in Lausanne Ouest: rund 1,3 Prozent. Leerwohnungsziffer in Prilly: 0,88 Prozent.

Ratsrechte verliess den Saal

Um der Wohnungsnot entgegenzuwirken, können Gemeinden der bevölkerungsreichsten Westschweizer Kantone Genf und Waadt zu einem Mittel greifen, das die Restschweiz bisher nicht kennt: dem Vorkaufsrecht. Nachdem der Kanton Genf das Mittel schon seit 1978 anwendet, hat die Stimmbevölkerung der Waadt 2017 einem entsprechenden Passus zugestimmt. So haben die Waadtländer Gemeinden seit 2018 das Recht, bei einem Verkaufsabschluss über ein Grundstück mit oder ohne bereits existierende Immobilie ihr Veto einzulegen und es zum Preis, der zwischen den privaten Parteien ausgehandelt wurde, zu erwerben – dies zu den Grundbedingungen, dass im betroffenen Distrikt die Leerwohnungsziffer unter 1,5 Prozent liegt und die Gemeinde das Grundstück für gemeinnützigen Wohnungsbau nutzt.

Portrait Maurizio Mattia, Gemeinderat
Maurizio Mattia, Gemeinderat Foto: Ursula Häne

Das Grundstück, das die Gemeinde Prilly kaufen will, ist eine der letzten grossen Wiesen im Ort – und so gross wie drei Fussballfelder. Für 62 Millionen Franken wollten es die drei Immobilienunternehmen Equitim Fondation de placement, HRS Investment und Realitim einer privaten Besitzerfamilie abkaufen. Mattia, der im Gemeinderat für das Projekt zuständig ist, sagt: «Es war eine der letzten Chancen, in die Raumentwicklung der Gemeinde einzugreifen. Denn wir haben fast kein Bauland mehr.»

Seit den letzten Wahlen 2021 ist Prilly in der Exekutive wie auch im Parlament linksgrün dominiert. Mit bürgerlichem Widerstand hatte Mattia zwar gerechnet, nicht aber mit diesem Ausmass: Beide Male, als das Geschäft im Gemeindeparlament traktandiert war, verliess die grosse Mehrheit der rechten Ratshälfte den Saal – mit dem Ziel, die Beschlussfähigkeit des Rates zu sabotieren. Was am Ende knapp nicht gelang, aber doch viel über die politische Brisanz des angestrebten Kaufgeschäfts in Prilly aussagt.

Auch gesamtschweizerisch ist der Leerwohnungsbestand derzeit mit 1,31 Prozent historisch tief. Am knappsten ist das Angebot an günstigem Wohnraum – und das längst nicht mehr nur in grossen Städten, sondern auch in Agglomerationen und Kleinstädten. Das Vorkaufsrecht als Instrument, um Immobilien dem spekulativen Markt zu entziehen, stösst deshalb auch in der Restschweiz auf Interesse: Gemäss einer Umfrage des Städteverbands stufen zwei Drittel der städtischen Exekutiven ein Vorkaufsrecht als «eher oder sehr zweckmässig» ein.

Im Kanton Zürich sammelt derzeit ein breites Bündnis aus SP, Grünen, GLP, Mitte, EVP, AL und Wohngenossenschaften Unterschriften für ein Vorkaufsrecht. Pascal Bassu, SP-Stadtpräsident von Wetzikon und Mitglied des Initiativkomitees, sagt, ausserhalb der grossen Städte wachse das Bewusstsein für das Thema Wohnpolitik erst langsam: «In der Vergangenheit hat man aus dem Gefühl heraus, dass ausserhalb der Zentren ja kein Mangel an günstigem Wohnraum herrsche, Grundstücke gedankenlos aus den Händen gegeben.»

Doch das Beispiel Prilly zeigt, dass kleinere Gemeinden bei der Umsetzung des Vorkaufsrechts vor grossen Hürden stehen. In der Westschweiz sind es bislang vor allem die Städte Genf und Lausanne, die davon Gebrauch machen. Ausserhalb sind dafür nicht nur die politischen Mehrheiten schwieriger zu bekommen, entscheidend ist auch die Geldfrage. Prilly hat ein Jahresgesamtbudget von rund 70 Millionen Franken – allein schon die 62 Millionen für das Grundstück, auf dem dann 200 bezahlbare Wohnungen entstehen sollen, sprengen dieses also bei weitem. Der Gemeinderat hat deshalb einen Deal mit der grössten Lausanner Wohnbaugenossenschaft SCHL geschlossen: Diese soll der Gemeinde das Grundstück nach deren Kauf sofort wieder abnehmen und auf eigene Rechnung bebauen.

Zwei Klagen und eine Beschwerde

Es ist dieses Geschäft, das in Prilly Vertreter:innen von SVP bis GLP auf die Barrikaden steigen lässt: Die gesetzlich garantierte Wettbewerbsfreiheit werde verletzt, argumentieren sie. An vorderster Front gegen das Geschäft mobil macht auch der Genfer FDP-Nationalrat und Hauseigentümer:innenlobbyist Olivier Feller, der im Parlament immer wieder mit radikalen Vorstössen den Mieter:innenschutz angreift.

Das Waadtländer Gesetz, das das Vorkaufsrecht regelt, hält fest: Wenn eine Gemeinde Bauland nicht im Baurecht abgeben könne, dürfe sie es über ein öffentliches Verfahren weiterverkaufen. Laut Gesetz hat die Gemeinde jedoch ab Ausschreibung eines Objekts nur vierzig Tage Zeit, sich zum Kauf zu entschliessen. In so kurzer Zeit jedoch, so Mattia, sei kein öffentlicher Bauwettbewerb zu machen: «Aber wenn Gemeinden wie wir keinen garantierten Abnehmer haben, können sie es sich nicht leisten, grosse Grundstücke für den gemeinnützigen Wohnungsbau zu kaufen.» Vor diesem Hintergrund müsse das Handeln von Prilly als politischer Akt verstanden werden, sagt Mattia. «Wir sind vorgeprescht, um zu schauen, was passiert.»

«Passiert» sind zwei Klagen und eine Beschwerde. Die bürgerlichen Ortsparteien bekämpfen den Kauf vor dem Staatsrat, der Verkäufer und die um den Erwerb gebrachten Immobilienfirmen sind ans Zivilgericht gelangt. Die Instanzen müssen nun beurteilen, ob das Vorgehen von Prilly rechtens war. Die Gemeinde profitiert in ihrer Argumentation davon, dass das Gesetz betreffend das öffentliche Verfahren schwammig formuliert ist. Die verlangte «Adjudication publique» kann sowohl mit «Ausschreibung» als auch mit «Zuschlagserteilung» übersetzt werden. Die Gemeinde stellt sich deshalb auf den Standpunkt, die Publikation des Verkaufs an die Wohnbaugenossenschaft SCHL im Amtsblatt habe die gesetzliche Forderung genügend erfüllt.

Die Bürgerlichen fürchten, dass das Beispiel von Prilly Schule machen wird. Viele Gemeinden hätten tatsächlich bereits Interesse am Vorgehen von Prilly bekundet, bestätigt Mattia. «Und vielleicht gibt es am Ende ja sogar einen Bundesgerichtsentscheid.»

Mietzinse : Kontrolle gefordert

Die Situation für Mieter:innen spitzt sich zu. Zum Wohnungsmangel und zu den ohnehin schon steigenden Mietpreisen kommen die hohen Energiekosten und – erstmals seit seiner Einführung – wohl bald eine Erhöhung des Referenzzinssatzes. Der Verband der Mieterinnen und Mieter (MV) hat am Montag an einer Pressekonferenz Massnahmen von der Politik gefordert. Er will in erster Linie eine Mietzinskontrolle. Nach geltendem Recht müssen Mieter:innen individuell gegen missbräuchlich hohe Mieten vorgehen. Oft trauten sie sich nicht, ihre Rechte einzufordern, argumentiert der MV. Deshalb brauche es einen institutionellen, automatischen Kontrollmechanismus der Mietzinsen und Renditen.

Zudem fordert der MV unter anderem für die ganze Schweiz ein Vorkaufsrecht nach Westschweizer Beispiel, Zonen für den gemeinnützigen Wohnungsbau und die Aufhebung der Lockerungen im Gesetz über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (Lex Koller). Bund, Kantone und Gemeinden müssten ihre Arbeit zugunsten einer nationalen Wohnungsstrategie und der Kontrolle des Bodens im Interesse der Bevölkerung koordinieren. Der Verband ruft überdies dazu auf, neue Angriffe der Immobilienlobby auf das Mietrecht abzuwehren: In der Frühlingssession wird im Nationalrat ein Abbau des Kündigungsschutzes debattiert.