Anleitung zur Enteignung: «Solange die Schweizer nicht das Weltall erobern»

Nr. 17 –

Von der Allmende über die Bodeninitiative zur Enteignung der CS-Immobilien: Die Geschichte der Gemeingüter in der Schweiz weist einen Weg aus der Wohnungskrise.

Illustration: eine Person spielt das Spiel Monopoly und hält viele Häuser in der Hand

«Uns gehen die Wohnungen aus», («Beobachter», 2. März), «In der Schweiz fehlen bald 50 000 Wohnungen» («Die Zeit», 20. April), «Im Aargau wurde für eine Asylunterkunft 49 Mietern gekündigt» («Watson», 27. Februar): So lauten einige der Schlagzeilen, die in den letzten Monaten die Wohnungskrise in der Schweiz zum Thema hatten. Auffällig an den Berichten ist: Allzu gerne wird die Wohn- sogleich mit der Asyl- und Migrationsdiskussion vermischt und die Knappheit an Wohnungen auf die Einwanderung zurückgeführt: Da kommt ja eine Kleinstadt pro Jahr!

Als ob es nicht andere, etwas kompliziertere Treiber dafür geben würde, dass die Leerwohnungsziffer als wichtigster Indikator auf dem Wohnungsmarkt speziell in den Zentren derzeit tief ist. Auf der Seite der Nachfrage ist die Zunahme von Haushalten mit nur ein oder zwei Personen zu nennen als Folge von Individualisierung und gestiegener Lebenserwartung: In den letzten drei Jahrzehnten ist gemäss dem Bundesamt für Statistik die fürs Wohnen genutzte Fläche fast doppelt so stark gewachsen wie die Bevölkerung.

Auf der Seite des Angebots macht sich der Einfluss von privaten, renditegetriebenen Gesellschaften als Vermieter bemerkbar. Ihr Anteil stieg in der Stadt Zürich laut offiziellen Daten im gleichen Zeitraum um sechs Prozentpunkte, während jener von gemeinnützigen Wohnungen sogar um zwei Punkte gesunken ist. Nimmt günstiger Wohnraum mit Vorschriften zur Mindestbelegung ab, wächst die Wohnfläche pro Person ebenfalls.

Nur wenig diskutiert wird, wie das Geschäft mit dem Boden funktioniert, auf dem die Häuser stehen. Kann und soll es sich überhaupt um einen Markt handeln, wo doch der Boden zu den nicht vermehrbaren Gütern gehört, die für alle lebensnotwendig sind? Wäre es zielführender, den Boden und die Häuser nicht länger als Anlagekategorie zu verstehen, sondern mittels Enteignung oder Vergesellschaftung an die Allgemeinheit zurückzugeben? Was bei der Nutzung von Wasser, das die meisten lieber nicht Nestlé überlassen möchten, unmittelbar einleuchtet, scheint beim Boden oft vergessen zu gehen.

Hier deshalb ein Vorschlag, wie sich die Idee der Vergesellschaftung voranbringen lässt. Erstens braucht es dafür historisches Bewusstsein, zweitens die Kenntnis der rechtlichen Situation und drittens einen Plan – beispielsweise die CS-Immobilien zu enteignen, wie ein neues Bündnis vorschlägt.

1. Historisches Bewusstsein

Geht es nach dem International Property Rights Index, schützt die Schweiz das Privateigentum wie kaum ein anderes Land. Auf dem Barometer, das von der marktradikalen US-Stiftung Tholos erhoben wird, befand sich die Schweiz 2022 auf Rang drei hinter Finnland und Singapur. Doch ist die Geschichte der Schweiz als Steueroase, Garantin der Pharmapatente und Hort von Oligarchengeldern bloss die halbe Wahrheit. Schliesslich gibt es hierzulande seit dem Mittelalter erfolgreiche Beispiele kollektiven Wirtschaftens, so etwa die Allmenden in den Alpen, wie sie die preisgekrönte Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom beschrieb.

Überhaupt bestimmen gemeinwirtschaftliche Institutionen zwischen Staat und Markt den Alltag bis heute: angefangen bei den Lebensmittelgrossverteilern Migros und Coop, die als Genossenschaften organisiert sind, über Wasserwerke und Stromproduzenten, die sich meist im öffentlich-rechtlichen Besitz befinden, bis zum Service public mit Bahn und Postauto. Auch Wohnbaugenossenschaften, wie sie linke Stadtregierungen seit Anfang des letzten Jahrhunderts fördern, zeigen: Gemeinsinn und Gemeingüter statt Eigennutz und Privateigentum führen meist zu günstigeren Lösungen.

In diese Sicht auf die Geschichte passt, dass das Boden- und Mietrecht beständig umstritten war. Fast visionär wirkt eine Rede, die der Luzerner Nationalrat Anton Muheim, ein gestandener Sozialdemokrat, 1967 an der Jahrestagung des Schweizerischen Verbands für Wohnungswesen hielt. Es sei absehbar, dass in der Schweiz bis in fünfzig Jahren über zehn Millionen Einwohner:innen leben würden, lautete seine fast zutreffende Prognose.

Statt über die «Überfremdung» zu lamentieren, wie die Zuwanderung damals genannt wurde, stellte Muheim fest: «Solange die Schweizer nicht als Raumfahrer einen Teil des Weltalls erobern, sondern noch mit beiden Beinen auf dem Boden unseres irdischen Territoriums stehen, werden sich innerhalb der gleichen Grenzen immer mehr Menschen zusammendrängen müssen. Es muss durch eine sinnvolle Bodenordnung dafür gesorgt werden, dass das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum erträglich ist und bleibt.»

Die SP hatte damals mit den Gewerkschaften die Bodeninitiative lanciert. Zur Verhinderung der Wohnungsnot sollte eine Landes-, Regional- und Ortsplanung eingeführt werden. Bund und Kantone hätten ein Vorkaufsrecht bei Grundstücksverkäufen zwischen Privaten erhalten – und Grundstücke gegen Entschädigung enteignen dürfen. Die bürgerlichen Parteien warnten auf drastischen Plakaten vor der «Verstaatlichung des Bodens» und der «sozialistischen Bodeninitiative». Das Anliegen scheiterte mit einer Zweidrittelmehrheit. Wenn heute linke Parteien im Kanton Zürich per Initiative wieder ein Vorkaufsrecht für den Staat fordern, dann erkennt man, wie hellsichtig die damaligen Forderungen waren.

2. Juristische Klärungen

Wie es ums Eigentum in der Schweiz steht, hält Artikel 26 der Verfassung fest: «Das Eigentum ist gewährleistet.» Ausnahmen sind dennoch vorgesehen: «Enteignungen und Eigentumsbeschränkungen, die einer Enteignung gleichkommen, werden voll entschädigt.» Das Vorgehen im Detail regelt das «Bundesgesetz über die Enteignung». Darin heisst es: «Das Enteignungsrecht kann geltend gemacht werden für Werke, die im Interesse der Eidgenossenschaft oder eines grossen Teils des Landes liegen.» Zu Enteignungen kommt es regelmässig, bekanntlich gibt es einige Werke, die im sogenannt eidgenössischen Interesse liegen. Dazu gehört der Bau von Autobahnen, Eisenbahnlinien und Flugplätzen. Auch für Strom- und Wasserleitungen wird enteignet – und natürlich fürs Militär.

Ob auch der Wohnungsbau im Interesse des Landes liegen könnte, wäre juristisch auszutesten: Enteignungen, die nicht wie die neuste Autobahnausfahrt an einen spezifischen Ort geknüpft sind, gelten gemäss Fachleuten zwar als unverhältnismässig. Dass der Bund in der Wohnungskrise untätig sein muss, stimmt allerdings nicht. Etwas weiter hinten in der Verfassung heisst es nämlich in Artikel 108: «Der Bund fördert die Beschaffung und Erschliessung von Land für den Wohnungsbau, die Verbilligung des Wohnungsbaus sowie der Wohnkosten.»

Die Möglichkeit zur Enteignung und die Förderung von günstigem Wohnraum als Ziel sind also in der Verfassung vorhanden. Bloss ist damit das Hauptproblem der Enteignung nicht gelöst: Ändern würde sich nur der Träger des Eigentums. Gewiss würde der Staat als Besitzer von Boden und Wohneinheiten weniger auf Rendite pochen als eine private Gesellschaft – aber eine gemeinwirtschaftliche Verwaltung der Immobilien, eine Vergesellschaftung eben, wäre damit noch nicht erreicht.

3. Der CS-Plan

Wie eine solche aussehen könnte, zeigt das Bündnis «CS-Immobilien enteignen», das letzte Woche eine Petition gestartet hat. Der zivilgesellschaftliche Zusammenschluss wurde von Mietaktivist:innen in Zürich, Bern und Basel gegründet. Sie fordern, dass die rund 23 000 Wohnungen, die von der Grossbank in Immobilienfonds verwaltet werden, sofort in das Eigentum der öffentlichen Hand übergehen (nicht betroffen wären die Wohnungen der CS-Anlagestiftungen). In einem zweiten Schritt soll dann in einem partizipativen Prozess unter Einbezug der Mieter:innen entschieden werden, wie und in welcher Form die Liegenschaften vergesellschaftet werden. «Damit soll für die Schweizer Bevölkerung, die die ‹Rettung› der CS mit ihren Steuergeldern garantiert, langfristig bezahlbarer Wohn- und Arbeitsraum gesichert werden», heisst es in der Petition.

«Eine Enteignung der Immobilienfonds ist deutlich einfacher als die des Grundstückes von Herrn Müller», führt Sabeth Tödtli aus, eine Sprecherin des Bündnisses. «Nach einem Wechsel der Fondsleitung könnten die Verträge gekündigt und die Fonds aufgelöst werden.» Selbstverständlich sei dem Bündnis klar, dass davon nicht nur die CS selbst betroffen wäre, sondern auch die Anleger:innen der Fonds, wozu auch Pensionskassen gehörten. «Dank Gebühren und Verwaltungskosten sind die Fonds für die CS aber unbestritten ein lukratives Geschäft.» Auch wolle man den Anleger:innen ihr Vermögen gar nicht streitig machen: «Sie werden natürlich entschädigt und können ihr Geld woanders anlegen. Wir nehmen ihnen nur die Möglichkeit weg, mit diesen Häusern weiterhin Gewinne zu erwirtschaften.»

Vom Plan profitieren würden laut Tödtli die Mieter:innen, zu denen auch viele Pensionär:innen zählten, die unter der Gentrifizierung litten. Die Vergesellschaftung würde sich nicht gegen ihre Altersguthaben richten, sondern gegen Gewinne der Banken und Versicherungen über Mieten und Renten. «Die Reaktionen auf die Petition sind stark. Tausende haben sie schon unterschrieben», erzählt Tödtli. «Einige werfen uns vor, wir hätten keine Ahnung. Andere fragen, wieso wir nicht alle Immobilienfonds enteignen. Ich würde sagen: Wir fangen jetzt einfach mal an!»

Zahlreiche Informationen in diesem Text stammen aus dem lesenswerten Denknetz-Jahrbuch 2022 «Boden, Wohnen, Leben». Die Rede von Anton Muheim, «Die Schaffung eines neuen Bodenrechts», findet sich bei E-Periodica. Die Petition unterschreiben kann man auf www.cs-immobilien-enteignen.ch.

Enteignung zum Zuhören

Des WOZ-Specials zum Thema «Enteignen und Vergesellschaften» nimmt sich auch der Podcast «Hörkombinat :Politik» mit Elvira Isenring und Dominik Dusek an.

Zu hören sein wird in der neusten Folge Sabine Nuss, die auf der folgenden Doppelseite die Geschichte des Eigentums erläutert.

Das Hörkombinat ist ab Sonntag (30. April) überall dort zu finden, wo es gute Podcasts gibt.

 

Recherchierfonds

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