Sexismus im Kino: Männer kämpfen in Zeitlupe, Frauen ziehen sich aus
Nina Menkes zeigt an der Berlinale, wie hartnäckig sich das männlich geprägte Blickregime des Kinos bis heute hält – derweil bittet Ruth Beckermann lauter Männer zum Casting rund um einen erotischen Skandalroman.
Die Behauptung, dass Frauen auf der Leinwand dazu da seien, angeschaut zu werden, erscheint erst mal völlig banal. Wozu denn sonst, möchte man zurückgeben, und gilt das denn nicht auch für Männer? Man muss tatsächlich genauer hinsehen, um zu erfassen, wie unterschiedlich das Kino seit jeher die Geschlechter inszeniert – und welche Folgen das für Frauen vor und hinter der Kamera hat.
Die US-Filmemacherin Nina Menkes führt es an der Berlinale in ihrem Film «Brainwashed: Sex – Camera – Power» vor, der auf einem Vortrag von ihr basiert. Wenn sie nun eine Verbindung zwischen dem Sexismus auf der Leinwand und der strukturellen Benachteiligung von Frauen in der Filmindustrie zeichnet, um diesen Zusammenhang dann mit dem Hinweis auf die nicht abreissenden Skandale um Missbrauch und sexuelle Übergriffe zu einem Dreieck zu erweitern – dann fühlt man sich richtiggehend wie in einem Verschwörungsthriller. Je länger man Menkes’ Beweisführung anhand von rund 175 Filmbeispielen folgt, desto mehr nimmt die Paranoia aber auch wieder ab. Denn Menkes mag in manchem polemisch übers Ziel hinausschiessen, doch was sie zeigt, hat nichts mit Einbildung oder Wahn zu tun.
Die Frau im Visier
Ob Ingrid Bergman im vollen Scheinwerferlicht oder Uma Thurman nur bis zum entblössten Nabel: Frauen sind das Objekt im Kino. Sie werden nicht nur vom Publikum im Saal betrachtet, sondern sind im Film selbst oft die Angeschauten, mal als Ganzes, mal nur in Körperteilen. Im Schnitt, in der Kadrierung und im Licht ist dieser «männliche Blick» dem Kino seit 120 Jahren gleichsam als Grammatik eingeschrieben – und das so sehr, dass selbst Filme von Regisseurinnen wie Kathryn Bigelow ihr folgen.
Das mag als Beobachtung nicht neu sein, und Menkes lässt unter anderem auch die britische Filmtheoretikerin Laura Mulvey zu Wort kommen, die den Begriff «male gaze» einst geprägt hat. Doch im Zeitalter von #MeToo kommt dieser These nochmals eine neue Brisanz zu. Und so plump die althergebrachten Methoden des Kinos manchmal erscheinen – Männer werden in natürlichem Licht an realen Orten gezeigt, während man Frauen per Scheinwerfer und Streulicht ins Passiv-Unwirkliche versetzt –, so schlagend viele Beispiele finden sich dafür gerade auch in neusten Filmen.
Ein technisch so neutrales Mittel wie die Zeitlupe etwa wird bei Männern immer noch bevorzugt benutzt, um sie in kämpferischer Aktion zu zeigen, bei Frauen jedoch beim Ausziehen. Dass nicht jedes sehnsüchtig-voyeuristische Verweilen auf Körpern gleich Sexismus sein muss und dass ihr Vortrag das heteronormative Spektrum kaum verlässt: Das räumt Menkes selbst ein. Sie sei nicht die Sexpolizei, sagt sie dazu im Film, sondern sie wolle aufrütteln. Eines erfüllt sie mit «Brainwashed» in jedem Fall: Mit ihrem Film schärft sie das Bewusstsein dafür, zu unterscheiden, wo Frauen zur Zierde eingesetzt werden und wo sie selbst das Narrativ vorantreiben.
Auf den Filmfestivals dieser Welt bemüht man sich unterdessen, diese alten Muster zu durchbrechen, und als gängiger Massstab dafür gilt der Frauenanteil bei der Regie. Bei der diesjährigen Berlinale liegt dieser insgesamt bei vierzig Prozent. Im Wettbewerb um den Goldenen Bären stammen diesmal sieben von insgesamt achtzehn Filmen von Frauen, im zweiten Wettbewerb, den innovativen «Encounters», sind es noch vier von fünfzehn. Von Parität kann also keine Rede sein, aber als Schreckgespenst steht sie schon im Raum: Warum eigentlich niemand von «toxischer Weiblichkeit» rede, so hört man einen der Protagonisten in Ruth Beckermanns Essayfilm «Mutzenbacher» fragen.
Obszönitäten im Chor
Beckermann hat eine bestechend einfache Form gefunden für ihre Auseinandersetzung mit «Josefine Mutzenbacher», dem wegen Kinderpornografieverdacht skandalumwitterten erotischen Roman von 1906. Die Regisseurin hat ausschliesslich Männer – jeden Alters, jeden Gewichts und aller Hautfarben – zum Casting gebeten. Ihr Film selbst zeigt nun diese Castingaufnahmen: Sie lässt die Männer Stellen aus dem «Mutzenbacher»-Text vorlesen, animiert sie dazu, Szenen nachzuspielen, oder unterhält sich einfach mit ihnen darüber, was der Text in ihnen auslöst. Zwischendurch lässt sie sie im Chor das laute Skandieren von Obszönitäten üben.
Das Ergebnis ist erstaunlich, erhellend und berührend. Beckermann führt die Männer nicht vor, sondern ermöglicht in ihrer Versuchsanordnung von Spiel, Lesung und Interview eine Offenheit, in der der «male gaze» noch einmal ganz anders problematisiert werden kann: nicht als Schuldzuweisung, sondern als Erfahrung.