Wichtig zu wissen: Die Brandenburger Toren

Nr. 8 –

Ruedi Widmer über Friedensinitiativen, Bimmelköpfe und Grüne

Die Manifestantinnen und Friedensaktivistinnen in eigener Sache (Parteigründung) Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer beziehungsweise ihre Mitunterzeichner:innen wie Theologin Margot Kässmann oder Satirekollege Martin Sonneborn, aber auch der sich für Verhandlungen (aber wer mit wem?) starkmachende Philosoph Jürgen Habermas werden diesen Samstag an der Grossdemo am Brandenburger Tor ihr hellblaues Wunder erleben oder gar ihr weiss-blau-rotes, wenn sie inmitten von AfD-Wimpeln und Reichskriegsfahnen ihren Friedenspakt mit dem eurasischen Eroberer Wladimir Putin schliessen werden. Was sie de facto tun, auch wenn sie den russischen Angriff offiziell nicht abstreiten. Auch dürften die Bimmelköpfe unserer postcoronalen Innerschweizer Trychlervereine nach der Sicherheitskonferenz letztes Wochenende in München wohl ebenso nach Berlin fahren und dort ihre mit Kantons- und neuerdings Russlandfahnen bestickten Chutteli vorführen.

Als Befürworter der Ukrainehilfe bin ich in den Augen vieler dieser deutschen Linken, die Wagenknecht und Schwarzer folgen, ein Transatlantiker oder Bellizist, eine Kriegsgurgel, ein Nato-Anhänger. In der Schweiz dagegen scheinen mir viele Linke in der Ukrainefrage tendenziell doch näher bei den deutschen Grünen als bei der SPD oder der Partei Die Linke. Das liegt wiederum an unserer Geschichte, an der engen Verflechtung unserer Schweizer Finanzinstitute und deren Vertreter:innen in der rechtsbürgerlichen Politik mit der Oligarchie Moskaus. Deren «Neutralität» ist nichts anderes als ein Bekenntnis zum Kreml. Das Nein der Schweizer Grünen zu ausserordentlichen Waffenlieferungen ist wiederum als Selbstverständnis der Antirüstungspartei nachvollziehbar, die im Gegensatz zu den deutschen Grünen ihre Position nicht geändert hat. Bei manchen deutschen Grünen-Mitgliedern käme dies gut an. Warum die Schweiz allerdings Waffen in Länder liefert, die Angriffskriege starten (Saudi-Arabien), und in solche nicht, deren Bevölkerung sich gegen einen mörderischen Überfall mit Genozidabsicht verteidigt, muss die unheilige Allianz von Chiesa und Glättli mal erklären.

Teile der deutschen Nachkriegslinken empfinden umgekehrt grob gesagt einen starken Antiamerikanismus und zugleich ein historisch hergeleitetes Unwohlsein über «Deutschland». Deutschland ist bei ihnen immer noch unterschwellig nationalsozialistisch oder aber amerikanisch gesteuert und Russland Opfer und immer noch sozialistisch. Das deckt sich natürlich teilweise mit der Sicht der Rechtsextremen, die Deutschland für eine Firma oder einen Unrechtsstaat halten.

Von der Ukraine spricht bei solch geopolitischem Lärm aus dem Internet niemand. Das Land ist das gewohnt, es wird halt einfach ein weiteres Mal in seiner Geschichte überrannt. Es hat nichts zu sagen und sich für den Herrn in Moskau schön zu machen. Nicht gerade das Narrativ, das man gemeinhin mit Alice Schwarzer verbindet. Es muss schon ein US-Präsident da hinreisen, um dem unsteten Europa den Ernst der Lage zu demonstrieren.

Immerhin, und das dürfte Wagenknecht gefallen, möchte der putinhörige tschetschenische Präsident und Generaloberst der russischen Streitkräfte, Ramsan Kadyrow, die DDR wieder errichten. Laut Wikipedia sagte der muslimische Kadyrow im Jahr 2010 zudem, dass die Scharia über Russlands Gesetzen stehe und dass die Feinde des Islam beseitigt werden sollten. Das geschieht der AfD Sachsen und Schwarzer fast ein bisschen recht.

«Naivität» ist ein hartes Wort. Ebenso der Begriff «unlauter». Aber so oder so kommt mir diese innenpolitisch motivierte deutsche «Friedensinitiative» vor.

Die friedliebende russische Vaterfigur will derweil auch Belarus und Moldawien heim ins Reich holen.

Ruedi Widmer ist Cartoonist und publiziert auch manchmal Bellizistik.