Führungskrise in der SPÖ: «Ein klasser Bursch»

Nr. 15 –

Bei den österreichischen Sozialdemokrat:innen herrscht plötzlich Aufbruchstimmung: Anti-Establishment-Politiker Andreas Babler könnte das Rennen um den Parteivorsitz gewinnen. Wird er die nächste Rechts-ultrarechts-Koalition verhindern?

Andreas Babler an einem «Kinderessen neu denken»-Anlass in Traiskirchen
Der Kandidat nicht nur der Jungen und Linken: Andreas Babler an einem «Kinderessen neu denken»-Anlass in Traiskirchen. Foto: Robert Jäger, Keystone

Einer altbackenen linken Redewendung zufolge ist die Sozialdemokratie der Arzt am Krankenbett des Kapitalismus, doch in Österreich muss die Partei selbst bald in die Notaufnahme. Und in diese Lage hat sie sich vornehmlich selbst gebracht.

Das Land ist in einer schweren politischen Krise, die Staatsanwaltschaften ermitteln gegen die Hälfte der rechts-konservativen Kamarilla, den Boulevard und sonstige «Stützen der Gesellschaft», aber dennoch ging es mit der Oppositionspartei SPÖ nach einem kurzzeitigen Hoch in den Umfragen stetig bergab. Bei einigen Landtagswahlen setzte es herbe Verluste. Bundesweit dümpelt die Partei dahin, in allen Erhebungen wäre gegenwärtig die rechtsextreme FPÖ stärkste Partei. Jetzt ist die Führungskrise in der SPÖ offen ausgebrochen. Ein Mitgliedervotum soll klären, wer die Partei anführen soll.

«Der gute Mensch von Traiskirchen»

Doch plötzlich ist so etwas wie Aufbruchstimmung aufgekommen. Rund 9000 neue Mitglieder sind praktisch über Nacht der Partei beigetreten. Und ein geerdeter, bodenständiger linker Anti-Establishment-Kandidat hat realistische Chancen, den Wettstreit zu gewinnen: Andreas Babler, gerade eben fünfzig geworden, Bürgermeister der Kleinstadt Traiskirchen am Rand Wiens.

Allgemein ist Babler schon als «der gute Mensch von Traiskirchen» bekannt. Er hat den Zuspruch der Parteibasis, die sich nicht mehr gehört fühlt, er ist ein Linker, der sich in Menschenrechtsfragen gegen den rechten Mainstream stellt, aber zugleich kultiviert der frühere Maschinenschlosser und Fabrikarbeiter seine Volksnähe. Darin ist er authentisch, dadurch wird er auch in weiten Teilen der arbeitenden Klassen als ­«einer von uns» und «unsere Stimme» wahrgenommen. Auf der Links-rechts-Achse ist er links, auf der nicht minder wichtigen Oben-unten-Achse verkörpert er das «unten» gegen «das Establishment».

Vor sieben Jahren holte Babler in seiner 19 000-Seelen-Kommune sagenhafte 73 Prozent der Stimmen, 2021 verlor er nur unwesentlich und erreichte knapp 72 Prozent.

Dass es überhaupt so weit kommen konnte, dass ein Hoffnungsträger aus der zweiten Reihe in eine Mitfavoritenrolle geraten ist, hat viel mit der Vorgeschichte des aktuellen Geschehens zu tun. Die amtierende Parteichefin Pamela Rendi-Wagner wurde 2019 im Spitzenamt installiert, als Verkörperung einer frisch-modernistischen Sozialdemokratie (tatsächlich war sie erst 2017 der Partei beigetreten). Sie konnte aber ihre Autorität nie behaupten.

Von Beginn an hatte Rendi-Wagner auch einen innerparteilichen Rivalen, der ihr in schöner Regelmässigkeit öffentlich ans Bein trat, den Expolizisten, früheren Verteidigungsminister und heutigen Landeshauptmann des Burgenlandes, Hans Peter Doskozil. Doskozil favorisiert einen wirtschafts- und sozialpolitischen Linkspopulismus und einen scharfen Rechtskurs in der Migrationspolitik, ähnlich dem Modell der dänischen Sozialdemokratie. Rendi-Wagner machte häufig eine unglückliche Figur, umgab sich mit einem mittelmässigen Team, ihr Kontrahent wiederum agierte mit stets augenfälliger intriganter Böswilligkeit. Nachdem der Konflikt dann vor rund einem Monat vollends eskaliert war, verbreitete sich in der Partei daher naturgemäss die Stimmung: Bitte, bitte, keine:n von beiden.

Dauernd auf Achse

Wie die Sache ausgeht, wagt heute kaum jemand einzuschätzen. Manche Augur:innen gehen von einem offenen Dreikampf aus, andere wiederum schätzen, dass der Wettstreit auf ein Duell Doskozil gegen Babler hinausläuft, dass die amtierende Parteichefin also mittlerweile deutlich hinter den beiden Mitbewerber:innen liegt. Wirklich wissen kann das niemand, denn wie die ganz normalen Parteimitglieder abstimmen werden, die gar nicht am Parteileben teilnehmen, ist unvorhersehbar. Die Unterstützer:innen Bablers sind kritische Parteimitglieder, die der Maxime «Wir holen uns die Partei Victor Adlers zurück» folgen – Adler war der Begründer der SPÖ –, aber auch Aktivist:innen und Funktionär:innen, denen das Gegeneinander der vormaligen Topkandidat:innen einfach auf die Nerven geht. Dazu kommt natürlich ein Gutteil der 9000 neu eingetretenen Parteimitglieder.

Der Traiskirchner Bürgermeister ist aber nicht nur der Kandidat der Jungen und Linken, auch regelrechte Parteilegenden haben zur Wahl Bablers aufgerufen, etwa der populäre Exfinanzminister Ferdinand Lacina, der sowohl in den Regierungen unter Bruno Kreisky als auch Franz Vranitzky amtierte. Mittlerweile ist es eine veritable Woge, die Babler trägt: Wo er hinkommt, gibt es volle Säle. Vor zwei Wochen musste er in Wien eine Rede sogar zweimal halten, einmal für die Teilnehmer:innen im Versammlungssaal, ein zweites Mal für die Hunderten anderen, die nicht mehr in den Saal gepasst hatten. In den kommenden drei Wochen wird Babler durch das Land reisen, in kleinen und grossen Städten sprechen und geschätzt 10 000 Parteimitgliedern direkt begegnen.

Auch das wird seine Chancen signifikant erhöhen, bedenkt man, dass der Gewinner oder die Gewinnerin des Mitgliederentscheids voraussichtlich rund 35 000 Stimmen benötigen wird. «Wir müssen Politik wieder von unten denken», ist eine von Bablers häufig wiederholten Leitlinien. «Wir werden nicht gewählt, nur weil wir weniger schlimm als die anderen sind», sagt er und: «Wir dürfen uns als Sozialdemokratie nicht unsere DNA nehmen lassen, wir sind immer auch Protestbewegung gewesen. Wir kommen aus einer Bewegung, die um Rechte gekämpft hat.»

Bablers grosses Ass ist, dass er als hemdsärmeliger Typ, der in der Sprache der «ganz normalen Leute» spricht, glaubwürdig als die Stimme derer auftreten kann, die keine Stimme haben – und damit auch Nichtwähler:innen und sogar Protestwähler:innen für sich gewinnen können wird. Hinzu kommt seine praktische, erfolgreiche Erfahrung als Bürgermeister. Babler ist ein freundlicher, stets zu Scherzen aufgelegter Kerl, der an den Wochenenden gern in Fussballstadien in der Fankurve sitzt und von dem die Leute sagen: «Der ist ein klasser Bursch.» Und wenn in der legendären Disco U4 mal wieder eine Falco-Nacht auf dem Programm steht, ist er bis zwei Uhr nachts dabei und singt mit, wenn es heisst: «Ganz Wien ist so herrlich hin, hin, hin.»

Hypernervosität

Aus den Lagern seiner Gegenspieler:innen versucht man dagegen, Bablers ­«electability» (Wählbarkeit) in Zweifel zu ziehen. Rund eineinhalb Jahre vor dem nächsten regulären Nationalratswahltermin verbreitet sich eine gewisse Hypernervosität, da ein rechter Wahlsieg und die Neuauflage einer Rechts-ultrarechts-Koalition drohen. Doskozils Anhänger:innen werben mit der Botschaft, nur ihr Kandidat könne ausreichend Stimmen gewinnen, um das zu verhindern. Babler wird daher von seinen Antagonist:innen in einer Art «negative campaigning» als linker Zausel dargestellt. Babler sei, so die Botschaft, eine Art Jeremy Corbyn, der Wählerinnen und Wähler der Mitte verschrecken würde.

Dabei ist Babler natürlich Pragmatiker genug, um zu wissen, dass man ein grosses Zelt bauen muss, wenn man mehrheitsfähig sein will. Die liberale, bürgerliche Mitte wird er sowieso leichter halten können als sein rechter Rivale Doskozil. Denn der ist für die Mitte ein rotes Tuch, und längst ist keineswegs ausgemacht, ob er unter rechten Wähler:innen auch nur annähernd so viel gewinnen kann, wie er links und in der urbanen Mitte verlieren würde.

Ein Spaziergang wird es für keine:n der Aspirant:innen werden, die SPÖ zurück auf die Siegerstrasse zu führen. Babler hat im Unterschied zu seinen Rival:innen immerhin den Vorteil, dass er mit dem verbissenen Gegeneinander, in das sie seit Jahren verstrickt sind, nichts zu tun hat. Dass er einen glaubwürdigen Neubeginn verkörpern würde – und dass er die in feindliche Lager zerrissene Partei daher noch am ehesten wieder versöhnen könnte.