Nach der Präsidialwahl in Österreich: Plötzlich wieder Zuversicht
Österreich hat jetzt einen Grünen als Bundespräsidenten und einen linken, progressiven Bundeskanzler. Von einem «Naziland» zu sprechen, wäre da wohl verfehlt.
Alexander Van der Bellen stand im Park des Palais Schönburg in Wien Wieden. Der Wind fuhr in die Baumkronen links und rechts, hinter dem Kandidaten das frisch renovierte barocke Prunkgebäude. Das Bild, das hier evoziert werden sollte, war klar: Weisses Haus, präsidentielle Atmosphäre, ein Staatsmann. Es war Montag, 18 Uhr, als der grüne Kandidat erstmals als designierter Präsident zu den BürgerInnen sprach. «Österreich hat bewegte Stunden hinter sich, das hat niemanden unberührt gelassen. Umso grösser ist die Verantwortung für mich.»
Es war ein Herzschlagfinish mit Schnappatmung am Schluss: In der ersten Runde der Präsidentenwahl hatte der rechtsradikale Bewerber Norbert Hofer noch mit 35 Prozent Wähleranteil vorne gelegen, der ehemalige grüne Parteichef Alexander Van der Bellen folgte mit 21 Prozent weit abgeschlagen. Die Kandidaten der etablierten grossen Parteien, der Sozialdemokratischen Partei (SPÖ) und der konservativen Volkspartei (ÖVP), hatten mit rund elf Prozent keine Chance auf den Einzug in die Stichwahl. In einer dramatischen Aufholjagd und einer zivilgesellschaftlichen Grassrootskampagne gelang es, das Ergebnis dann doch noch zu drehen. Am Wahlabend lag der harte FPÖ-Mann Hofer noch rund 140 000 Stimmen vor dem grünen Kandidaten, sodass – angesichts von 900 000 BriefwählerInnen – nicht klar war, wer das Rennen gemacht hatte. Erst die Auszählung der brieflich eingegangenen Stimmen brachte Van der Bellen am Montagnachmittag in Führung. Am Ende wurde der Grüne mit rund 31 000 Stimmen Vorsprung, mit exakt 50,3 Prozent, gewählt.
Spaltung ist nicht neu
Jetzt ist viel vom «gespaltenen Land» die Rede. Schliesslich war das nicht irgendeine Wahl, sondern eine Richtungswahl. Sieht man sich die Ergebnisse im Detail an, kann man viele weitere Spaltungslinien ausmachen: In den Städten hatte Van der Bellen meist Ergebnisse zwischen 53 und 63 Prozent, dafür landete Hofer auf dem Land, in den Dörfern, in der Peripherie fast durchgehend sichere Siege. Die Männer wählten zu rund 60 Prozent Hofer, die Frauen zu rund 60 Prozent Van der Bellen.
Aber man soll die Rede von der Spaltung auch nicht übertreiben: Österreich war immer schon tendenziell in links und rechts geteilt; auch in den Zeiten Bruno Kreiskys in den siebziger Jahren erreichte die SPÖ Wahlergebnisse von 51 bis 53 Prozent, während 47 bis 49 Prozent der Bevölkerung konservativ und rechts wählten.
Natürlich ist die emotionale Kluft zwischen den beiden Lagern heute oft tiefer: Die harten Rechten hassen die Linken, die Grünen, die städtischen Liberalen, die «Gutmenschen» oder einfach «die da oben» mit Inbrunst. Genauso entschieden ist die Ablehnung, die das links-liberal-humanitäre Lager den RechtspopulistInnen gegenüber empfindet. Aber diese harten Wählerkerne sind auf beiden Seiten nur eine Minderheit. Im Hinterland wählte man Hofer, weil dort überhaupt noch nie ein Grüner gesichtet worden war, schon gar nicht im Wahlkampf.
Graustufen trotz Polarisierung
Es gibt ein nicht unerhebliches Wählersegment, das den einen wählte, aber auch mit dem anderen hätte leben können, und nicht wenige WählerInnen haben primär deshalb für einen Kandidaten gestimmt, um den anderen zu verhindern. Genauso, wie man im sozialdemokratischen und linken Milieu für Van der Bellen gestimmt hat, um Hofer zu verhindern, so haben natürlich auch manche eher gemässigt-konservativ tickende Menschen für Hofer gestimmt, um Van der Bellen zu verhindern.
Spaltung? Ja, natürlich, aber doch nicht von der Art, dass sich zwei Bevölkerungsgruppen wie Armeen gegenüberstehen. Auch in Zeiten der Polarisierung gibt es Graustufen. Natürlich sind nicht alle WählerInnen von Hofer Rechtsradikale, und die 49,7 Prozent, die er in dieser Entscheidungswahl erreichte, lassen sich nicht auf das Potenzial seiner Partei bei «normalen» Wahlen umlegen. Aber dennoch waren beinahe fünfzig Prozent der ÖsterreicherInnen bereit, für einen Rechtsradikalen zu stimmen.
Das zeigt ein riesiges Ausmass an Verdruss, Ärger über das «Establishment», Ablehnung gegenüber der Moderne, Hoffnungslosigkeit bei Unterprivilegierten, Abstiegsängsten und Ähnlichem. Hofers Partei, die FPÖ, wäre, wenn demnächst Parlamentswahlen wären, mit rund 36 Prozent die stärkste Partei – das zeigten Umfragen vor zwei Wochen. Die Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP rangierten zuletzt bei jeweils gerade noch 20 Prozent. SozialdemokratInnen und Konservative sind in einer Koalition, die man inzwischen aus Konvention die «Grosse Koalition» nennt, seit Jahren aneinandergefesselt, regieren dabei aber mehr gegen- als miteinander. Von der Selbstblockade und der Ideenlosigkeit der Regierenden profitiert seit Jahren vor allem die Radauopposition der FPÖ.
Paradoxerweise gibt es aber seit knapp zwei Wochen wieder so etwas wie Hoffnung im Land, und der knappe Wahlsieg Van der Bellens vermochte sogar so etwas wie Euphorie auszulösen. Das Debakel ihres Kandidaten im ersten Wahlgang hat die Sozialdemokratie nämlich endgültig aufgeweckt. In einer Art von Palastrevolte, die sowohl von der Parteibasis als auch von den Parteichefs in den Bundesländern getragen wurde, ist der bisherige Kanzler und SPÖ-Chef Werner Faymann gestürzt worden. Er hatte die ohnehin innerlich ausgezehrte Partei in den vergangenen acht Jahren vollends herabgewirtschaftet.
Runderneuerte Sozialdemokratie?
Mit dem fünfzigjährigen Christian Kern, bisher Vorstandsvorsitzender der Staatsbahn ÖBB, wurde an seiner Stelle ein Mann zum Kanzler gemacht und als Parteichef nominiert, der gleich bei seinem ersten Auftritt klarmachte, dass jetzt alles anders werden soll: Wenn die beiden grossen Parteien so weitermachten, «werden sie bald verschwinden, und das wahrscheinlich mit Recht», sagte er in seiner Antrittsrede. Er versprach Klartext statt Politjargon, eine «akzentuiertere sozialdemokratische Politik» und eine Modernisierung an Haupt und Gliedern: «Wir müssen die Fenster aufmachen und frische Luft reinlassen.» Und: «Ich will nicht Ihre Ängste und Sorgen nähren, sondern Ihre Hoffnungen nähren.»
Die ZuhörerInnen waren baff. Man hatte einen technokratischen Manager erwartet, stattdessen aber einen modernen linken Progressiven bekommen, der eine Botschaft von «Hope and Change» à la Tsipras oder Trudeau durch das Land schickt.
Kern verspricht einen «New Deal»: eine Reform des Steuersystems, den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, aber auch ganz generell einen neuen Regierungsstil. Zudem soll die Wirtschaft durch öffentliche und private Investitionen und eine Modernisierungsoffensive im Bildungsbereich angekurbelt werden. Wenn Kern diesen New Deal hinbekommt, dann ist erstmals zumindest wieder vorstellbar, dass eine runderneuerte Sozialdemokratie den Kampf gegen den rechten Populismus mit den richtigen Mitteln führt.
Das wird natürlich ein Uphill-Battle: Bis vor eineinhalb Wochen lag die SPÖ in den Umfragen gut fünfzehn Prozent hinter der FPÖ, und es dauert nur noch zwei Jahre bis zum regulären Parlamentswahltermin. Aber immerhin, auch wenn es natürlich nur Momentaufnahmen des ersten Honeymoons sind: Glaubt man den Zahlen, hat Kern diesen Rückstand mit nur zwei Auftritten auf acht Prozent halbiert.
So nimmt sich die Situation im Moment von innen anders aus als von aussen: Während in der internationalen Presse die Scheinwerfer auf den Aufstieg der Rechtsradikalen und auf die beträchtlichen 49,7 Prozent für Norbert Hofer gerichtet sind, breitet sich im Land selbst erstmals wieder so etwas wie Zuversicht aus. Österreich hat mit Alexander Van der Bellen einen linksliberalen Bundespräsidenten und mit Christian Kern einen linken, progressiven Bundeskanzler, der mit seinen Meriten als Manager und seiner Wirtschaftskompetenz die politische Mitte halten kann. Da sind die «Naziland»-Kommentare dann doch auch ein wenig einseitig.
Robert Misik (50) schreibt regelmässig für die österreichischen Zeitschriften «Profil» und «Falter». Er verfasste mehrere Sachbücher, 2013 etwa «Ist unsere Politik noch zu retten? Auswege aus der Wutbürger-Sackgasse» (Picus-Verlag).