Kost und Logis: Ach, Thurgau

Nr. 15 –

Bettina Dyttrich fährt Velo hinter Konstanz

«Aber die Landschaft ist schön», höre ich oft, wenn vom Thurgauer Dialekt die Rede ist. Und ich wundere mich: Ist sie das? Ich verlade das Velo und fahre im «Thurbo» dem Bodensee entlang: Campingplatz, zersiedeltes Dorf, Obstplantage, Graswüste, dann wieder von vorn. Am Ufer ein schmaler Streifen Schilf. Etwas weiter weg vom See breitet sich die Beerenproduktion unter Plastik aus: im internationalen Vergleich klein, aber erschreckend genug.

Wo noch keine Häuser stehen, ist der Thurgau einer durchrationalisierten Produktion unterworfen, einer Landwirtschaft im Takt der Grossverteiler. Auch hier wehren sich einige Bäuerinnen und Bauern, suchen Alternativen. Aber es sind zu wenige, um die Landschaft zu prägen. Und die ganze Nordostschweiz ist überdüngt, bis auf die letzte Waldlichtung. Denn irgendwo müssen Pouletmist, Schweine- und Rindergülle ja hin, der Kunstdünger kommt bei manchen noch obendrauf. Nur Biodiversitätsnerds sehen das, die anderen freuen sich am Löwenzahn, aber wer einmal weiss, wie diese Wiesen aussehen könnten, wenn mehr als nur drei Pflanzenarten auf ihnen wachsen würden, findet das Ganze viel eher traurig als schön.

Um zu schauen, wie sie aussehen könnten, bietet sich der Bodanrück gleich hinter Konstanz an. Auch hier fahren viele Autos herum, und in der Raumplanung ist einiges missglückt. Aber es hat viel mehr Sümpfe, Hecken und kleine wilde Flächen in der Landschaft, und auf den Wiesen wachsen all die Pflanzen, die man im Schweizer Mittelland für die Biodiversitätsförderung oft vergebens ansät, weil sie einfach nicht so viel Stickstoff vertragen.

Den ganzen Ostersonntag fahre ich mit dem Velo durch das Konstanzer Hinterland, freue mich am Zilpzalpgesang, dem Landschaftspark der Uni, an den blühenden Hecken, den zeternden Wildgänsen auf einem Moorweiher und den hervorragenden Velowegen. Ich will nicht sagen, in Deutschland sei alles besser. Denn was auch auffällt: Den ganzen Tag sehe ich keine einzige Kuh auf der Weide. Die meisten Betriebe sind zu gross, um ihre Kühe rauszulassen; die Milch kommt aus Bayern und das Fleisch aus Niedersachsen, und dort sind die Umweltprobleme, die ich für den Thurgau beschrieben habe, noch potenziert, Tierquälerei und unwürdige Arbeitsbedingungen auch.

Am liebsten nähme ich das Beste von beiden Seiten: die Bodanrücklandschaft, kombiniert mit dem Schweizer «Raus»-Standard für Nutztiere und der sorgfältigst möglichen Biolandwirtschaft und Tierhaltung, wie sie Urs Mannhart in seinem Kuhbuch beschreibt. Ich wünsche mir ein Ende der «Geiz ist geil»-Mentalität auf beiden Seiten – und dass die Schweiz endlich von Deutschland lernt, wie sich Ingenieur:innenkunst nicht nur an Autobahnen, sondern auch an Velowegen ausleben lässt: fast kreuzungsfrei, mit Ober- und Unterführungen, Brücken und Tunnels. Auch das ist jedes Mal ein bisschen traurig, wenn man in die Schweiz zurückkommt.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin. «Lentille. Aus dem Leben einer Kuh» von Urs Mannhart ist bei Matthes & Seitz erschienen (siehe WOZ Nr. 39/22).