Film: Reise durchs Jahrhundert

Nr. 16 –

Die französische Politikerin Simone Veil war eine prägende Figur der europäischen Integration. Das neu erschienene Biopic macht es aber schwer, sich ihr wirklich anzunähern.

Filmstill aus dem Film «Simone Veil. Ein Leben für Europa»: Simone Veil steht vor einer Gedenktafel
«Simone Veil. Ein Leben für Europa». Regie: Olivier Dahan. Frankreich/Belgien 2021. Jetzt im Kino.

Manche Menschen scheinen mehrere Leben in einem zu leben. Die 2017 verstorbene französische Politikerin Simone Veil war so ein Mensch. 1927 in Nizza in eine atheistische jüdische Familie geboren, wurde sie 1944 ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert, legalisierte in den siebziger Jahren als erst zweite Ministerin des Landes Schwangerschaftsabbrüche in Frankreich, setzte sich für die Rechte von Gefängnisinsass:innen ein und wurde später zur ersten Präsidentin des Europäischen Parlaments gewählt. Ihr Engagement für ein vereintes Europa verstand sie als Widerstand gegen die Rückkehr des Totalitarismus.

Keine einfache Aufgabe, ein solches Leben auf Spielfilmlänge zu bringen. Doch Regisseur Olivier Dahan wagt sich nach «La vie en rose» (Edith Piaf) und «Grace of Monaco» (Grace Kelly) nun zum dritten Mal an die Verfilmung einer Frauenbiografie. In «Simone Veil. Ein Leben für Europa» steckt er schon in den ersten zehn Minuten das Terrain ab. Simone Veil sitzt als alte Frau am Meer und schreibt an ihren Memoiren, Schnitt: Szenen aus ihrer glücklichen Kindheit, Schnitt: der Todesmarsch zwischen Auschwitz und Bergen-Belsen, Schnitt: die gehässige Parlamentsdebatte über das Abtreibungsgesetz, Schnitt zurück ans Meer. Diese Sprunghaftigkeit zieht sich durch den gesamten Film und macht es schwer, sich Simone Veil als Person anzunähern. Vor allem aber bleiben die Charaktere, die sie umgeben, wie ihre Schwester und ihr Ehemann, blass.

Vier bis sieben Stunden soll die Schauspielerin Elsa Zylberstein jeweils in der Maske gesessen haben, um mithilfe von Make-up und Gesichtsprothesen zum Abbild der älteren Simone Veil zu werden. Zu dick aufgetragen hat Dahan auch an vielen Stellen im Film, der fast ununterbrochen mit dramatischer Musik unterlegt ist. Etwas mehr Nüchternheit und Distanz hätte dem Biopic über diese im wirklichen Leben auch eher nüchtern auftretende «grande femme politique» gutgetan. Spannend anzusehen ist er dennoch, denn Simone Veils Leben gleicht tatsächlich einer Jahrhundertreise, wie es der französische Filmtitel sagt: «Le voyage du siècle».