Investitionspolitik: Schweizer Geld für US-Atomwaffen

Nr. 16 –

Die Schweizer Nationalbank investiert mehrere Hundert Millionen Franken in den umstrittenen US-Waffenkonzern Northrop. Die Begründung ist wenig überzeugend, aber für schärfere Regeln fehlt der politische Wille.

Anfang April gab der US-Rüstungskonzern Northrop Grumman bekannt, sich für einen milliardenschweren Regierungsauftrag zur Modernisierung des US-Atomwaffenarsenals zu bewerben. Der Entscheid überrascht kaum: Der viertgrösste Waffenproduzent der Welt, der 2022 knapp 37 Milliarden US-Dollar umsetzte, ist seit Jahrzehnten ein zentraler Akteur und Profiteur des US-Atomwaffenprogramms.

Für den norwegischen Staatsfonds, den weltweit grössten staatlichen Anleger, sind Investitionen in Northrop Grumman seit 2006 tabu. Der Rüstungskonzern steht wegen seiner Beteiligung am US-Atomwaffenarsenal auf der Ausschlussliste des norwegischen Fonds. Diese Liste gilt als globales Referenzwerk für verantwortungsbewusstes Investieren. Auch in der Schweiz haben in den vergangenen Jahren viele grosse Anleger einen Bogen um den US-Konzern gemacht. Doch wie Recherchen der WOZ zeigen, investierte allein die Schweizerische Nationalbank (SNB) letzten September über 300 Millionen Franken in Northrop, während sie zuvor überhaupt keine Aktien des Unternehmens gehalten hatte. Auch Compenswiss, der Ausgleichsfonds der AHV, stieg damals mit fast 4 Millionen Franken ein.

Von Ausschlusslisten verschwunden

Sowohl die SNB als auch Compenswiss sind mehrheitlich passive Anleger. Das heisst, sie wählen nicht selbst einzelne Aktien aus, sondern folgen mehr oder weniger blind den grossen globalen Märkten. Je höher der Marktwert eines Unternehmens ist, desto mehr investieren sie. Es findet also keine aktive Selektion der Titel statt. Allerdings werden bestimmte Unternehmen ausgeschlossen, um zu verhindern, dass in besonders kontroverse Firmen investiert wird. Northrop Grumman muss also im Sommer 2022 von den Ausschlusslisten der SNB und von Compenswiss verschwunden sein.

Auf Anfrage der WOZ weigert sich die SNB, ihre Ausschlussliste zur Verfügung zu stellen, veröffentlicht aber die entsprechenden Kriterien auf der Website. Dort steht, dass Ausschlüsse aufgrund von «groben Verstössen gegen gesellschaftlich breit anerkannte Werte» erfolgen. Im Fall von Waffen sieht die Nationalbank das bei der Produktion von international geächteten Waffen als gegeben. Konkret sind das biologische und chemische Waffen, Streumunition und Antipersonenminen.

Compenswiss verweist auf Anfrage auf die Ausschlussliste des Schweizer Vereins für verantwortungsbewusste Kapitalanlagen (SVVK). Dieser wurde 2015 von sieben grossen Vorsorgeeinrichtungen gegründet, darunter Compenswiss sowie die Pensionskassen der SBB und der Post oder auch die Suva. Der SVVK bezweckt «die Erbringung von Dienstleistungen, damit seine Mitglieder im Rahmen ihrer Anlageentscheide die Verantwortung gegenüber Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft ganzheitlich wahrnehmen können».

Was die Bedingung für Ausschlüsse betrifft, argumentiert der SVVK ähnlich wie die SNB, und auch die effektiv ausgeschlossenen Waffenkategorien sind exakt dieselben. Im Gegensatz zur Nationalbank aber veröffentlicht der SVVK seine Ausschlussliste, und darauf fehlt Northrop. Auf Anfrage bestätigt der Verein, dass der Rüstungskonzern im Juni 2022 von der Liste gestrichen wurde, weil er «seine Involvierung in kontroverse Waffen» beendet habe. Tatsächlich gab Northrop Grumman im Dezember 2021 bekannt, bis Jahresende aus der Produktion von Streumunition auszusteigen. Diese Bekanntgabe reichte SNB und Compenswiss offensichtlich, um Geld für den US-Waffenkonzern in die Hand zu nehmen.

Uneinigkeit unter Grossinvestoren

Dabei gibt es durchaus grosse institutionelle Schweizer Anleger, die ein Investment in Northrop weiterhin ablehnen, etwa die Pensionskasse der Stadt Zürich sowie jene des Bundes, die Publica. Interessant ist insbesondere Letztere, denn sie ist Gründungsmitglied des SVVK, dessen Ausschlusskriterien ihr aber nicht weit genug gehen. Während der Verein schreibt, dass es derzeit «kein internationales Rechtsinstrument gibt, das Kernwaffen vollständig verbietet», bezieht sich die Publica gegenüber der WOZ auf ein solches Instrument: den Atomwaffenverbotsvertrag.

Dieser verbietet sämtlichen Staaten, Atomwaffen herzustellen, zu produzieren, zu testen, weiterzugeben, zu besitzen, zu lagern, einzusetzen, zu stationieren oder mit deren Einsatz zu drohen. Der Vertrag wurde 2017 von der Uno-Generalversammlung angenommen. Auch die Schweiz stimmte ihm damals zu, hat ihn aber noch immer nicht ratifiziert, obschon beide Kammern des Parlaments den Bundesrat 2018 per Motion aufgefordert haben, den Vertrag «so schnell wie möglich zu unterzeichnen und umgehend dem Parlament zur Genehmigung für die Ratifikation vorzulegen». Patrick Uelfeti, stellvertretender Leiter des Asset Managements der Publica, erklärt deshalb: «Zwar hat der Bundesrat bislang den Atomwaffenverbotsvertrag weder unterzeichnet noch ratifiziert, doch wir verstehen die Motion als Wille des Volkes und halten uns deshalb bei Investitionsentscheidungen daran.»

Ein Feigenblatt

Die renommierte niederländische Friedensorganisation Pax stützt die Einschätzung der Publica. Auf Anfrage schreibt sie: «Es stimmt schlichtweg nicht, dass es derzeit kein internationales Rechtsinstrument gibt, das Atomwaffen vollständig verbietet.» Der Atomwaffenverbotsvertrag ist seit 2021 offiziell in Kraft, 68 Staaten haben ihn mittlerweile ratifiziert. Deutlich ist auch der US-Rüstungsexperte Bill Hartung in seiner Analyse. Er schreibt der WOZ, dass Northrop der wichtigste Vertragspartner bei der Entwicklung des B-21-Bombers sowie der Sentinel-Langstreckenraketen sei. Diese sind Kernstücke des US-Nuklearwaffenprogramms. «Wie genau das Investment in Northrop Grumman verantwortungsbewusst sein soll, ist mir schleierhaft.»

Mit diesen Vorwürfen konfrontiert, schreibt die SNB, dass sie sich nicht zu einzelnen Investments äussere. Aber die Berücksichtigung von «gesellschaftlich breit anerkannten Werten der Schweiz» bedeute für sie, keine eigenen Standards zu setzen, sondern sich an den bestehenden Massstäben auszurichten. Sie betont, dass die Schweiz den Atomwaffenverbotsvertrag bisher nicht ratifiziert habe. Der SVVK argumentiert sehr ähnlich. Angesprochen auf das Vereinsmitglied Publica, die Pensionskasse des Bundes, die bewusst nicht in Northrop investiert, schreibt der SVVK, es liege in der Kompetenz der einzelnen Mitglieder, die normativen Grundlagen des Vereins durch zusätzliche Kriterien zu ergänzen.

Fakt ist: Während beim SVVK insgesamt nur 28 Unternehmen auf der Ausschlussliste stehen, sind es bei der Bundespensionskasse Publica rund 100, beim norwegischen Staatsfonds 188 und bei der Pensionskasse der Stadt Zürich 272.

Noch einen Schritt weiter geht die Stiftung Ethos, die für über 240 Schweizer Pensionskassen einen Unternehmensdialog durchführt. Sie schliesst in ihrem eigenen Aktienindex, den sie ihren Mitgliedern zur Verfügung stellt, sämtliche Unternehmen aus, die mindestens fünf Prozent ihres Umsatzes mit der Produktion von Waffen oder wesentlichen Bestandteilen dafür erwirtschaften.

Was letztlich fehlt, ist der politische Wille, um wirklich nachhaltige und ethische Investitionen für den Schweizer Finanzplatz durchzusetzen. Dies zeigt exemplarisch ein Bericht des Bundesrats von Ende 2022, der Handlungsfelder zur Erreichung eines nachhaltigen Finanzplatzes skizziert. Es dominieren Empfehlungen, auf konkrete Vorschläge für gesetzliche oder regulatorische Eingriffe wird hingegen weitgehend verzichtet.