Republikanische Partei: «Trump mit Gehirn»? – Nein, danke

Nr. 19 –

Trotz Negativschlagzeilen wird Donald Trump wohl erneut republikanischer Kandidat für die US-Präsidentschaftswahl. Sein Erfolgsrezept? Er hat viele.

Expräsident Donald Trump an einer Wahlveranstaltung
Von einer deliriösen Rede zur nächsten: Expräsident Donald Trump ist ein Meister des Affekts. Foto: Alex Wroblewski, Laif

Lässt sich über Donald Trump noch irgendetwas schreiben, das nicht schon zigfach gesagt wurde? Der 45. und möglicherweise auch 47. Präsident der Vereinigten Staaten wurde in den vergangenen Jahren so maximal grell ausgeleuchtet, jede Bewegung dabei ideologisch untersucht und jeder Furz interdisziplinär analysiert, dass wir alles über ihn zu wissen scheinen. Wir kennen seine Biografie, sein Programm, seine Rhetorik, seine Widerlichkeit, seine Banalität.

Trumps Geheimnis ist, dass nichts mehr ein Geheimnis ist. Die vielleicht einzig übrig gebliebene Frage von politischer Relevanz könnte die nach seiner Langlebigkeit sein: Warum ist dieser Mann, trotz allem, immer noch – und derzeit wieder klarer – die Nummer eins der Republikanischen Partei?

Eine Weile lang sah es so aus, als wäre Trumps Zeit tatsächlich abgelaufen. Erst die verlorene Wahl 2020 gegen Joe Biden, dann unterlagen auch einige der von ihm unterstützten Kandidat:innen bei den Midterms 2022. Als «Trumpty Dumpty» verspottete ihn daraufhin das Boulevardblatt «New York Post», das lange Zeit an seiner Seite gestanden hatte – man sah auf der Titelseite ein rundes, polterndes Trump-Männchen. Auch andere alte Weggefährten haben sich in den vergangenen Jahren abgewendet, was jedoch kaum inhaltliche Gründe hat, sondern daran liegt, dass Trump kein Erfolgsgarant mehr ist.

Anders als DeSantis

Trump sei eine Belastung für die Partei, sagen viele Expert:innen mit Blick auf seine nachgewiesene Schlüsselrolle beim Sturm auf das Kapitol und die gegen ihn laufenden Gerichtsverfahren – diese Woche wurde er wegen sexuellen Missbrauchs schuldig gesprochen und zu einer Zahlung von fünf Millionen Dollar verpflichtet. Republikanische Grossspender wie Charles Koch haben sich längst von Trump distanziert. Das von Koch gegründete und in der konservativen Welt mächtige Netzwerk Americans for Prosperity will andere Kandidat:innen unterstützen. In rechten Medien wie dem TV-Sender Fox News und dem Magazin «National Review» mehren sich die Stimmen, wonach dem Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, die Zukunft gehört. Als «Trump mit Gehirn» wird er angepriesen respektive angedroht.

Folgt man den Schlagzeilen, ist Trumps Stern am Sinken. Die Umfragen zeichnen jedoch ein anderes Bild. 58 Prozent der republikanischen Wähler:innen gaben zuletzt beim Sender CBS News an, Trump wählen zu wollen; deutlich vor DeSantis (22 Prozent), der zwar immer noch nicht seine Kandidatur bekannt gegeben hat, aber längst so auftritt, als wäre er ein Kandidat. In einer anderen Befragung von NBC News stimmten über zwei Drittel der republikanischen Wähler:innen der Aussage zu, dass die Untersuchungen gegen Trump ein «politisch motivierter Versuch» seien, ihn zu stoppen. Kein anderer Kandidat ist wie er, wir müssen ihn unterstützen, lautete hier der mehrheitliche Konsens. Seit der Anklageerhebung Ende März sind auch die Spenden für Trump in die Höhe geschossen: Die Maga-Bewegung – Make America Great Again – ist weiter anzapfbar.

Stand heute ist Trump der mit Abstand wahrscheinlichste Kandidat der Republikanischen Partei für die Wahl 2024. Als bräuchte es noch weitere Beweise für die gerontokratische Dystopie in diesem Land, läuft fast alles auf eine Neuauflage von 2020 hinaus: Trump (Jahrgang 1946) versus Biden (1942). Wie aber erklärt sich Trumps Resilienz?

Zunächst ist festzuhalten, dass es weiterhin niemanden gibt, der den Pseudopopulismus so gut beherrscht wie er. «Pseudo» ist Trumps Populismus deshalb, weil seine Inszenierung als Kämpfer für die «einfachen Leute» dadurch ausgehöhlt wird, dass er als Präsident den Reichen Steuererleichterungen geschenkt hat und regelmässig Keile in die Arbeiter:innenklasse treibt. Trumps Kampf ist nicht unten gegen oben, sondern weiss gegen «woke». Doch anders als viele andere republikanische Politiker:innen hat Trump verstanden, dass Kulturkampf allein nicht reicht.

Während DeSantis vor allem mit seinen Feldzügen gegen antirassistische Bildung, Immigrant:innen und queere Menschen auffällt, selten aber über primär ökonomische Angelegenheiten spricht, tut Trump zumindest nach aussen hin manchmal so, als lägen ihm die materiellen Lebensbedingungen seiner Wähler:innen am Herzen. Schon bei den Vorwahlen 2015/16 setzte sich Trump vom Rest der Republikaner ab, indem er immer wieder betonte, dass er bei Medicaid (dem Gesundheitsprogramm für arme Menschen) und Medicare (der Krankenversicherung für alte Menschen) keine Kürzungen vorhabe. In seiner Zeit im Weissen Haus unterstützte er dann zwar Gesetze, die entsprechende Kürzungen vorsahen, doch diese Inkohärenz fiel nicht weiter ins Gewicht. Widersprüche machen den Pseudopopulismus ja überhaupt erst aus.

Nicht so glatt und technokratisch

In diesen Tagen nun, zurück im Wahlkampfmodus, spult Trump das gleiche Programm ab wie damals, präsentiert sich als Rächer der patriotischen Arbeiter:innen und wirft seinen Konkurrent:innen ökonomische Inkompetenz vor. Aktuell laufen im Fernsehen Spots der Maga-Kampagne, in denen darauf hingewiesen wird, dass DeSantis den Abbau von Sozialleistungen vorantreibt. Die eigene Bilanz wird natürlich verschwiegen. Als Wahlkämpfer und Herausforderer, das spürt man deutlich, blüht Trump besonders auf. In dieser Rolle kann er versprechen, was er will, und attackieren, wie er will. Von einer deliriösen Rede zur nächsten ohne die lästigen Verantwortungen, die eine Präsidentschaft mit sich bringt.

Dass Trump weiterhin die Nummer eins der Rechten ist, liegt auch am einzigartigen Personenkult um ihn. Niemand anderes in dieser Partei hat eine solch eigenständige und fanatische Bewegung hinter sich. Seit 2015 ist eine Infrastruktur aus devoten Anhängerinnen und Geldgebern gewachsen, unterstützt durch Sender wie Newsmax und OANN, die ihn laufend propagieren, und durch zahlreiche Abgeordnete, die an ihm kleben. Trump hat eine Autorität entwickelt, der viele Amerikaner:innen mehr vertrauen als jeder Institution. Was er sagt, gilt – egal ob es stimmt oder er gestern das Gegenteil behauptet hat.

Dadurch, dass Trump eine auf so vielen Ebenen extreme Figur ist, hat er auch ein extremes Identifikationspotenzial geschaffen. Man kann sich vorstellen, dass das Loslösen davon schwerer fällt als bei anderen Politiker:innen. Einmal Maga, immer Maga: bedingungslose Loyalität. So erklärt sich auch, dass die Mehrheit der republikanischen Wähler:innen immer noch an die Lüge der gestohlenen Wahl glaubt. Dazu kommt, dass die Trump-Kampagne durch den ständigen Fluss an Spenden ganz andere finanzielle Möglichkeiten hat als die Konkurrenz. Wie das «Rolling Stone»-Magazin neulich berichtete, arbeiten einige ehemalige Mitarbeiter von DeSantis mittlerweile für Trump. Andere rechte Kandidat:innen wie Nikki Haley operieren mit deutlich kleineren Budgets.

Vergleicht man die Reden von Trump mit denen von Biden oder DeSantis, wird noch ein anderer Grund für seine Popularität in der rechten Basis deutlich: Trump ist ein Meister des Affekts. So wie er redet, vulgär, rotzig, hyperbolisch und elliptisch, so wie er bestimmte Begriffe spöttisch ausspricht, zum Beispiel «Puerrrrtoooo Ricoooo» oder «Leniiiin», um dann wieder in seinen unpolierten New Yorker Akzent zu wechseln, so lustvoll, wie er Gegner:innen beleidigt und mit seiner «I don’t give a fuck»-Haltung kokettiert – all das vermischt sich zu einer Trance der politischen Inkorrektheit, die viele Menschen als absolute Stärke empfinden: Endlich spricht mal jemand nicht so glatt und technokratisch.

Trump gelingt es, Gefühle zu bedienen und zu schüren: den Hass auf die anderen, die Kränkung seiner Fans ob ihrer eigenen Ohnmacht, auch den Genuss der Häme – wenn er seine Gegner niedermacht, grölt das Publikum noch lauter als sonst. Trump ist ein Rassist, ein Nationalist, ein Chauvinist; aber tiefer als alle Ideologien scheint bei ihm der Narzissmus zu sitzen, ein Schwanken zwischen Grössenwahn und Wehleidigkeit, das er offen auslebt und womit er viele Menschen abholt.

Als Trump Ende April in New Hampshire eine Wahlkampfrede hielt, feuerte er wie gewohnt in alle Richtungen. Eine «grosse Ankündigung» habe er mitgebracht, sagte Trump mit ironischem Unterton, er werde den Präsidenten der USA von nun an «crooked Joe Biden» nennen. Das Attribut «crooked» (korrupt) hatte Trump bereits Hillary Clinton im Wahlkampf 2016 verpasst. Es war die letzte Wahl, die Trump gewann. Clinton wiederum werde er ab sofort «entzückende Hillary» oder «schöne Hillary» nennen, so Trump. Er nutzt Hohn als Energiequelle.

Lehren für die Demokrat:innen

Man kann in dieser Szene einen Beweis dafür sehen, dass Trump nichts Neues mehr einfällt, was auch stimmt. Er rezykliert Beleidigungen, bemüht die gleichen Narrative, verändert hat er sich kaum. Man sollte aber nicht unterschätzen, wie effektiv Trump damit immer noch ist. Während DeSantis laut Umfragen unter republikanischen Wähler:innen punktet, die wohlhabend sind, einen Hochschulabschluss haben und in Städten oder Vorstädten leben, greift Trump am stärksten in der klassischen Arbeiter:innenschicht, bei Menschen ohne Uniabschluss und in ländlichen Regionen. Das sind viele Menschen, die zum Teil gute Gründe haben, der etablierten Politik nicht zu trauen.

Trump hat zwar kein politisches Programm, das die ökonomischen Sorgen dieser Leute substanziell adressiert. Umso besser weiss er aber, wie man ihre Ressentiments instrumentalisiert. Ob das für 2024 reichen wird, bleibt fraglich. Die Rückschläge der vergangenen Jahre hat auch das Team Maga registriert. So bemerkenswert es ist, dass sich das rechte Establishment vom Expräsidenten zunehmend distanziert, so deutlich zeigt sich in diesen Wochen allerdings auch, dass die republikanische Basis weiterhin keinen «Trump mit Gehirn» will, sondern Trump, das Original.

Aus progressiver Perspektive lässt sich hier etwas lernen: Um eine zweite Amtszeit von Trump zu verhindern, sollten die Demokrat:innen nicht nur eine andere Politik anbieten, vorneweg konkrete Lösungen für die grassierende Armut und die infrastrukturelle Unterversorgung. Gefragt sind auch andere Wege, die Leute anzusprechen. Das soll kein Appell zur politischen Inkorrektheit sein, kein Aufruf, die Obszönität oder gar die faschistoiden Inhalte von Trump zu kopieren. Es geht vielmehr darum, Worte zu finden, die nah am Alltag der Menschen sind, mit denen man etwas auslösen kann. Trump ist ein Dauerlügner, aber seine Sprache ist seltsam ehrlich. Sie kommt aus dem Bauch. Das ginge auch ohne die menschenfeindlichen Inhalte.