Auf allen Kanälen: Sie nennen es Debatte

Nr. 20 –

Wie man aus einer noch nicht publizierten, ungeprüften Studie zu universitären Karriereambitionen und Geschlecht eine Kampagne bastelt.

stilisierte Montage des Buchstaben W und M

Ihren ersten öffentlichen Auftritt hat die «Studie» in einer eher unscheinbaren Ecke: auf der Website des Instituts für Wirtschaftspolitik Luzern, das unter anderen von René Scheu (früher NZZ und «Schweizer Monat») geleitet wird. Margit Osterloh, emeritierte Professorin für Betriebswirtschaftslehre, erwähnt dort in einem Interview, sie habe mit der Soziologin Katja Rost eine «Befragung» durchgeführt. Diese zeige, dass Frauen Kinder wollten und Teilzeitanstellungen und Männer, die mehr verdienten.

Tamedia-Redaktor Rico Bandle (Ex-«Weltwoche») liest das Interview, beschafft sich die Befragung und destilliert daraus eine These: «Die meisten Studentinnen wollen lieber einen erfolgreichen Mann als selber Karriere machen.» Dass auf höheren Hierarchiestufen seltener Frauen anzutreffen seien, habe weniger mit Diskriminierung zu tun, sondern sei von den Frauen selbst gewählt. «20 Minuten», «Blick» und SRF verbreiten die Schlagzeile der «SonntagsZeitung» unhinterfragt, in den sozialen Netzwerken wird heiss diskutiert.

Am Montag spitzt die Leiterin des Ressorts «Leben» von Tamedia, Michèle Binswanger («Ich versuche immer, unvoreingenommen an meine Stoffe heranzugehen»), die Interpretation ihres Mitarbeiters weiter zu: «Frauen diskriminieren sich auch selbst», «nun haben wir es also schwarz auf weiss». In der NZZ sekundiert Katharina Fontana (Ex-«Weltwoche»): «Eine Umfrage zeigt, was wir schon immer ahnten: Frauen sind weniger karriereorientiert als Männer.» Wir?

Kritik kommt vom Newsportal «Watson». Die Studie sei weder geprüft noch öffentlich zugänglich, ordnen Juliette Baur und Corsin Manser ein. Und sie zitieren eine Studienteilnehmerin, die sich über Stereotype im Fragenkatalog wundert: «Eine Studie mit solchen Fragen reproduziert konservative Geschlechterrollen.» Die «Richtung der Kausalität» lasse sich aus der Befragung nicht ableiten, antwortet die Studienautorin Osterloh auf Nachfrage von «Watson». Übersetzt heisst das: Die Untersuchung zeigt nicht, ob die Frauen konservativ sind – oder die Strukturen.

Auch Markus Theunert von maenner.ch besorgt sich die Studie. Er weist nach, wie selektiv Bandle interpretiert; vor allem, weil er die Antworten der Frauen nicht mit denjenigen der Männer vergleicht. Dabei würde sich nämlich zeigen, dass auch Männer wenig Lust auf eine «Führungsposition mit Personalverantwortung» hätten; dass weder Frauen noch Männer sich einen Partner, eine Partnerin wünschten, der oder die nach der Familiengründung Vollzeit arbeite; dass nur eine klare Minderheit der Männer und Frauen eine traditionelle Rollenaufteilung wolle. Kommentator:innen weisen zudem darauf hin, dass die Studie Karrierewunsch und Teilzeitarbeit als unvereinbar konstruiere.

Die ideologische Haltung derjenigen, die eine regressive Lesart der Studie medial pushen, scheint eine entscheidende Rolle zu spielen. Mehr Beachtung verdient hätte auch die Tatsache, dass Osterloh das Forschungszentrum Crema leitet, zusammen mit dem SVP-nahen Reiner Eichenberger und dem Teilzeitarbeitskritiker Bruno S. Frey.

Fazit: Aus einer unpublizierten, noch nicht begutachteten Studie wurde von Tamedia eine schrille These modelliert, die, wie sich schlüssig nachweisen lässt, höchstens halb wahr ist. Die Aufklärungsarbeit wider die vom reichweitenstarken Medienhaus gestreute Halbwahrheit leisten das Gratisportal «Watson», Twitter-User:innen und der Blog auf maenner.ch.

Als jemand auf Twitter bei Binswanger nachfragt, wann man ihren und Bandles «Quatsch» nun zu «löschen» gedenke, antwortet diese: «Deine Cancel Phantasien sind totalitär.» Und verweist stolz auf die rege Onlinedebatte zu Bandles Text, als ob das ein Kriterium für die Stichhaltigkeit des Artikels wäre. Die Verbreitung von Halbwahrem nennt sie «andere Perspektiven ertragen».

Nachdem andere Medien die Analysearbeit geleistet haben, widerspricht auch Inlandredaktorin Jacqueline Büchi im «Tages-Anzeiger» den Artikeln aus dem eigenen Haus: «Sind Schweizer Studentinnen künftige Heimchen am Herd? Von wegen!» Und in der «SonntagsZeitung» vom 14. Mai folgt: «Frauen und Karriere: Das grosse Streitgespräch». Am Ende wird von dieser inszenierten Debatte vor allem der Backlash hängen bleiben: Nicht mal studierte Frauen sind richtig emanzipiert.