Deportierter Revolutionär: Was für ein Leben!

Nr. 21 –

Der Baske Josu Abrisketa schloss sich früh der Eta an. Er organisierte Banküberfälle ebenso wie einen spektakulären Gefängnisausbruch. Nach vierzig Jahren auf Kuba lockt jetzt die Heimat.

Josu Abrisketa (zweiter von links) mit drei ebenfalls ­deportierten baskischen Linken in Havanna
«Dass ich mal in Kuba landen würde, gehörte nicht zu meinen Kindheitsträumen»: Josu Abrisketa (zweiter von links) mit drei ebenfalls ­deportierten baskischen Linken in Havanna. Foto: Iñaki Egaña

Wenn Josu Abrisketa auf seinen Wikipedia-Eintrag angesprochen wird, huscht über sein Gesicht ein schelmisches Lächeln. «‹Ein auf Kuba lebender spanischer Unternehmer›, steht da über mich. Also ich habe mich eigentlich immer als Kommunist gesehen. Kommunist aus Fabrikerfahrung. Na ja, und Spanier?» Er zieht die Augenbrauen hoch.

Die Lebensgeschichte des 1948 in einem Dorf unweit von Bilbao geborenen Josu Abrisketa hat tatsächlich wenig von einer spanischen Unternehmerbiografie. Aus einer republikanischen Familie stammend, erlebte der Baske von klein auf den Schrecken der Diktatur unter Francisco Franco. «Mein Onkel war im Bürgerkrieg hingerichtet worden, meine Mutter hat 1937 in Gernika die Bombardierung durch die deutsche Luftwaffe überlebt, und meinen Vater haben die Faschisten offenbar über Jahrzehnte hinweg bedroht.»

Beim Interview, das der baskisch-kubanische Pensionär vor einer weissen, modernistischen Villa im Westen Havannas gibt, wirkt diese Zeit unendlich weit weg. «Dass ich mal in Kuba landen würde, gehörte nicht zu meinen Kindheitsträumen. Ich fing als Vierzehnjähriger an, in der Fabrik zu arbeiten. Ein Jahr später haben wir zum ersten Mal gestreikt. Weil unabhängige Gewerkschaften verboten waren, war das praktisch ein Einstieg in die revolutionäre Bewegung.»

Gefängnis als Universität

Noch als Minderjähriger schliesst sich Josu Abrisketa der baskischen Untergrundorganisation Eta an. 1968, gerade einmal neunzehn Jahre alt, organisiert er die Bombenkampagne, mit der die Franco-Diktatur zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder öffentlich herausgefordert wird. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: Abrisketa wird in einer illegalen Wohnung verhaftet und gemeinsam mit fünfzehn anderen Bask:innen in Burgos vor ein Kriegsgericht gestellt. Nur eine internationale Solidaritätskampagne, an der sich auch der Philosoph Jean-Paul Sartre beteiligt, rettet ihn vor der Todesstrafe.

Die Zeit im Gefängnis beschreibt der Pensionär rückblickend als gar nicht so schlecht. «Das war meine Universität. In Burgos haben wir Kurse in Ökonomie und Marxismus organisiert. Und nach der Verurteilung haben wir dann vor allem geschaut, wie wir ausbrechen können.»

1975 gelingt ihm das tatsächlich – mit einem Mitgefangenen entkommt er durch einen selbstgegrabenen Tunnel aus dem Gefängnis von Segovia. Noch in derselben Nacht kehrt er aber in die Haftanstalt zurück: «Wir wollten eine Massenflucht organisieren. Also sind wir wieder rein und haben den eigentlichen Ausbruch vorbereitet.» Dieser scheitert jedoch, weil ein Polizeispitzel das Kommando auffliegen lässt, das die Häftlinge draussen in Empfang nehmen soll. Abrisketa und die meisten seiner Mitgefangenen werden verlegt. Doch da die Details des Fluchtplans unentdeckt bleiben, können ein Dreivierteljahr später 29 Gefangene durch den von ihm angelegten Tunnel fliehen. Es ist der grösste Gefängnisausbruch der jüngeren europäischen Geschichte.

Josu Abrisketa selbst kommt erst mit der Amnestie von 1977 frei. «Das war unfassbar für mich», erinnert er sich. «Schon auf dem Weg warteten Tausende an den Strassen, in unserem Dorf waren es mehr als 10 000. Dabei waren wir bei meiner Inhaftierung nur ein winziges Grüppchen gewesen, das niemand kannte.» Auch jetzt kommt der Revolutionär nicht zur Ruhe: Er schliesst sich wieder seiner Organisation an und organisiert Banküberfälle – unter anderem zur Finanzierung der Guerilla im zentralamerikanischen El Salvador.

Die seltsamste Episode in seinem an spektakulären Ereignissen nicht gerade armen Leben ereignet sich jedoch 1984. «Ich habe damals legal im französischen Baskenland gelebt, meine Frau war Französin, mit Freunden hatte ich einen kleinen Malerbetrieb. Aber dann kam die Gendarmerie – und hat mich nach Panama deportiert.»

Via Panama nach Kuba

Tatsächlich aktivierte die französische Regierung, die zu diesem Zeitpunkt nicht nach Spanien auslieferte, kurzerhand ein Gesetz, das die Deportation nach Übersee erlaubte. «Es war völlig skurril», berichtet der 74-Jährige, der heute einen Krückstock zum Gehen benötigt. «Wir wurden von französischen Zivilpolizisten zu einer Linienmaschine gebracht. Als ich einstieg, fragte ich die Flugbegleiterin, wo wir hinfliegen. Die Frau hat sich natürlich total erschreckt: ein Passagier, der nicht weiss, wo die Reise hingeht.»

Eine französische Militärmaschine bringt die Deportierten von Guadeloupe weiter nach Panama. Doch weil Wahlen anstehen, will man die Bask:innen auch dort schnell wieder loswerden. «Für die spanische Regierung war das Wichtigste, dass wir nicht nach Europa zurückkommen. Deshalb hat uns Kuba auf Bitten Madrids aufgenommen. Die einzige Bedingung der kubanischen Regierung war, dass wir mindestens sechs Monate bleiben.»

Aus den sechs Monaten wurden am Ende allerdings vierzig Jahre – in denen der Fabrikarbeiter schliesslich selbst zum Unternehmer wurde. Er habe für sein Gastland nützlich sein wollen, erzählt Abrisketa. «Deshalb haben wir angefangen, Industrieprodukte zu importieren. Kessel für Kraftwerke, Wasserleitungen, solche Sachen. Sogar eine Fabrik für Sicherheitsstiefel habe ich aufgebaut.» Er lacht. «In einem kubanischen Gefängnis.»

Heute blickt der alt gewordene Revolutionär etwas distanziert, aber nicht verbittert auf die eigene Geschichte. Seine kubanische Tochter ist, wie viele ihrer Altersgenoss:innen, in die USA ausgewandert – und anders als früher findet er das absolut nachvollziehbar. Trotzdem hat er von seinem Gastland ein eher positives Bild. An die hundert Bask:innen seien in den achtziger Jahren von Frankreich nach Westafrika und Lateinamerika deportiert worden, berichtet er. Fast überall hätten die Deportierten in absoluter Unsicherheit gelebt. «Wir in Kuba hingegen konnten ein freies Leben führen. Und wir lebten in einem Land mit viel sozialer Gleichheit. Das ist auch keine Kleinigkeit.» An seinen sozialistischen Überzeugungen hat der Gefängnisausbrecher auch als Geschäftsführer einer Aktiengesellschaft festgehalten.

Auf die Frage, wie er die Zeit des bewaffneten Kampfs in Europa bewertet, antwortet Abrisketa mit einem lapidaren Verweis auf die damaligen Verhältnisse in Spanien. «Der Franquismus war eine grauenhafte Diktatur, und wir haben Widerstand geleistet. Ohne unseren Kampf gäbe es im Baskenland heute keine starke Linke. Schon allein deswegen hat sich unsere Lebensentscheidung gelohnt.»

Politische Ambitionen hegt der kubanisch-baskische Rentner jedoch keine mehr. Er will mit Frau, Tochter und Enkel zurück in das Dorf, in dem er aufgewachsen ist. Da seine Taten verjährt sind, konnte er sich vor einigen Jahren einen spanischen Pass besorgen. Mit Josu Abrisketa, einem der Angeklagten des spektakulären Burgos-Prozesses von 1970, kehrt einer der letzten baskischen Deportierten zurück.