Durch den Monat mit Gracie Mae Bradley (Teil 4): Leiden Sie an Klimaangst?

Nr. 21 –

Die britische Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Gracie Mae Bradley über die Interessen der Ölarbeiter:innen und das Recht auf Protest.

Portraitfoto von Gracie Mae Bradley
Gracie Mae Bradley: «Ich glaube nicht, dass wir auf der Erde sind, nur um uns zu ängstigen. Es muss in unserem Leben Platz geben für die Hoffnung, dass die Welt anders sein kann.»

WOZ: Frau Bradley, Sie sind seit letztem Jahr Direktorin von Friends of the Earth Scotland. Ebenfalls letztes Jahr erzielte Friends of the Earth England einen Sieg: Die Umweltorganisation hatte die britische Regierung verklagt, weil deren Klimastrategie nicht detailliert genug war. Die Regierung verlor und war nun gezwungen, eine neue Strategie auszuarbeiten.

Gracie Mae Bradley: Es war ein brillanter Sieg. Aber die Frage ist: Was sind die Details der neuen Strategie, die die britische Regierung im März vorgelegt hat? Denn die Realität ist, dass wir uns innerhalb eines Jahrzehnts komplett von Öl und Gas verabschieden müssen, um den Klimakollaps abzuwenden. Die Strategie der Regierung lässt noch immer Details vermissen, wie dies zu erreichen ist.

Die schottische Regierung hat indes einige gute Vorstösse gemacht. Sie hat Geld beiseitegelegt, um es Ölarbeiter:innen zu erleichtern, eine neue Anstellung im Sektor der Erneuerbaren zu finden. Zudem plant sie ein Gesetz für den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, damit Ressourcen geschont werden und wir weniger konsumieren. Aber dennoch reicht das alles nicht: Die Schritte zu einer fossilfreien Wirtschaft müssen viel schneller erfolgen.

Ist es in Schottland schwieriger, über Veränderungen in der Klimapolitik zu sprechen, weil der Öl- und Gassektor in der dortigen Wirtschaft eine so wichtige Rolle spielt?

Ich war überrascht, dass die Klimadebatte in Schottland so offen ist. Das liegt auch daran, dass die SNP-Regierung hier weit progressiver ist als jene in London – nicht zuletzt, weil die Klimabewegung enorm viel bewirkt hat. Debatten werden hier ganz anders geführt. Ich habe festgestellt, dass man sehr frei über den Wandel reden kann, der stattfinden muss. Zum Beispiel über die Tatsache, dass unsere Wirtschaft in Zukunft nicht von Öl und Gas angetrieben werden kann. Das sehen auch viele Angestellte in der Fossilindustrie ein. Ich besuchte einen Radierkurs Anfang dieses Jahres …

Einen was?

Einen Kurs, in dem man Radierungen macht. Ich bin nicht besonders gut im Zeichnen, darum habe ich während meines Urlaubs gelernt, wie man Radierungen macht – man arbeitet mit Harz, Säure und Feuer, es macht grossen Spass. Anyway, in diesem Kurs traf ich einen Mann, der fast sein ganzes Leben auf Ölplattformen gearbeitet hat. Er sagte mir, dass ein Wandel unumgänglich sei: Wenn er noch immer arbeiten würde, dann würde er versuchen, in die Industrie der Erneuerbaren einzusteigen. Es ist also überhaupt nicht so, dass die Angestellten in der fossilen Industrie Öl und Gas für absolut notwendig erachten. Es geht ihnen nur darum, wie der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft bewerkstelligt wird, sodass sie weiterhin einen Lebensunterhalt haben. Denn letzten Endes lassen sich die Ölkonzerne nicht von den Interessen ihrer Arbeiter:innen leiten, sondern von jenen der Aktionär:innen.

Direkte Protestaktionen von Klimaaktivist:innen, etwa von Just Stop Oil oder Extinction Rebellion, machen derzeit wieder viele Schlagzeilen. Sind Sie von solchen Aktionen inspiriert?

Ich habe grosse Achtung vor Leuten, die die eigene Freiheit aufs Spiel setzen, um für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Insbesondere weil die Regierung versucht, solche Proteste mit allen Mitteln zu unterbinden – mit Antiprotestgesetzen und harten Strafen. Als ich noch bei der Bürgerrechtskampagne Liberty arbeitete, beschäftigten wir uns viel mit der drakonischen Vorgehensweise gegen Klimaprotestierende, denn das wird auch Konsequenzen für den Rest der Bevölkerung haben.

Inwiefern?

Die Gesetze, die kürzlich erlassen wurden, um das Recht auf Protest zu beschränken – Demos können jetzt beispielsweise unterbunden werden, wenn sie zu laut sind –, werden mit Verweis auf Klimaprotestierende gerechtfertigt. Aber sie werden absolut alle betreffen. Das haben wir auch am Tag der Krönung gesehen, als Monarchiegegner:innen verhaftet wurden.

Wir haben in den vergangenen Jahren in Grossbritannien eine Welle von Protesten erlebt – Black Lives Matter oder in den letzten Monaten die Solidaritätsdemos für Streikende. Die soziale Unzufriedenheit nimmt zu, und parallel dazu wächst auch die Bereitschaft der Leute, auf die Strasse zu gehen. Die Verschärfung der Protestgesetze wird eine abschreckende Wirkung haben, und das ist sehr bedenklich. Wir müssen uns stets daran erinnern, dass das Recht auf Protest nicht ein Geschenk des Staates ist: Es ist ein fundamentales Recht.

Leiden Sie eigentlich an Klimaangst?

Ich glaube nicht. Die Klimakrise bereitet mir grosse Sorgen. Aber ich bin eine Schwarze Frau aus der Arbeiterklasse: Ich habe im Lauf meines Lebens alle möglichen Sorgen gehabt, und ich habe gelernt, damit umzugehen. Ich glaube nicht, dass wir auf der Erde sind, nur um uns zu ängstigen. Es muss in unserem Leben Platz geben für Freude und für die Hoffnung, dass die Welt anders sein kann.

Ich würde nicht jeden Tag aufstehen, wenn ich nicht überzeugt wäre, dass Veränderungen möglich sind – und dass es sich lohnt, für diese Veränderungen zu kämpfen.

Gracie Mae Bradley (32) hat ein Jahr in Paris studiert. Aber die Dozent:innen streikten die meiste Zeit, darum ass sie vor allem viel Käse und ging an der Seine spazieren.