Strassenverkehr: Sechsspurig in den Klimakollaps
Von Amtes wegen unterstützt SVP-Bundesrat Albert Rösti das Klimaschutzgesetz – und macht gleichzeitig eine Verkehrspolitik, an der die Pariser Klimaziele zu scheitern drohen.
Der ehemalige Automobil- und Öllobbyist Albert Rösti muss sich in seinem neuen Amt als Umwelt- und Verkehrsminister im Abstimmungskampf für den Klimaschutz einsetzen. Mit dem Klimaschutzgesetz, das unter seiner Vorgängerin Simonetta Sommaruga erarbeitet wurde und am 18. Juni zur Abstimmung kommt, will die Schweiz ihre Klimapolitik endlich voranbringen: Es soll helfen, die Emission klimaschädlicher Treibhausgase bis 2030 im Vergleich zum Jahr 1990 um fünfzig Prozent zu reduzieren und bis 2050 auf «netto null» zu kommen – ein Ziel, das die Schweiz der Uno im Rahmen des Pariser Klimaabkommens verbindlich zugesichert hat.
Auf dem Weg dorthin kommt dem Verkehr eine zentrale Rolle zu. Dieser trägt die Hauptschuld daran, dass die Schweiz bisher sogar ihre wenig ambitionierten Klimaziele verpasst hat. Das Land hat sich mit dem Kyoto-Protokoll bereits 1997 dazu verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis 2020 um zwanzig Prozent zu reduzieren – doch während in den meisten Bereichen gewisse Emissionsreduktionen erreicht wurden, bildet der Verkehr die grosse Ausnahme. Er verursacht immer noch gleich viel Ausstoss wie zu Beginn der neunziger Jahre; aktuell entfällt knapp ein Drittel aller inländischen Emissionen auf den Verkehr. Das Klimaschutzgesetz sieht für diesen Bereich denn auch eine Emissionsreduktion um 57 Prozent bis ins Jahr 2040 vor.
Dieses Ziel ist nach einer Annahme des Gesetzes verbindlich. Das hindert Albert Rösti aber nicht daran, Autobahnprojekte zu forcieren, die dessen Erreichen deutlich erschweren – oder gar verunmöglichen.
Steilvorlagen hin und zurück
Schon unter Röstis Vorgängerinnen Doris Leuthard (CVP) und Simonetta Sommaruga (SP) an der Spitze des Umwelt- und Verkehrsdepartements (Uvek) übte der bürgerlich dominierte Bundesrat bei der Planung von Autobahnbauten wenig Zurückhaltung. Aus ihren Amtszeiten stammen Erweiterungsprojekte im Umfang von 11,6 Milliarden Franken bis 2030. Über die Hälfte davon wird das Parlament in der anstehenden Sommersession beraten: Es geht um Projekte wie einen Autobahnanschluss mitten im Zentrum der Stadt St. Gallen, einen massiven Ausbau der Autobahn im Norden der Stadt Bern und zwei Autobahntunnels in Basel und Schaffhausen. In den betroffenen Regionen gibt es Widerstand.
«All diese Projekte sind komplett aus der Zeit gefallen», sagt Silas Hobi vom Verein Umverkehr, der sich für eine nachhaltige Verkehrspolitik einsetzt. Für die einflussreiche Autolobby könne es aber nie genug Strassen geben. «Beim ehemaligen Präsidenten der Autoimporteure rennt diese jetzt mit ihren kühnsten Ausbauplänen offene Türen ein», sagt Hobi. Und auch Jon Pult, sozialdemokratischer Präsident der nationalrätlichen Verkehrskommission, gibt zu bedenken: «Wer gedacht hat, dass sich mit Bundesrat Rösti im Uvek nichts ändert, war naiv.»
So hat der Bundesrat unter Röstis Führung vorletzte Woche kommentarlos eine Motion von SVP-Rechtsaussen Erich Hess befürwortet, die einen Ausbau der gesamten Autobahn zwischen Bern und Zürich auf sechs Spuren vorsieht. Und bereits im März hat Rösti an einer Pressekonferenz vielsagend verlauten lassen, er würde es verstehen, wenn auch die Romandie in der aktuellen Autobahnausbaurunde berücksichtigt werden möchte. Die bürgerliche Mehrheit der Verkehrskommission des Nationalrats nahm die Steilvorlage dankend an – und fügte zu den vom Bundesrat vorgesehenen 5,8 Milliarden Franken eine weitere Milliarde für zwei Projekte am Genfersee bei Nyon hinzu.
Auto statt Zug
Doch Albert Rösti treibt den Autobahnausbau nicht nur voran – zumindest rhetorisch stellt er diesen gleich auch in Konkurrenz zum Zugverkehr. Es ergebe «keinen Sinn, die Bahnstrecke zwischen Bern und Zürich noch enorm zu verstärken», sagte er gegenüber Radio SRF. Es gelte, die Strasse auszubauen, wo diese gegenüber der Bahn wegen der Staus nicht konkurrenzfähig sei. SBB-Chef Vincent Ducrot sah sich zu einer Entgegnung veranlasst, und selbst SVP-Politiker:innen widersprachen Rösti. Es werde sich zeigen, wie viele seiner Strassenprojekte Rösti tatsächlich durchsetzen könne, sagt SP-Verkehrspolitiker Pult hoffnungsvoll.
Zunächst wird der Nationalrat über die aktuelle Runde an Autobahnprojekten beraten, es geht um einen Umfang von jetzt 6,7 Milliarden Franken. Kommt es nicht zu einer deutlichen Reduktion der Projekte, erwägen linke Parteien und Verbände, das Referendum zu ergreifen. «Wir hoffen, dass eine Mehrheit der Stimmberechtigten erkennt, dass Autobahnausbau und Klimaschutz nicht zusammenpassen», sagt Silas Hobi. Und selbst falls eine Mehrheit den Ausbau befürworten würde: Es ist damit zu rechnen, dass sich die städtischen Zentren dagegen aussprechen werden. Weil auch die meisten der vorliegenden Projekte in urbanen Räumen geplant sind, müsste der Bund sie anschliessend gegen den Willen der lokalen Bevölkerung durchsetzen.
Wie schwierig das sein kann, musste der Bund bereits in den siebziger Jahren erkennen: Damals sagte die Stadt Zürich bei zwei kantonalen Volksabstimmungen Nein zu einem riesigen Autobahnkreuz direkt beim Hauptbahnhof. Trotz des kantonsweiten Ja wurde das Projekt nie realisiert.