Verkehrsproblem: «Welch Irrsinn!»
Der Bundesrat will in den nächsten Jahren mehr als dreizehn Milliarden Franken für Autobahnen ausgeben. Silas Hobi, Geschäftsführer der NGO Umverkehr, spricht über die Gründe für den wachsenden Widerstand.
WOZ: Herr Hobi, es wird in grossem Ausmass in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert, und auch bei den Gebäudesanierungen geht es vorwärts. Die Verkehrspolitik hingegen bleibt in Beton gegossen: Erst letzte Woche hat der Bundesrat bekannt gegeben, über dreizehn Milliarden Franken in Betrieb und Ausbau von Autobahnen zu stecken. Warum gibt es bei diesem Thema kein ökologisches Bewusstsein?
Silas Hobi: Es ist ernüchternd, dass der Bundesrat weiterhin unbeirrt am Autobahnausbau und am Auto als zentralem Verkehrsmittel festhält, mit dem Argument, dass nur so die Reduktion von Staus erreicht werde. Es ist längst empirisch erwiesen, dass breitere Strassen und mehr Fahrspuren nicht zu weniger Stau, sondern nur zu einer Verlagerung führen. Eine Konsequenz ist hingegen, dass das Verkehrsvolumen steigt.
Welche Folgen hat das für die Klimaerwärmung?
Ein Drittel des CO₂-Ausstosses in der Schweiz geht auf den Verkehr zurück, und es sind die Autos, die mit grossem Abstand hauptverantwortlich dafür sind. Seit 1990 sind die CO₂-Emissionen durch den Verkehr nicht gesunken. Der technische Fortschritt und effizientere Motoren haben sich als Pseudomassnahmen erwiesen, denn zur selben Zeit sind immer mehr und immer schwerere Autos immer weitere Strecken gefahren. Aber es gibt Grund zur Hoffnung.
Ach ja? Und wo?
In den Städten. In Bern, Basel oder Zürich haben mittlerweile über die Hälfte der Haushalte kein eigenes Auto mehr. Das ist ein genereller Trend. Und international gibt es erfreuliche Entwicklungen. Städte wie Kopenhagen oder Amsterdam verfolgen schon lange eine Politik, die weg vom Auto aufs Velo gerichtet ist. Mittlerweile folgen viele weitere Städte wie Mailand, Gent oder Birmingham. Da werden Strassen für Velos freigeräumt und in einem irren Tempo begrünt. Das ist inspirierend.
Die Schweizer Städte hinken da offensichtlich hinterher …
Ich stelle fest, dass in jenen Städten, wo zurzeit viel passiert, sehr charismatische Bürgermeisterinnen an der Macht sind, Ada Colau in Barcelona beispielsweise oder Anne Hidalgo in Paris. Die machen den Verkehr zu einem zentralen Teil ihrer Politik: weniger Autos, mehr Velos, Platz für Fussgänger:innen sowie Bäume. Sie scheuen auch keine Konflikte mit der Autolobby oder dem Gewerbe. Solche Personen fehlen hier noch weitgehend. Eine Ausnahme ist die Lausanner SP-Stadträtin Florence Germond, die öffentlich und offensiv für eine Verkehrswende eintritt.
Warum kommt da nicht mehr?
Man darf nicht unterschätzen, wie stark der Widerstand gegen die Verkehrswende ist. Die grosse Macht der Autolobby war zuletzt beim CO₂-Gesetz deutlich spürbar. Die eigentlich lächerliche Erhöhung des Benzinpreises um zwölf Rappen war ein wesentlicher Faktor bei der Ablehnung, wie die Befragung nach der Abstimmung gezeigt hat. Lokal stellen wir fest, dass vor allem die Gewerbeverbände teilweise heftig gegen den Abbau von Parkplätzen und gegen Verkehrsberuhigungen vorgehen. Wobei das nicht nachvollziehbar ist. Es gibt sehr viele gute Beispiele von verkehrsberuhigten Zonen, die fürs Gewerbe tolle Auswirkungen hatten, etwa in Zürich der Limmatquai oder die Bahnhofstrasse. In den Zustand davor will absolut niemand zurück, auch das Gewerbe nicht.
Kommen wir auf die geplanten Milliardenausgaben des Bundes für die Autobahnen zurück: Der Vorschlag kommt jetzt erst mal ins Parlament. Ist da etwas zu holen?
Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber da mache ich mir keine grossen Illusionen. Wahrscheinlicher ist eher, dass das Parlament die Ausgaben noch erhöht (lacht). Aber es ist klar, dass wir das Referendum gegen den geplanten Kredit von vier Milliarden Franken für insgesamt fünf Neubauprojekte ergreifen wollen – gemeinsam mit dem Verkehrs-Club der Schweiz (VCS), dem Netzwerk «Verkehrswende Jetzt!» und den Ärztinnen und Ärzten für Umweltschutz. Auch die Grünen prüfen die Unterstützung. Zudem ist es eine positive Entwicklung, dass die verschiedenen lokalen Widerstandsorganisationen in einem nationalen Netzwerk gegen den Autobahnausbau gemeinsam in die Hosen steigen wollen, um ihn auf nationaler Ebene zu bekämpfen.
Es dürfte nicht einfach werden, das Argument der Staureduktion zu bekämpfen.
Wenn es uns gelingt aufzuzeigen, was diese fünf Projekte bedeuten, dann kann es gelingen. Es sind allesamt Vorhaben – in Bern, Basel, Schaffhausen und St. Gallen –, die mehr Autos und noch mehr Verkehrsbelastung in die Städte bringen würden. Das ist nämlich eine Art blinder Fleck in der Verkehrspolitik: wie viel Platz Autos beanspruchen. Sie beanspruchen rund ein Drittel der Schweizer Siedlungsfläche. Dass kaum über die Platzproblematik des Autoverkehrs gesprochen wird, ist noch aus einem weiteren Grund problematisch.
Aus welchem?
Die Städte können den Mehrverkehr, der durch den Autobahnausbau entsteht, nicht mehr aufnehmen. Es ist heutzutage undenkbar, dass in Basel oder Bern Häuser abgerissen werden, um Strassen zu verbreitern. An dieser Tatsache werden auch Elektroautos nichts ändern. Auch wenn sie natürlich klimaschonender als Autos mit Verbrennungsmotoren sind, bleibt es ein absoluter Irrsinn, siebzig Kilogramm Mensch mithilfe von zwei Tonnen Stahl und Blech zu bewegen. Ausserdem belasten ihre Herstellung und Entsorgung das Klima durchaus, netto null ist mit Elektroautos nicht erreichbar. Das Kernproblem ist nicht der Antrieb des Autos, sondern das Auto an sich, das enorme externe Kosten verursacht.
Wo zeigen sich diese externen Kosten?
Damit sind jene Kosten gemeint, die zwar durch den Verkehr verursacht werden, aber nicht von den Verursachern bezahlt werden: Unfälle, Luftverschmutzung, Lärmbelastung, Klimafolgeschäden. Das Bundesamt für Raumentwicklung hat die externen Kosten des Gesamtverkehrs in einer grossen Studie berechnet. Auch hier zeigt sich: Der mit Abstand grösste Verursacher ist der private Strassenverkehr mit fast zehn Milliarden Franken solcher Kosten. Diese trägt die Allgemeinheit. Es wäre nur gerecht, wenn die Milliarden zur Verminderung dieser Kosten statt für den Autobahnausbau eingesetzt würden. Zum Vergleich: Die externen Kosten des Schienenverkehrs liegen bei etwa 1,2 Milliarden Franken. Der Fuss- und Veloverkehr generiert sogar einen externen Nutzen, weil er die Gesundheit fördert.
Warum holen Sie eigentlich nicht jene Idee wieder aus der Schublade, mit der Sie vor mittlerweile 23 Jahren für Furore sorgten: eine Volksinitiative für die Halbierung des motorisierten Strassenverkehrs?
Sie ist damals ziemlich krachend gescheitert. Und eine nationale Abstimmung ist eine riesige Herausforderung. Man hat bei der Konzernverantwortungsinitiative gesehen, wie enorm viel da reingesteckt wurde, und dann hat es wegen des Ständemehrs doch nicht gereicht. Aber die Forderung ist so aktuell wie damals geblieben, und mit dem Erstarken der Klimabewegung ist wohl auch das Bewusstsein für das Anliegen gestiegen.
Silas Hobi (37) ist seit 2017 Geschäftsführer der NGO Umverkehr.