Politik als Theater: Donald der Dritte?
Wenn die Weltpolitik wie Theater aussieht, kann man dann auch vom Theater lernen? William Shakespeare zeigt: Ja, aber weniger über die neuen Herrscher als über uns, das Publikum.

Ob Donald Trump psychisch krank sei, das darf man sich in einer Demokratie auch öffentlich fragen. Viele Artikel und Interviews rauschen mit psychologischen Mutmassungen durch die Kanäle. Man möchte gerne Antworten haben und hofft, dass jemand das Chaos so etwas ordnen kann. Nur, was wäre gewonnen, wenn man die neuen Autokraten und alle, die es gerne werden wollen, für verrückt erklärt?
Wer viel ins Theater geht oder das Privileg genossen hat, alte Theatertexte vermittelt bekommen zu haben, schaut anders auf die neuen Herrscher. Die Bühnenkunst ist der Ort der Wirkung, nicht der Psychologie. Eine Inszenierung im Raum kann besser von Konstellationen erzählen als vom Seelenheil des Einzelnen; das bürgerliche Theater der Repräsentation mit seiner nach innen gerichteten Aufmerksamkeit ist eine vergleichsweise kurze Epoche in der langen Theatergeschichte. Im Theater ist das Äussere in der Regel wichtiger als das Innere, es ist spannender, zu schauen, wie eine Hauptfigur auf andere wirkt. In drei Worten: wie sie spielt.
Bei Donald Trump ist die fast parodistische Theaterhaftigkeit nicht zu übersehen: das dicke orange-braune Make-up, die Extremföhnfrisur (ob Toupet oder Transplantation – beides ist Kostüm), die Polster in der Schulterpartie, die Anzüge in Übergrösse. Auf manch einer Bühne fänden die Zuschauer so eine Maske und so ein Kostüm übertrieben. Im Weissen Haus und im Kongress fällt der Operettenstadl kaum mehr auf. Noch nicht einmal der unterwürfige Hofstaat wirkt aus der Zeit gefallen, der noch Trumps müdestem Witz hinterhergluckst. Mit Psychologie kommt man da nicht weit. Alle sehen ja, dass er spielt.
Deshalb könnte man die Perspektive mal umdrehen und nicht in seinen Kopf schauen, sondern sein Publikum in den Blick nehmen. Warum wirkt er so stark auf so viele Menschen? Hier helfen der Psychiater und die Frage nach der Gesundheit des Seelenlebens nicht weiter. Für einmal weiss das Theater da vielleicht mehr als die Medizin. Allein, das Theater ist schon lange müde …
Glamour des Bösen
In den neunziger Jahren sagte der Ostberliner Regisseur Frank Castorf gerne, die Politik spiele mittlerweile so gut Theater, dass man das Theater selbst nicht mehr brauche. Die Welt als Bühne und wir als Darsteller: Unter dem Eindruck elektronischer Medien nannte man das nun «Simulation» und druckte in jedem Programmheft einen französischen Philosophen ab, am liebsten Jean Baudrillard. Seit dem 11. September 2001 haben sich Medien und Welt nochmals radikal verändert, und selbst wenn man diesen Wandel nicht mit einem Wort fassen kann, so lässt sich doch sagen: In den sozialen Medien sind Gefühle auf der Gewinnerseite. Und es sind nicht nur schöne Gefühle.
Es macht offenbar Spass, dabei zuzuschauen, wie Leute entlassen werden; im Drama: wie Könige über Leichen gehen. Trumps Realityshow «The Apprentice» zeigte ungeschönt, wie geil es viele Leute finden, andere zu feuern. Das ist aber im Kern die Funktion jeder Realityshow. Der trashferne Teil des Publikums verdrängt, wie attraktiv Unmenschlichkeit wirkt. Und zwar nicht erst seit dem Internet und Onkel Willy, der online Grüne und Linke beleidigt, nachdem er den Güselsack rausgebracht hat. Das Theater weiss um den Glamour des Bösen. Am meisten davon versteht das Theater von William Shakespeare.
Seine Stücke können auch deshalb durch den historischen Schleier von über 400 Jahren zu uns sprechen, weil sie Altes, Verdrängtes und auch Neues in sich tragen, das untergehende Mittelalter wie den ersten Schein der Neuzeit. Das Neue: Hier reden zum ersten Mal plastische Figuren, durchaus psychologisch motiviert. Das Alte: Sie folgen bei Shakespeare manchmal noch der Allegorie, der Verkörperung eines Prinzips. Zum Beispiel: dem des unverfrorenen Bösen.
Das beste Beispiel für diesen Januskopf, der zurück ins Mittelalter schaut und gleichzeitig nach vorne in die Neuzeit, findet sich im Stück und der Titelfigur «König Richard der Dritte». Der Text hatte zum einen eine opportunistische Stossrichtung: Er sollte Königin Elisabeth beruhigen und ihr Herrschergeschlecht legitimieren (ihr Grossvater hatte Richard III. getötet und die Familie der Tudors auf dem Thron installiert). Richard III. redet offen über seine düsteren Absichten, alleine auf der Bühne, beiseitegesprochen mitten in einem Dialog oder auch direkt zum Publikum. Er erinnert damit an die Figur The Vice aus den «morality plays» des Spätmittelalters: das Laster oder die Sünde. Richard stammt direkt von ihr ab; er ist eine Typologisierung, nicht unbedingt ein Mensch. Nun aber ist Shakespeare Shakespeare, und es wird ganz kurz etwas kompliziert.
The Vice im Weissen Haus
Denn Shakespeare hat The Vice in Richard stark bearbeitet (wie jedes Material, das er übernahm). Richard kann über sich reflektieren, wie das im Mittelalter keine Theaterfigur konnte. Der deformierte Körper, seine Hässlichkeit: Sie motivieren die Bösartigkeit psychologisch. Das klingt grob nach unserer Gegenwart: Der arme Richard ist marginalisiert und hat ein Anerkennungsproblem. Nichts, was sich mit einem Empowerment-Seminar und etwas Therapie nicht wieder richten liesse. Doch die Psychologie führt nirgends hin, Richard agiert jenseits eines Musters. Aber die Figur wirkt auf die anderen. Denn einige Höflinge im Stück und erst recht das Publikum finden grossen Gefallen an seiner Durchtriebenheit.
Vorsicht: Der US-Präsident ist nicht Richard III., wie ihn Shakespeare unsterblich machte. Donald der Dritte wäre allenfalls ein weiteres lustiges Meme, aber im Kern so dumm wie alle Inszenierungen, die Shakespeare mit einem zeitgenössischen Phänomen identisch sehen wollen. Oft gesehen in den letzten Jahren: «Macbeth» etwa sei ein Stück über die toxische Männlichkeit unserer Tage. Das kann nur sagen, wer das Stück zu grossen Teilen nicht gelesen hat, denn der Macbeth des ersten Aktes etwa entspricht eher einem hypersensitiven, wenn auch womöglich vom Krieg traumatisierten Mann. Auch unterdrückt er seine Frau nicht, sondern holt sich bei ihr Hilfe, weil er sieht: Lady Macbeth ist stärker als er.
Was aber zwischen dem US-Präsidenten und Shakespeares buckligem König Richard vergleichbar ist: ihr Spiel. Der Renaissanceforscher Stephen Greenblatt zählt auf, was Richard III. alles von der Vice-Figur aus dem Spätmittelalter übernimmt: die sexuelle Angeberei, eine manische Energie und ebensolches Witzereissen, die Fähigkeit, bis fast zuletzt immer der Strafe zu entgehen.
Das kommt uns alles bekannt vor, wenn wir ans Weisse Haus denken. Wahrscheinlich steckt auch in uns noch mehr Mittelalter, als wir denken, wenn solche Verhaltensweisen so anziehend wirken. Denn es scheint fast egal zu sein, ob man ihnen zustimmt oder sie ablehnt: Lesen oder schauen muss man es trotzdem. Und wenn man verfolgt, wie Donald Trump auf sozialen Medien Staatschefs verhöhnt, noch bevor er sie trifft, wähnt man sich doch wieder bei Richard III., wenn er seine sinistren Absichten so gerne mit dem Publikum teilt. Die Unterschiede zwischen Tagebuch, privatem Gespräch, Stammtisch und Weltpolitik verpuffen dabei zusehends.
Immer wieder wirkt die Kunst wirklicher oder zumindest attraktiver als das Leben. Es gibt die Anekdote, dass der erste Darsteller des Richard III., der berühmte Schauspieler Richard Burbage, von einer Londoner Dame um ein erotisches Treffen gebeten worden sei, allerdings unter einer Auflage: Er habe sich unter dem Namen Richard der Dritte anzumelden. Die Dame wollte lieber mit dem Bösewicht ins Bett als mit dem Schauspieler.
Räudige Gehirne
Man könnte einwenden: Warum nicht? Wir lagern unsere Faszination für das Böse in die Kunst aus und geben uns dort den dunklen Trieben hin. Der Rahmen der Künste und gerade des Theaters hätte dann etwas Zivilisierendes. Aber wenn Trump und sein Clan etwas beherrschen, dann ist es die amerikanische Kunst, die Grenzen zwischen Politik und Entertainment so offen zu lassen, dass sie vollends kollabieren. Auch davon weiss ein berühmtes Shakespeare-Stück viel zu berichten.
«Macbeth» ist ein Stück über den Unterschied zwischen Schein und Realität. «Fair is foul, and foul is fair», die Worte der Hexen, die dem Krieger Macbeth seine Bestimmung, König zu werden, vorhersagen, führen ins Zentrum der Tragödie: Was recht ist und was schlecht, was schön und wüst oder brav und bös, das alles verschwimmt im Nebel. Macbeth kann mit der Zeit nicht mehr unterscheiden, was ein Gedanke und was eine Tat ist. Das würde man heute Paranoia oder Psychose nennen. Seine Frau sieht klar, verliert aber dann den Verstand, als sie zuschauen muss, wie sehr ihr Mann die Prophezeiung beim Wort nimmt und immer weiter mordet. Es ist ein Paar, das sprichwörtlich keine Grenzen mehr kennt.
Diese Entgrenzung zwischen Realität und Medien, zwischen Politik und Unterhaltung, zwischen einem Gedanken und seinen Konsequenzen ist auch ein Merkmal unserer hypervernetzten, hypermedialen Weltwahrnehmung. Die Politik einer Supermacht für «good TV» (Trump) zu halten und sie als solche gutzuheissen, kündet vom Zusammenbruch ziemlich vieler Grenzen auf einmal. Es ist nicht das Gleiche, wie eine böse Figur im Theater attraktiv zu finden und so seine nicht stubenreinen Instinkte zu kanalisieren. Auf diesen Unterschied kommt es an.
Deshalb ist es nicht immer eine gute Idee, in Büchern, aber auch im Theater böse Figuren zu streichen oder, wenn sie vorkommen, sie sofort zu problematisieren und ihnen jeden Glanz zu rauben. Was bleibt, wenn nicht die Kunst, um das Unreine zu geniessen? Der Krieg? Die Künste sind nun zur Mehrheit durchtherapiert, aber unser Gehirn ist Shakespeares räudigem Publikum wohl leider näher, als wir denken.