Audiokassetten: «You need Tapes? Call this Number!»

Nr. 25 –

Eine Floppy Disk mit einem Punkalbum drauf, was soll das denn? Der Boom analoger Speichermedien wie der Audiokassette erzählt auch von der Sehnsucht nach Begrenzung.

Bernerin Leoni Leoni mit einem Mehrspur-Kassetten-Aufnahmegerät
Bandrauschen wird zu Musik: Die Bernerin Leoni Leoni nutzt die Kassette als Mittel zur Verfremdung.

Sich mit Audiokassetten zu beschäftigen, mag heute abwegig klingen. Im kulturellen Gedächtnis begegnen sie uns vielleicht noch als romantische Erinnerungen, als Mixtapes, aufgenommen von oder für Freund:innen. Oder vielleicht denken wir, je nach Alter, an glückliche Stunden im Kinderzimmer zurück, die wir mit Hörspielkassetten verbracht haben. Doch jenseits nostalgischer Gefühle ist in den vergangenen Jahren um das Medium Kassette ein regelrechter Hype entstanden, der sich nicht bloss auf den Wunsch nach einer Reinszenierung der eigenen Kindheit zurückführen lässt. Davon zeugen konstant wachsende Verkaufszahlen und sogar Majorlabels, die wieder Audiokassetten herausgeben.

Nur schon im deutschsprachigen Raum wurden in den letzten zehn Jahren verschiedene Labels gegründet, die Musik ausschliesslich auf Kassette veröffentlichen. Ein Beispiel ist das im Kanton Baselland gegründete Label Plouk. Es veröffentlicht improvisierte Musik, Drone oder experimentelle Elektronik. Die Idee hinter der Gründung war es, ganz nach eigenen Regeln und Vorstellungen veröffentlichen zu können. Das beginnt schon bei den auffallenden, handbedruckten Covers, über die Kassetten von Plouk sofort wiederzuerkennen sind. Auf vielen sind abstrakte Zeichnungen in wiederkehrendem Rot, Schwarz und Gelb zu sehen, oft ergänzt durch Typografie.

Bereits 2014 startete in Berlin das Tapelabel Flennen. Die ersten Veröffentlichungen waren Sampler, auf denen ein Querschnitt durch die Leipziger und Berliner Punk- und Garageszene zu finden war: Mixtapes mit Bands wie Pigeon, Yor oder Liiek, deren Sound sich zwischen Postpunk, Neuer Deutscher Welle und No Wave bewegt. Ein weiteres Beispiel eines Kassettenlabels, das wie Flennen von einer Community getragen wird, ist Prepaid Records aus Leipzig. Gefühlt an jedem zweiten Leipziger Laternenpfahl klebte vor einigen Jahren ein Aufkleber mit der Aufschrift: «You need Tapes? Call this Number!», dazu eine Handynummer. Anfangs wurden Bestellungen bei Prepaid Records tatsächlich nur per Telefon entgegengenommen, mittlerweile ist dies auch übers Internet möglich. Das Label zelebriert das Analoge und hat den Anspruch, die Leipziger Musikszene abzubilden. Hierzu werden regelmässig Musiker:innen und DJs zu Livesessions ins Studio eingeladen, die aufgezeichnet und in kleiner Stückzahl – natürlich auf Kassette – veröffentlicht werden.

Spulen und Rauschen

Doch womit ist die erneute Liebe für die Audiokassette zu erklären? Zunächst sind da die ökonomischen und praktischen Vorzüge: Kassetten sind billig im Einkauf und können mit geringem technischem Aufwand vervielfältigt werden. Ihre Herstellung ist viel schneller als die von Schallplatten, und sie können portogünstig per Briefpost verschickt werden. Kassetten stehen aber auch für musikalische Vielfalt; oft erscheint darauf Musik, die bei grossen Streaminganbietern nicht zu finden ist. Als Objekt bietet die Kassette ausserdem Raum für gestalterische Ideen.

Darüber hinaus ist die Audiokassette auch eng mit ästhetischen Vorstellungen verbunden. Dabei dient sie gerade auch dazu, auf ästhetische Leerstellen im Mainstream aufmerksam zu machen. So wird die Kassette heute nicht nur wieder als reiner Tonträger verwendet, sondern auch als künstlerisches Medium mit klanglichen Eigenheiten ausgelotet. Ein Beispiel dafür ist die Berner Musikerin Leoni Leoni, die beim Aufnehmen und auf der Bühne mit Tapes arbeitet. Im Gespräch mit ihr wird deutlich, dass Tapes eine zentrale Rolle in ihrem kreativen Prozess einnehmen: «Kassetten helfen mir dabei, zu den Sounds zu kommen, die mir persönlich gefallen», sagt sie. «Wichtig ist mir, dass auch das Rauschen, Spulen oder Umgebungsgeräusche zur Musik gehören.» Solche Geräusche geben ihren Kompositionen eine klangliche Tiefe.

Kassette des Baselbieter Labels Plouk
Hoher Wiedererkennungswert: Die Kassetten des Baselbieter Labels Plouk sind individuell gestaltet. Foto: Plouk

Wenn sie Musik aufnimmt, wandelt Leoni Leoni Tonspuren mehrfach von digitalen in analoge Signale um. Vergleichbar ist das mit der Kopie eines Bildes, die dann wieder kopiert wird und so weiter. Dabei sinkt die Auflösung, das Bild wird undeutlicher und entfernt sich dadurch immer weiter vom Original – wobei es doch nahe genug an diesem bleibt, um erkennbar zu bleiben. Ganz ähnlich benutzt Leoni Leoni die Kassette als Mittel zur Verfremdung: Wie beim mehrfach kopierten Bild geht bei der analogen Übertragung immer auch Detailinformation verloren. Durch nicht ganz gleichmässig laufende Abspielspulen entstehen Veränderungen in der Tonhöhe, Frequenzen werden abgeschnitten, Bandrauschen kommt hinzu.

Gut zu hören ist dieser Kassettensound auf Leoni Leonis Album «Drum Problems» (2021). Durch die Instrumente, die sie verwendet, etwa ein altes Casio-Keyboard, lässt Leoni Leoni eine Welt entstehen, die sich zwischen Kinderzimmer und hochkonzentrierter experimenteller Popmusik bewegt. Durch die künstliche Alterung des Ausgangsmaterials entsteht eine gewisse Unsicherheit, was die zeitliche Einordnung der Musik betrifft. Die bewusste Verfremdung lässt die Klänge suggestiver wirken: Sie sind gleichzeitig modern und in der Ästhetik vergangener Popmusik verortet.

Es lassen sich darin etwa Verweise auf Computerspielmusik oder den interessanteren Teil der sogenannten Neuen Deutschen Welle finden. Die präsenten Hall- und Delay-Effekte wiederum erinnern an das Genre Vaporwave, eine in den nuller Jahren im Netz aufgekommene Stilrichtung, die als Ausgangsmaterial bevorzugt Werbemusik der achtziger und neunziger Jahre verwendete. Die exzessive Nutzung von Dopplungs- und Raumeffekten liess im Vaporwave einen undurchdringlichen Nebel entstehen, in dem die Samples bis zur Unkenntlichkeit aufgingen.

Haptische Sehnsucht

Doch wieso ist für die Produktion dieser Musik gerade die Audiokassette interessant? Zumal sich die beschriebenen Klangverfremdungen heute geradeso gut mit Musiksoftware herstellen lassen. Es scheint das Analoge an sich zu sein, das weiterhin eine grosse Faszination ausübt.

Der britische Poptheoretiker Simon Reynolds beschreibt in seinem einflussreichen Buch «Retromania» (2011), wie sich der Blick der Popkultur immer stärker in die Vergangenheit gerichtet hat. Zentral für diesen Turn ist für Reynolds die ständige Verfügbarkeit von Filmen, Musik und Bildern im Netz. Dieses wird zu einem unübersichtlichen Archiv von potenziell allem, was jemals irgendwo gesungen, gesagt oder gespielt wurde: Demoaufnahmen von Protopunkbands aus den siebziger Jahren laufen neben Videos von computeranimierten Animefiguren, die als Projektion vor einem Stadionpublikum auftreten.

Diese Unübersichtlichkeit weckt laut Reynolds ein starkes Verlangen, die Unordnung in strukturierte und kuratierte Sammlungen zu überführen. Das führt zu einer regelrechten digitalen Sammlungs- und Ordnungswut: Schnell hat man eine Playlist aus den Diskografien seiner Lieblingsbands zusammengeklickt, sich dann einen Überblick über die chinesische Jazzszene verschafft und seine liebsten Hollywoodsoundtracks heruntergeladen und sortiert, um alles bei Bedarf abrufbar zu haben.

Durch die Digitalisierung wurde es möglich, potenziell grenzenlose Musiksammlungen anzulegen, ohne jegliche Einschränkungen durch den konkret vorhandenen Stauraum. Der Zugang zu Musik wurde dadurch viel niederschwelliger – aber auch beliebiger. Grosse Sammlungen machen es zwangsläufig schwieriger, zu entscheiden, was man überhaupt noch hören, mit was man sich intensiv beschäftigen soll. Auf die Begeisterung folgt Übersättigung.

Die Rückbesinnung auf analoge Medien wie Vinylschallplatten oder Kassetten lässt auf einen Wunsch nach erneuter Eingrenzung schliessen, nach festen Richtgrössen, schliesslich vielleicht nach einem Kanon. Die Materialität von Objekten bedient diese Sehnsucht. Die Kassette nimmt Raum ein, ihr Band hat einen Anfang und ein Ende, es lässt sich anfassen und zerschneiden. Gleichzeitig ist die Erinnerung daran, dass man Geld für das Objekt ausgegeben hat, eine Mahnung, Wert und Nutzen aus der Investition zu ziehen.

Was darüber hinaus ein weiteres wichtiges Motiv hinter der emotionalen und kulturellen Aufladung von vermeintlich überholten Speichermedien zu sein scheint: Sie verkomplizieren den Konsum. In der Berliner Punkszene kann es einem schon mal passieren, dass man plötzlich eine Floppy Disk in den Händen hält, auf der das neue Album einer gerade gehörten Band zu finden ist. Wie viel Musik hat darauf überhaupt Platz, und in welcher Qualität? Und vor allem: Wer hat heute überhaupt noch ein Diskettenlaufwerk und macht sich die Mühe, die Stücke der Band auf diesem Weg abzuspielen? Im Vergleich zu derartigen Spielereien ist die Kassette ein Mainstreammedium.

Leoni Leoni wie auch die Labels Flennen, Prepaid Records und Plouk sind alle bei bandcamp.com zu finden.