Russlands Privatarmeen: Die Geister, die er rief

Nr. 26 –

Eigentlich ist das Söldnertum in Russland noch immer verboten, und dennoch setzt Putins Regime auf eine Vielzahl privater Kampfverbände. Spätestens jetzt ist klar, welch grosse Risiken es damit eingeht.

Am Wochenende haben die Menschen in Russland feststellen müssen: Wer über ein gewisses Mass an Militärtechnik, Munition und einige Tausend Kämpfer verfügt, kann einfach so in Rostow einfallen, wo sich die südliche Kommandozentrale der russischen Streitkräfte befindet. Er kann sechs Armeehubschrauber und ein Flugzeug abschiessen und weitgehend ungestört Hunderte Kilometer in Richtung Moskau ziehen. Und trotzdem Patriot sein.

Präsident Wladimir Putins offizielle Deutung des «Marschs der Gerechtigkeit» von Jewgeni Prigoschin und dessen Gruppe Wagner lautet nämlich: Sie sollen in der Ukraine Verdienstvolles geleistet haben, dann aber von fremden Kräften missbraucht und hinters Licht geführt worden sein. Am Ende hätten sie dennoch die einzig richtige Entscheidung getroffen und ein «brudermörderisches Blutvergiessen» verhindert. Führende Politiker:innen schlossen sich Putins Darstellung an. «Sie haben niemandem wehgetan», liess Andrei Kartapolow, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses in der Duma, gegenüber der Tageszeitung «Wedomosti» verlauten.

Truppen ohne Gesetzesgrundlage

Vehement sprach sich Kartapolow gegen ein Wagner-Verbot aus; ein solches wäre «ein Geschenk für die Nato», so der Politiker. Vielmehr schwebe ihm vor, die kampferprobte Söldnertruppe mit maximaler Effizienz zu nutzen, «aber zu friedlichen Zwecken». Dafür brauche es nun ein Gesetz. Bereits 2018 forderte Aussenminister Sergei Lawrow, Auslandseinsätze von russischen Söldnern zu legalisieren, denn bis heute droht diesen eigentlich ein Strafverfahren. Zuletzt setzte Sergei Mironow, Chef der regierungsnahen Partei Gerechtes Russland, im März 2022 dazu an, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen; damals hiess es, dafür gebe es keinen Bedarf. Jetzt hat er angekündigt, seine Initiative neu aufzulegen.

Nach den Ereignissen vom Wochenende haben Wagner-Angehörige derzeit drei Optionen: Sie können sich vertraglich ans Verteidigungsministerium binden, sie können ihrem aufständischen Chef Prigoschin – bei völlig nebulöser Perspektive – nach Belarus ins Exil folgen, oder sie können sich ins Privatleben zurückziehen. Ob mündlich zugesicherte Garantien für Straffreiheit eingehalten werden, bleibt allerdings abzuwarten. Derzeit herrscht mehr Verwirrung als Klarheit: In den westsibirischen Städten Tjumen und Nowosibirsk zum Beispiel wurden die Rekrutierungsstellen der Gruppe Wagner bereits am Freitag geschlossen. Am Montag waren sie wieder geöffnet, als ob nichts Besonderes geschehen wäre.

Die Initiative zur Gründung der Gruppe Wagner im Jahr 2014 geht auf den russischen Generalstab zurück. Zur unbürokratischen Erledigung unkonventioneller Aufgaben im Ausland brauchte dieser eine neue Struktur, die formal unabhängig einsatzbereit war – insbesondere in Syrien und mehreren afrikanischen Ländern. Tatsächlich stand die erste Söldnertruppe dieser Art, die später nach dem Decknamen ihres Gründers Dmitri Utkin «Wagner» genannt wurde, seit Beginn unter der direkten Aufsicht des militärischen Nachrichtendiensts GRU.

Konzernsecurity im Krieg

Wagner ist die bekannteste «Privatarmee» in Russland, aber sie ist nicht die einzige. Wobei sich hinter diesem Begriff extrem unterschiedliche Modelle verbergen. Bereits 2008 etwa formierte sich unter dem Namen Redut ein Zusammenschluss ehemaliger Militärveteranen, der später ebenfalls in Syrien zum Einsatz kam. Das russische Investigativportal «Insider» beschreibt Redut als Konkurrenzprojekt zu Wagner, das bis zum Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eine ganze Reihe von dessen Söldnern abwarb, sehr zum Unmut Prigoschins. Zum Zeitpunkt der Invasion soll Redut nach ukrainischen Schätzungen rund 7000 Angehörige gezählt haben – von denen aber ein Grossteil schon in den ersten Kriegstagen ums Leben gekommen sein sollen.

Im April sprach Prigoschin von weiteren privaten Gruppen, die an der Front eingesetzt würden; so sei etwa auch der Gaskonzern Gazprom mit den aus firmeneigenen Security-Strukturen zusammengestellten Gruppierungen Potok und Fakel in der Ukraine präsent. Doch es gibt weder Angaben über deren Grösse noch über einen nennenswerten Einfluss auf das Kampfgeschehen. Nicht zu vergessen ist auch eine ganze Reihe regionaler Freiwilligenverbände, wie beispielsweise das tschetschenische Bataillon Achmat. Diese sind flexibler einsetzbar als Russlands konventionelle Truppen, die den Bestimmungen eines monströsen bürokratischen Systems unterliegen. Auf weitere Vorteile militärischer Parallelstrukturen verwies Pawel Lusin, Experte für russische Verteidigungspolitik, gegenüber der Deutschen Welle: Sie verschleiern Verantwortlichkeiten und dienen somit dem Schutz der Armeeführung.

Ein unübersichtliches Konglomerat aus diversen Kampftruppen, die nach eigenen Regeln agieren, schafft aber Probleme, die spätestens jetzt offen zutage getreten sind. Wohl um etwas Ordnung ins Chaos zu bringen, hat das Verteidigungsministerium vor einiger Zeit die Weisung erteilt, dass alle Verbände bis zum 1. Juli Verträge mit der Armee abzuschliessen haben. Wohl um sein Geschäft mit dem Krieg zu retten, hat sich Prigoschin widersetzt – und in einer Vabanqueaktion den offenen Konflikt gewagt.