Durch den Monat mit Astrid Björnsen (Teil 1) : Was bedeutet es, wenn unsere Gletscher verschwinden?
Die Umweltnaturwissenschaftlerin Astrid Björnsen von der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) erforscht die Konsequenzen von Trockenheit auf Gewässer und Wälder. Ihre Einschätzungen klingen herausfordernd, aber nicht dystopisch.
WOZ: Astrid Björnsen, ich gehe oft mit meinen zwei Buben Fussball spielen. Noch nie habe ich schon im Juni so gelben, ausgetrockneten Rasen gesehen. Was ist da los?
Astrid Björnsen: Die Einschätzung, dass es derzeit sehr trocken ist, stimmt. Das zeigen Daten und Messungen. Der Juni galt ja lange als letzter nasser und teilweise kühler Monat, bevor dann der Sommer so richtig losgeht. Ich erinnere mich an die Geburtstagsfeiern meines Sohnes, wo wir im Schwimmbad die einzigen Gäste waren, weil es so kalt war. In den letzten Jahren waren die Sommermonate jedoch häufig niederschlagsarm und warm. Der Hitzesommer 2003 – man erinnere sich an die toten Fische im Rhein – galt noch als Ausreisser. Seither treten solche Trockenperioden häufiger auf: 2015, 2018 und 2022 zählten dazu. Vor diesem Hintergrund lancierten wir letztes Jahr an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft das Forschungsprogramm «Extremes», bei dem die Trockenheit einen Schwerpunkt darstellt.
Was können Sie darüber schon berichten?
Wir entwickeln Modelle, die die Auswirkungen von Trockenheit und anderen extremen Ereignissen auf die Wasserressourcen und deren Nutzung aufzeigen. Aber auch, wie sich das veränderte Klima auf den Zustand von Fichten und Buchen auswirkt. Sind sie geschwächt, begünstigt das die Entwicklung der Borkenkäferpopulation. Auch Waldbrände werden im Mittelland ein Thema sein. Mit dem Programm wollten wir den Entwicklungen einen Schritt voraus sein, aber nun realisieren wir, dass diese extremen Ereignisse nicht nur vor der Tür stehen, sondern schon ins Haus geplatzt sind.
Was bedeutet die Trockenheit konkret für unsere Wasserressourcen?
Trockenheit beeinträchtigt die Wassermenge, aber auch die Qualität, weil Sommertrockenheit eigentlich immer mit Hitze einhergeht. In unseren Bächen, Flüssen und Seen sinkt das Wasservolumen, und das wenige vorhandene Wasser erwärmt sich sehr viel schneller. Als Folge davon sterben die Fische. Letztes Jahr sind trotz Hitzesommer erstaunlicherweise nicht mehr so viele Fische gestorben wie 2003 oder auch 2018. Da stellt sich die Frage, wieso. Haben sich die Fische angepasst, oder fanden sie kühle Rückzugsorte? Viel eher lag es an der Tatsache, dass viele Fischpopulationen sich von vorhergehenden Hitzesommern gar nicht erholt hatten: Wenn es nicht mehr viele Fische gibt, können auch nicht mehr viele sterben. Warme Wassertemperaturen begünstigen auch die Vermehrung von Kolibakterien, die über unsere Fäkalien in die Gewässer gelangen – oder von schädlichen Blaualgen.
Was mich ein wenig beruhigt: Ich war kürzlich im Rhein baden. Er führt gut Wasser und ist noch einigermassen kühl.
Er speist sich im Moment auch von den schmelzenden Gletschern. Allerdings sagen unsere Prognosen, dass diese bis 2050 weggeschmolzen sein werden – mit wenigen Ausnahmen wie dem Aletsch- oder dem Rhonegletscher, die noch etwas länger überleben dürften. Dieses Gletscherwasser wird in den Abflüssen in Zukunft fehlen.
Und was bedeutet das für Flüsse wie den Rhein?
Das Gletscherwasser macht nur etwa ein Prozent aus, 42 Prozent stammen von der Schneeschmelze, der Rest ist Regenwasser. Man könnte jetzt also denken: Gletscherwasser hat ja keine Bedeutung. Aber entscheidend ist, wann es abfliesst. Es kommt im Sommer, wenn es heiss ist und kaum regnet. Entsprechend ist der Einfluss auf Wassertemperatur und Pegelstände beträchtlich und damit auch auf die Schifffahrt. Auch Kernkraftwerke und Industrien sind auf kühles Wasser angewiesen. Liegt die Wassertemperatur im Rhein bei über 25 Grad, darf das Wasser nicht mehr zu Kühlzwecken verwendet werden. Aus diesem Grund mussten auch in der Schweiz schon Kernkraftwerke ihre Produktion einstellen.
Ich ertappe mich dabei, wie ich angesichts der Klimakatastrophe zunehmend Angst vor der Zukunft habe. Wie geht es Ihnen damit?
Was mich zuversichtlich stimmt, ist die Erfahrung, die ich während meiner Forschungsaufenthalte in Nepal gemacht habe. Dort herrscht ein halbes Jahr Trockenheit, dann kommt der Sturzregen während des Monsuns. Extreme Wetterlagen, trotzdem haben sie dort einen landwirtschaftlichen Anbauzyklus entwickelt, der die Bevölkerung ernähren kann. Man darf auch nicht vergessen, dass die Schweiz klimatologisch gesehen privilegiert ist.
Woran liegt das?
An den Alpen, wo es von Norden und Süden her Wolken mit Feuchtigkeit hintreibt. Wir werden ein wasserreiches Land bleiben, müssen uns aber überlegen, wie man das Wasser sinnvoll zurückhalten kann, um es in regenarmen Perioden zu nutzen. Und zwar nicht nur zur Stromproduktion, wie das heute meist der Fall ist, sondern auch für die landwirtschaftliche Bewässerung und als Trinkwasserreserve. Den Umgang mit den Wasserressourcen klug zu regeln und umzusetzen, ist Aufgabe der Behörden und der Politik.
Astrid Björnsen ist in der Nähe von Winterthur aufgewachsen. Als Kind fuhr sie zu Weihnachten auf dem Irchel Schlitten. Ihre Kinder haben das schon nicht mehr so erlebt.