Serie: Du sollst die AGB lesen

Nr. 27 –

Nicht schlecht, aber auch nicht mehr so gut: Die neue Staffel von «Black Mirror» ist auch ein selbstkritisches Feigenblatt fürs Netflix-Management.

Still aus der Serie Black Mirror
Protagonistin und Schauspielerin haben ihre Rechte verkauft, das Streamingunternehmen behält die Oberhand: Salma Hayek als Salma Hayek, die Joan spielt. Ana Blumenkron, Netflix

Der britische Premier hat Sex mit einem Schwein, live im Fernsehen, mehr als eine Milliarde Menschen schauen zu. Er erfüllt damit die Forderung von Erpressern, die ein Mitglied der Königsfamilie entführt haben und nun drohen, die Prinzessin umzubringen; die Kidnapper kommunizieren via Youtube, nützen geschickt die Massendynamik im Durchlauferhitzer der sozialen Netzwerke. Vieles ist nicht, wie es scheint, die klebrige Verstrickung der Demokratie mit der Krone ist auf einen maliziösen Punkt gebracht, zum Abspann erklingt «National Anthem» von Radiohead.

Das war die erste Folge der Serie «Black Mirror», die vor zwölf Jahren auf dem britischen Sender Channel 4 ausgestrahlt wurde. Seither hat Charlie Brookers Serie viel Aufmerksamkeit und begeisterte Kritiken eingesammelt. Sie gilt als verlässliche Grösse für eine intelligente Auseinandersetzung mit einer nur leicht in die Zukunft erweiterten Gegenwart und ihren digitalen Möglichkeiten, die Brooker in unterhaltsame Geschichten mit melancholischer, oft auch moralischer Schlagseite packt. Im schwarzen Ruhebildschirm unserer diversen Geräte, auf den der Titel «Black Mirror» anspielt, sollen wir uns selbst erkennen – und erschrecken.

Dämonen und Werwölfinnen

Wer jedoch in den schwarzen Spiegel der eben erschienenen sechsten Staffel schaut, findet darin vor allem ein wohldosiertes «Fuck you!» an den Streamingriesen Netflix, der «Black Mirror» seit 2016 Gastrecht bietet. Das Management wird sich über diese glaubwürdigkeitsfördernde, Brooker-zertifizierte Selbstkritik sicher freuen. Gleich in der ersten Folge erfährt Joan (Annie Murphy), Kundin des fiktiven Netflix-Klons Streamberry, auf unsanfte Art, dass sie besser die AGB gelesen hätte, bevor sie ihr Abo abschloss. Nun zeigt Streamberry wenig schmeichelhafte, kaum verfremdete Episoden aus ihrem Leben. Den Rohstoff liefert ihr abgehörtes Smartphone, weil sie es versäumt hat, den Zugriff ihrer Apps auf Mikrofon, Kamera und Textnachrichten zu sperren. Dass Joan bei Streamberry von Salma Hayek gespielt wird, schmälert ihre Wut kaum, zumal sich bald herausstellt, dass auch Superstar Hayek quasi gehackt wurde. Sie hat «nur» die Rechte an ihrem digitalen Schauspielkörper verkauft, mit dem Streamberry nun macht, was es will.

«Joan Is Awful» klingt wie eine typische «Black Mirror»-Folge, bloss war früher das mitgelieferte Moralin dank geistreicheren Geschichten einfacher zu ertragen. Weiteres Handicap: Manche von Brookers Techdystopien sind von der Realität eingeholt worden; gut möglich also, dass er sich auch deshalb in mehreren Folgen auf andere Themen verlegt hat. Doch indem er nun Dämonen und Werwölfinnen auftreten lässt, verschenkt er den Clou der besten seiner alten «Black Mirror»-Geschichten, in denen jeweils das Digitale selbst ins Unheimliche und Monströse kippte, ganz ohne Beigabe von Fantasyelementen.

Import aus der Vergangenheit

Die beste Folge der neuen Staffel ist die traurige Familiensaga «Loch Henry», in der die herrschende True-Crime-Manie – auch bei Netflix – packend auseinandergenommen wird. Das Renommierstück im Paket, eine Astronautengeschichte aus den sechziger Jahren mit Aaron Paul und Josh Hartnett, scheint dagegen vor lauter Freude an der eigenen cleveren Retro-Science-Fiction-Konstruktion nicht zu merken, wie man – ganz unironisch – gleich auch die Frauenfeindlichkeit aus der Vergangenheit importiert hat. Im Interview mit «Wired» erzählte Brooker kürzlich, dass er weiterhin viel darüber nachdenkt, was bei neuen Technologien alles schiefgehen könnte. Gute Idee für die nächste Staffel.

«Black Mirror». Idee: Charlie Brooker.
Grossbritannien/USA 2011–2023. Alle Staffeln auf Netflix.