Lex Netflix: Nachhilfe für Jungliberale
Jetzt heisst es tapfer sein, denn hier folgt der freisinnigste Leitartikel, der je in dieser Zeitung erschienen ist. Aber so ist das heute, alles muss man selber machen. Auch die Nachhilfe für Bürgerliche, wenn diese in ihren Kernkompetenzen versagen. Sie propagieren ja gerne bei jeder Gelegenheit mehr Wettbewerb, auch in der Kultur. Nur der Wettbewerb, so das liberale Mantra, sorge nachhaltig für mehr Qualität. Umso kurioser, wenn ausgerechnet Liberale mobilmachen gegen mehr Wettbewerb in der Produktion von Schweizer Filmen und Serien. Doch der Reihe nach.
Schon jetzt müssen Schweizer Privatsender wie 3 + vier Prozent ihres Umsatzes in die hiesige Filmwirtschaft investieren. Die Idee dahinter: Wer Filme ausstrahlt, soll auch mit dafür sorgen, dass hier welche produziert werden. Streamingdienste sind bislang von dieser Pflicht befreit, ebenso die Werbefenster von ausländischen TV-Sendern. Das will der Bund nun über das Filmgesetz ändern, um die neuen Plattformen endlich auch in die Pflicht zu nehmen, wie das in fast allen westeuropäischen Ländern schon gängige Praxis ist. Neu gilt die Investitionspflicht auch für die weit über 300 Millionen Franken pro Jahr, die ausländische Sender über Schweizer Werbefenster erwirtschaften. Daneben zielt das Vorhaben vor allem auf die internationalen Streamingriesen wie Amazon, Disney + oder Netflix, den Marktführer in der Schweiz. So hat das Gesetz auch seinen hübschen Kosenamen bekommen: «Lex Netflix».
Ein «Frontalangriff auf unser Portemonnaie» sei das, sagte nun Matthias Müller in verschiedenen Medien. Müller ist Präsident der Jungfreisinnigen, die zusammen mit den Jungparteien von SVP und Grünliberalen das Referendum gegen die «Lex Netflix» ergriffen haben. Daraus muss man schliessen: Der Mann verwechselt das Portemonnaie des Milliardenkonzerns Netflix mit seinem eigenen. Auch die NZZ versuchte, die «Lex Netflix» unter Aufbietung falscher Zahlen und schiefer Vergleiche zu einer Kultursteuer umzuschreiben, die wir alle über unsere Streamingabos bezahlen würden.
Mit dieser fiktiven Logik hausiert auch das Referendumskomitee: Wenn die Streamingdienste vier Prozent ihres in der Schweiz erzielten Umsatzes in die hiesige Filmproduktion investieren müssten, würden sie das dann einfach über teurere Abos kompensieren. Nur: Gerade Netflix hat in letzter Zeit schon in vielen Ländern seine Abopreise erhöht, ganz egal, ob diese eine Investitionspflicht kennen oder nicht.
Wer die «Lex Netflix» bekämpft, verteidigt also nicht das eigene Portemonnaie, sondern nur die Sonderbehandlung internationaler Milliardenkonzerne, die ihre Profite dort versteuern, wo es billiger ist für sie. Und was sie in der Schweiz an Wertschöpfung erzielen, stecken sie dann eben anderswo in die Filmwirtschaft – etwa in Spanien, wo Streamingdienste schon jetzt fünf Prozent ihres Umsatzes investieren müssen. Netflix hat dort einst die erste Staffel der Serie «Haus des Geldes» aufgekauft und dann vier weitere Staffeln in Auftrag gegeben. Zur Eröffnung seines Berliner Büros hat der US-Konzern jüngst angekündigt, dass er bis 2023 über 500 Millionen Euro in Produktionen aus dem deutschsprachigen Raum investieren werde. Doch solange Netflix in der Schweiz nicht muss, wird es das in erster Linie in Deutschland tun: Dort nämlich müssen Streamingdienste 2,5 Prozent ihres Umsatzes abgeben – und zwar direkt an die Filmförderung.
Wer denkt, eine «Lex Netflix» sei einfach ein üppiger Fördertopf mehr fürs subventionierte Schweizer Filmschaffen, hat so gut wie nichts von der hiesigen Filmbranche begriffen und vom internationalen Filmgeschäft noch weniger. Die ausländischen Player, die bei uns Filme zum Streamen anbieten, werden nicht plötzlich abwandern, nur weil sie ein paar Prozente ihres Umsatzes hier wieder investieren müssen wie anderswo auch. Sie werden das als Einladung zum Wettbewerb annehmen und versuchen, bessere Serien zu finanzieren als etwa die SRG. Und wenn man sich eine Serie wie «Neumatt» anschaut, muss man sagen: Etwas Konkurrenz könnte da wirklich nicht schaden.