Zweitwohnungen: Gesetz auf dem Prüfstand
Mitte-Nationalrat Martin Candinas arbeitet im Parlament an einer Lockerung der gesetzlichen Vorgaben für Zweitwohnungen. Für Hotspots des Tourismus sind das schlechte Nachrichten.
Im Oberengadin gingen im Herbst 2022 die Wogen hoch. In Celerina kündigte eine Immobilienfirma 22 Mieter:innen, um ein Mehrfamilienhaus zu Luxuswohnungen umzubauen. Inzwischen hat die Gemeinde – Zweitwohnungsanteil rund siebzig Prozent – faktisch einen Baustopp verhängt. Denn der Wohnungsmarkt für Normalsterbliche ist ausgetrocknet. Viele weichen ins Unterengadin und ins Bergell aus oder verlassen die Region. In touristischen Hotspots wie dem Oberengadin oder in Verbier im Wallis ist das ein ungelöstes Problem.
Gesetz gleich ganz revidieren?
Unterbinden oder zumindest abmildern sollte diese Entwicklung die Zweitwohnungsinitiative. Sie wurde 2012 mit 50,6 Prozent knapp angenommen. Die Berggebiete sagten deutlich Nein. Seit das Zweitwohnungsgesetz 2016 in Kraft getreten ist, gibt es Versuche, die Regeln zu lockern. Mitte-Nationalrat Martin Candinas versuchte es vor drei Jahren mit einer Motion – und scheiterte. Ein Jahr später doppelte er mit einer parlamentarischen Initiative nach – mit Erfolg. Das Parlament überwies die Initiative.
Auch in den Kommissionen für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek) der beiden Kammern fand das Ansinnen eine Mehrheit: Sie schlagen eine Anpassung vor: Besitzer:innen altrechtlicher Liegenschaften – also solcher, die vor 2012 gebaut oder deren Ausbau bereits davor bewilligt wurde – sollen die Wohnfläche um dreissig Prozent erweitern, neu bauen und zusätzliche Wohnungen einbauen dürfen, selbst wenn der Zweitwohnungsanteil in der Gemeinde die im Gesetz festgeschriebenen zwanzig Prozent übersteigt. Aktuell gilt: Wer seine Liegenschaft um dreissig Prozent ausbaut oder neu baut, darf keine zusätzliche Wohnung einbauen; wer Wohnungen einbaut, darf die Fläche der Liegenschaft nicht erweitern.
Die Lockerung soll es gemäss Candinas’ Argumentation Besitzer:innen erleichtern, alte Häuser zu sanieren oder neu zu bauen. Mit dem Verkauf oder der Vermietung einer zusätzlichen Wohnung liessen sich Sanierungen finanzieren. Und die pauschale Regelung im aktuellen Gesetz werde den lokalen Gegebenheiten längst nicht überall gerecht.
Tatsächlich bedeutet ein hoher Zweitwohnungsanteil nicht zwangsläufig steigende Mieten und Häuserpreise. In St. Moritz ist der Anteil von 56 Prozent ein Problem für die Bevölkerung. In der Surselva hingegen, wo Martin Candinas herkommt, gibt es Gemeinden mit hohem Zweitwohnungsanteil, in denen die Mieten nicht steigen – weil viele Zweitliegenschaften abgewanderten Bündner:innen gehören und nicht teuer aufgewertet werden.
In Beat Rieder, Walliser Mitte-Ständerat und Mitglied der Urek, hat Candinas einen Mitstreiter. Rieder unterstützt den Vorstoss, sagt jedoch: «Dieses Gesetz gehört eigentlich gänzlich revidiert. Es schadet der Bevölkerung und der Wirtschaft in den Bergregionen. Der Vorstoss ist aber ein guter Anfang.»
Linke gegen Änderung
Die Vernehmlassung zur allfälligen Gesetzesänderung ist abgeschlossen. Das Geschäft kommt wohl im Herbst ins Parlament. Gegen die Lockerung spricht sich der Gewerkschaftsbund aus: Sie sei nicht verfassungskonform und befeuere die Wohnungsnot in den Hotspots. «Betroffen wären die ohnehin unter Druck stehenden Tourismusangestellten.»
Franziska Preisig, SP-Grossrätin aus dem Oberengadin, kämpft schon lange für bezahlbare Wohnungen und nachhaltigen Tourismus. «Die negative Entwicklung hat sich nach Annahme der Initiative weiter zugespitzt», sagt sie. Wo keine neuen Zweitwohnungen gebaut werden könnten, nehme der Druck auf altrechtliche Liegenschaften in den Dorfkernen zu. Eine Lockerung würde das Problem für die ständige Wohnbevölkerung weiter verschärfen. «Wenn Familien wegziehen, hat das Auswirkungen auf das soziale Leben in den Gemeinden.»