Waldbrand im Wallis: Bald mehr klimafitte Traubeneichen
Vor zwei Wochen standen rund um Bitsch mehr als hundert Hektaren Wald in Flammen. Der Medienrummel war gross – auch das war für die kleine Gemeinde eine ziemliche Herausforderung. Und jetzt?
Der Brand hat eine Schneise in den steilen Hang oberhalb von Bitsch geschlagen – an manchen Stellen ist sie allerdings bloss wenige Meter breit. Das liege am steilen Gelände, weiss der Förster Peter Aschilier: «Wegen der Thermik und des Südwestwinds wurde das Feuer mit hoher Geschwindigkeit von unten nach oben getragen.» Innert weniger Stunden sei es Hunderte Meter hochgeschossen, so wuchtig und schnell, dass sich eine Art Kanal gebildet hat – ohne dass das Feuer Zeit gehabt hätte, sich zu verbreitern. Erst oberhalb des Steilhangs bahnte es sich seinen Weg wieder in die Breite.
Am 17. Juli brach das Feuer aus. In zwei Wochen ist bei Bitsch so viel Waldfläche verbrannt wie in manchen Jahren schweizweit das ganze Jahr über: Rund 130 Hektaren sind betroffen. Der Auslöser ist derzeit noch immer nicht restlos bekannt, gemäss der «SonntagsZeitung» soll ein Kurzschluss den Brand verursacht haben.
Ein natürlicher Schutzwall
Die Verwüstung ist auch an diesem Montag Ende Juli noch erschütternd. Überall riecht es verbrannt – ein seltsam vertrauter Geruch: Waldboden, Laub, Feuer. Peter Aschilier ist der zuständige Förster und mit seinem Team für insgesamt rund 3700 Hektaren Wald verantwortlich. Er kennt das Brandgebiet also so gut wie sonst kaum jemand. Seit Ausbruch des Feuers ist Aschilier im Dauereinsatz, trotzdem nimmt er sich Zeit für eine Führung durch das verkohlte Areal, etwa zu einem weitgehend zerstörten Waldkindergarten. Erlebt habe er so einen Waldbrand in seinem Revier noch nie, sagt er.
Gerade eben war Aschilier noch mit Kollegen aus dem Tessin im Gelände unterwegs, um sich auszutauschen: «Die haben mit Waldbränden noch viel mehr Erfahrung als wir.» Das Wochenende hatte er damit verbracht, Feuerwehrleute durch das Brandgebiet zu begleiten, um die letzten Glutnester zu löschen. In den letzten Wochen habe er vor allem Koordinationsarbeit geleistet. «Aber es ist auch wichtig, hin und wieder selber nach draussen zu gehen», sagt der leitende Förster, «auch, um das Personal bei Laune zu halten.» Das gehe nicht alles vom Schreibtisch aus: «Man muss die Leute spüren.»
Die Förster:innen braucht es, weil sie sich im Gelände am besten zurechtfinden und die potenziellen Gefahren kennen. Im Brandgebiet ist etwa die Steinschlaggefahr stark erhöht: Ohne die Bäume und Pflanzen ist der Boden noch viel instabiler, als er am Steilhang sowieso schon ist.
Ein grosser Teil des Waldes im Wallis dient als sogenannter Schutzwald – in Aschiliers Revier sind es neunzig Prozent. Aufgrund seiner Funktion als natürlicher Schutzwall gegen Steinschläge, Murgänge und Lawinen ist er eine der Voraussetzungen dafür, dass die Dörfer in den unwirtlichen Tälern überhaupt bewohnbar sind. Jener Teil, der jetzt durch den Brand zerstört wurde, erfüllt diese Schutzwirkung von einem Tag auf den anderen nicht mehr. «Bis die Bäume wieder mannshoch sind, wird es etwa fünfzig Jahre dauern», schätzt der Förster. Und bis der Wald wieder Schutzwirkung hat? «Etwa hundert Jahre», antwortet er leise.
Für die nahe gelegenen Dörfer Bitsch und Ried-Mörel besteht glücklicherweise keine akute Gefahr. Eine umfassende Einschätzung der Lage inklusive einer Aktualisierung der «Gefahrenkarte» sei derzeit aber noch in Bearbeitung, sagt Aschilier. Voraussichtlich werden neue Auffangnetze und Schutzwände die Steilhänge sichern müssen.
Franz Mayr – kurze Hose, Polohemd, Ohrringe – sitzt vor dem Schulhaus Bitsch und raucht eine Zigarette, als eine Gruppe Velofahrer in Freizeitkleidung vorbeifährt. Mayr ruft einem der Männer einen Gruss zu. «Das war der Kommandant unserer Feuerwehr», erklärt er. «Der hat heute endlich wieder einmal einen freien Tag.» Mayr erzählt von seinen Erfahrungen als Kommunikationsverantwortlicher des Bitscher Gemeindeführungsstabs: Rapporte morgens um fünf und dann wieder abends um acht Uhr, jeweils in der Turnhalle des erwähnten Schulhauses, das kurzerhand zum Kommandoposten umfunktioniert wurde. Beteiligt waren Militär, Feuerwehr, Polizei, Gemeindevertreter:innen, Zivilschutz und Forstdienst – alle im Einsatz gegen den Brand.
Immer trockener und wärmer
Mayr ist stolz auf die Arbeit, die seine Gemeinde geleistet hat. Aber er ist auch besorgt, zeigt auf braune Flecken an der gegenüberliegenden Talwand: vertrocknete Bäume. Im Wallis – ohnehin schon eine trockene Region – wird es immer trockener und wärmer. «Am besorgniserregendsten ist, dass die umliegenden Gletscher immer kleiner werden», sagt der Gemeindevertreter.
Gegenüber der vorindustriellen Zeit hat sich das hiesige Gletschervolumen schon um sechzig Prozent verringert – bis Ende des Jahrhunderts dürften die Gletscher ganz verschwunden sein. Seit 1864 hat sich die Jahresmitteltemperatur im Wallis zudem um zwei Grad erhöht. Ohne konsequenten globalen Klimaschutz wird sie gemäss Erhebungen des Bundesamts für Meteorologie und Klimatologie bis 2060 noch einmal um 2,6 Grad steigen. Ebenso werden – da ist sich die Wissenschaft einig – Trockenperioden im Sommer deutlich zunehmen.
Und das ist auch für die Schutzwälder ein Problem: Gemäss einem von den kantonalen Behörden in Auftrag gegebenen Synthesepapier wird mit der zunehmenden Erderhitzung die Schutzwirkung von Wäldern vor allem in tiefen Lagen in Zukunft abnehmen, weshalb hitzeresistente Baumarten gefördert werden sollen. Im Aletschgebiet betreiben die Förster:innen derzeit gemeinsam mit der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft eine Testpflanzung: Geprüft wird, welche Baumarten «in 50 bis 100 Jahren» im Schweizer Wald gut wachsen werden. «Es wird wärmer und trockener, das sieht man ja», sagt auch Förster Peter Aschilier. Sein Team pflanzt im Wald deshalb schon heute gezielt Traubeneichen, die im Gegensatz zur derzeit noch überwiegend verbreiteten Fichte auch langfristig als «klimafit» gelten.
Für die Zukunft gerüstet
Natürlich erhöhen die Häufung von Dürreperioden und der Anstieg der Temperatur auch die Waldbrandgefahr. Es mag stimmen, dass ein Wald nicht von alleine Flammen fängt, sondern dass es dafür einen Auslöser braucht. Insbesondere trockenes Totholz führt gemäss dem erwähnten Synthesepapier aber «zu einer deutlichen Zunahme der Waldbrandgefahr».
Ob der Brand bei Bitsch jetzt stellvertretend für diese Entwicklung steht? Vielleicht – vielleicht aber auch nicht. Gesamthaft hat die durch Waldbrände verursachte Zerstörung in der Schweiz in den letzten zwanzig Jahren abgenommen, was allerdings vor allem auf Verschärfungen im Bereich der Prävention zurückzuführen ist. Im Wallis durften auch an diesem 1. August keine Raketen gezündet werden, und es gilt striktes Feuerverbot.
Bitsch scheint jedenfalls, so gut es geht, für die Zukunft gerüstet. Wie die Gemeinde die jetzige Herausforderung bewältigt – das taugt auch als Werbefilm für das kommunale Milizsystem. Franz Mayr würde sich dafür gut als Hauptdarsteller eignen.
Eigentlich ist er pensioniert. Der Gemeindeführungsstab ist ein Milizgremium, das nur in Notfällen aktiviert wird: eine Art Krisenstab. Aber Mayr ist ein Profi. Bis vor drei Jahren arbeitete er als Redaktor für den «Walliser Boten». «Jetzt habe ich erstmals die Seite gewechselt»: Zwei Wochen lang beantwortete er von frühmorgens bis spätabends Medienanfragen – etwa zum «Helikopterskandal», der in den Zeitungen landauf, landab das Sommerloch füllte. Oder – immer auf der Suche nach dem nächsten Primeur – zum Brandauslöser. «Ich weiss gar nicht, wieso die sich alle so dafür interessieren, das ist doch Sache der Staatsanwaltschaft», sagt Mayr. Mit seiner ruhigen Art versuchte er, der Skandalisierung entgegenzuwirken.
Peter Aschilier steht im Steilhang inmitten der Schneise, die das Feuer hinterlassen hat, und auch er betont, wie viel gute Arbeit hier in den letzten zwei Wochen geleistet worden sei. Weshalb die Medien trotzdem so reisserische Artikel schreiben wollten, so aufdringlich seien – das verstehe er nicht. Wieso er sich trotz seines Ärgers immer wieder Zeit für die Journalist:innen nimmt, so wie jetzt für die WOZ? «Auf einmal gibt es hier keinen Wald mehr, keinen Schutz mehr vor Lawinen und Steinschlag, nur Asche und verbrannte Erde, die das nächste Gewitter ins Tal herunterspülen wird», sagt Aschilier. Das müsse man den Leuten ja auch zeigen. «Aber jetzt mag ich langsam auch nicht mehr.»