Kunst: Hoher Schauwert, grosse Fragen

Nr. 32 –

Filminstallation: Christopher Kulendran Thomas, Kunsthalle Zürich
Wo hört der Mensch auf, wo fängt alles andere an? Die Installation «The Finesse» in der Ausstellung «For Real». Filminstallation: Christopher Kulendran Thomas, Kunsthalle Zürich

Sicher kein Zufall, dass der Titel der Ausstellung – «For Real» (echt, wirklich, wahr) – aus dem Mund einer Kunstfigur kommt: einer KI-generierten Galeristin, die aussieht wie die US-Sängerin Taylor Swift. Wir sind in der nicht ganz einfach zu durchschauenden Filminstallation «Being Human» von Christopher Kulendran Thomas. Menschliche und künstliche Intelligenzen referieren über zeitgenössische Kunst, das Verhältnis von Individuum und Staat. Und plötzlich kommen die massiven Metallskulpturen neben der mitten im Raum platzierten, transparenten Leinwand ins Schweben – zumindest im Film.

Wer inhaltlich den Faden verliert, kann sich in dieser unbedingt sehenswerten Ausstellung in der Kunsthalle Zürich von den Schauwerten verführen lassen. Und manchmal lauert das Spektakel auch in den Wandtexten, etwa in den faszinierenden Erklärungen zu Kulendran Thomas’ Gemälden: Ein auf koloniale westliche Kunstgeschichte trainiertes neuronales Netzwerk produziert digitale Bilddateien, in die Merkmale zeitgenössischer Kunst aus Sri Lanka einfliessen. Kulendran Thomas gestaltet diese algorithmisch abstrahierten Muster malerisch aus. Die Bilder wirken wie unheimliche Kopien – ohne Originale.

Die tamilischen Eltern von Kulendran Thomas flohen in den 1970er Jahren aus Sri Lanka nach London, wo er 1979 geboren wurde. Der gescheiterte Unabhängigkeitskampf um den freien Staat Tamil Eelam ist das Thema von «The Finesse», der anderen grossen Filminstallation, in die man als Zuschauer:in unvermittelt integriert wird: mit einer zweiten Leinwand im Rücken und Spiegeleffekten. Auch hier entspinnen sich grosse Fragen: Welche Realität schafft Kunst, welche Politik? Wo bleibt die Wahrheit gescheiterter Revolutionen? Gibt es ein «ausserhalb der Simulationen»? Wer sich ratsuchend umschaut, wird mit übermenschlichen Gestalten konfrontiert. Sie sind in geschreddertes militärisches Tarngewand gehüllt, anstelle von Gesichtern tragen sie Masken. Als stumme Zeugen verkörpern sie eine weitere Frage, die diese Ausstellung umtreibt: Wo hört der Mensch auf, wo fängt alles andere an? 

«For Real» von Christopher Kulendran Thomas ist bis 17. September 2023 in der Kunsthalle Zürich zu sehen. www.kunsthallezurich.ch