Igshaan Adams: In den Lücken dazwischen

Nr. 18 –

Angesichts der opulenten Augenweide von Igshaan Adams’ Kunst stellt sich einmal mehr die Frage, wie Hintergrundwissen über den Künstler und seine Herkunft unseren Blick auf seine Werke verändert.

Prächtig dekadent: Igshaan Adams inszeniert scheinbar Widersprüchliches mit grosser Selbstverständlichkeit. Foto: Annik Wetter

Wohin zuerst? Es ist ungewöhnlich, dass sich diese Frage beim Betreten eines Ausstellungsraums derart offen stellt; dass sich überhaupt keine Richtung aufdrängt, die naheliegender scheint als eine andere, um die Kunsthalle Zürich abzuschreiten. Als wäre ihnen der innere Kompass entzogen worden, halten die Besuchenden länger inne als üblich, bevor sie unsicheren Blicks auf eine der Arbeiten von Igshaan Adams zusteuern.

Einige tasten sich eher entlang der Wände vor, an denen grossformatige Perlenteppiche hängen, andere zieht es direkt in die Mitte des Raums. Dort formieren sich die Teppiche wie eine saftige Wiese auf dem Boden liegend zu einem Park, dessen Zwischenräume zu einem Spaziergang einladen. Während man sich fortbewegt oder auch nur den Blick durch den Raum schweifen lässt, müssen die Augen ständig neu scharf stellen: Es gilt, zwischen einem überbordenden Detailreichtum der Teppiche und aus der Ferne verschwommenen, aus der Nähe verworrenen Drahtgebilden zu navigieren.

Manche der Gebilde aus Draht und einigen Perlen hängen wie dumpfe Wolken an unsichtbaren Fäden von der Decke. Sie geben der Ausstellung «Kicking Dust» (Staub aufwirbeln) ihren Namen. Adams bezieht sich dabei auf einen Tanz des südafrikanischen Stamms der Nama, bei dem die Tanzenden den Staub vom trockenen Boden aufwirbeln. Im Gesamtbild wirkt das, als wäre ein Moment aus diesem Tanz dreidimensional eingefroren worden – fehlten da nicht die Körper der Tanzenden.

Bildgebende Fussspuren

In ihrer Anordnung könnte man die Bodenteppiche wie auch die abstrakten Formen auf den Wandteppichen für von tektonischen Verschiebungen auseinandergerissene Kontinente halten. Das ursprüngliche Bildmotiv der Teppiche auf dem Boden sind jedoch die Lücken dazwischen: Wie dem Saaltext zu entnehmen ist, bilden sie sogenannte «Dream Lines» ab. Als Traum- oder Wunschlinien werden Wege bezeichnet, die entstehen, weil die Menschen sie so oft gehen, dass sie sich als Trampelpfade in die Landschaft einschreiben. In diesem Fall handelt es sich um Verbindungen, die zwischen zwei Vororten Kapstadts, Bonteheuwel und Langa, entstanden sind. Sie trotzen der Tatsache, dass diese direkt nebeneinanderliegenden Townships von einer langen Geschichte rassistischer und religiöser Feindseligkeiten geprägt sind. Diese Verbindungswege waren alles andere als vorgesehen während der Apartheid, in deren letzter Phase Igshaan Adams in Bonteheuwel aufwuchs.

Für die Behausungen der dorthin segregierten Schwarzen Arbeiterklasse wurden billigste Baumaterialien verwendet. Die auf den Wandteppichen umrissenen Formen entstammen den Linoleumböden dieser Häuser: Diese nutzen sich rasch ab, woraufhin neue Schichten von ebenso geringer Qualität aufgetragen werden. Mit der Zeit dringt so immer wieder älteres, unterschiedlich gemustertes Material an die Oberfläche. Erneut sind es also die Spuren von Menschen, die hier bildgebend sind; wobei sich die Grenzen zwischen Projektion und Abbild laufend zu verschieben scheinen.

Vermeintliche Erweiterungen

Eklatant ist das Auseinanderklaffen der opulenten Materialität dieser Arbeiten und der kargen Böden, die sie «abbilden». Die Perlen bestehen aus einfachen Materialien wie Holz, Glas und Plastik, ergänzt mit Recyclingschnüren, Stoffen und Muscheln, die miteinander verwoben prächtig dekadent wirken. Adams inszeniert diese scheinbaren Gegensätze mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass sie vor unseren Augen immer wieder verpuffen und verschwimmen, nur um im nächsten Augenblick erneut klar hervorzutreten.

Eine ähnliche Dynamik vollzieht sich auch zwischen der Ausstellung und Igshaan Adams’ Biografie, etwa wenn er über seine Werke spricht und parallel dazu seine Lebensgeschichte erzählt. Besonders deutlich wird das in einem Video, das entstand, als die Ausstellung in der Londoner Hayward Gallery zu sehen war. Darin werden Adams’ Berichte darüber, wie er selber in der segregierten Township aufwuchs, mit Aufnahmen der Perlenteppiche überblendet. Oder Beschreibungen seiner Arbeit im Atelier überlagern sich mit Bildern des Staub aufwirbelnden Tanzes und der südafrikanischen Landschaften.

«Als Kreole mit malaiischen Wurzeln als ‹Farbiger› klassiert, wuchs Adams als praktizierender Muslim bei christlichen Grosseltern auf», heisst es prominent auch im Saaltext in der Kunsthalle Zürich. Im Zusammenhang mit früheren Werken beschrieb man ihn auch schon als schwulen Muslim. Gleichzeitig wird betont, dass Adams’ Kunst nicht einfach seine komplexe Biografie illustriert – oder umgekehrt.

Doch was machen wir als Ausstellungsbesucher:innen mit solchen Hintergrundinformationen? Sehen wir die Arbeiten des Künstlers dadurch anders, und sollten wir das überhaupt? Natürlich verändern sie unseren Blick auf das Gesamtgefüge dieser so grosszügigen wie filigranen Kunst, die wie auch jede einzelne Perle, Form und Lücke eigentlich eine totale Offenheit an Assoziationen bereithält. Da stellt sich die Frage, ob diese vermeintliche Erweiterung an Wissen letztlich nicht doch eher verengend wirkt.

Die Ausstellung «Kicking Dust» von Igshaan Adams ist bis am 22. Mai 2022 in der Kunsthalle Zürich zu sehen. www.kunsthallezurich.ch