Serie: Ein Riese für die Revolution

Nr. 32 –

Black Superpower aus Oakland: «I’m a Virgo» bringt überdrehte Agitprop auf die Streamingplattform Amazon Prime.

Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte in der weissen Mehrheitsgesellschaft der USA grosse Angst vor mit Kokain aufgeputschten Schwarzen Gewaltverbrechern, denen man wegen des Rauschmittels übermenschliche Kräfte zuschrieb. Für die Polizei in den Südstaaten war das gar offizieller Anlass, grosskalibrige Waffen anzuschaffen: Man fürchtete, handelsübliche Revolver wären gegen die gedopten Übeltäter wirkungslos.

Bei dieser von rassistischer Paranoia geprägten Geschichte kann man sich zumindest ein bisschen in den Onkel und die Tante des jungen Cootie (Jharrel Jerome) hineinfühlen. Der Schwarze Teenager, bei seinen Verwandten im kalifornischen Oakland aufgewachsen, ist mittlerweile neunzehn, ohne dass er je das Haus verlassen durfte – nicht etwa, weil er in die Hände von Psychopath:innen geraten wäre, sondern weil die beiden Erziehungsberechtigten ihn wegen seiner aussergewöhnlichen Körpermasse von der Aussenwelt abschirmen. «Du bist ein vier Meter grosser Schwarzer Mann. Die Leute fürchten dich!», mahnt Tante LaFrancine (Carmen Ejogo) eindringlich, während Cootie immer ungeduldiger darauf wartet, das Leben draussen zu erkunden.

Model in der Mall

Den eher unkonventionellen Superhelden, den sich der Filmemacher und Musiker Boots Riley für die Serie «I’m a Virgo» ausgedacht hat, halten diese Bedenken natürlich auf Dauer nicht auf. Aber nicht nur der Protagonist ist ungewöhnlich. Überhaupt dürfte Rileys Serie, auf Wikipedia treffend dem Genre «absurdist comedy» zugerechnet, zum Schrägsten zählen, das es diesen Sommer zu sehen gibt: ein bisschen (Anti-)Superheldengeschichte, ein bisschen Coming-of-Age-Story, dazu ein kräftiger Schuss Karl Marx.

Anfangs erinnert «I’m a Virgo» noch entfernt an alte Ghettokomödien wie «Friday». Einmal auf der Strasse, findet Cootie rasch Anschluss an eine Clique und wird dank seiner beeindruckenden Physis zur lokalen Berühmtheit. Auf Vermittlung eines windigen Agenten hat der Teenager bald schon einen Modeljob im Einkaufszentrum, mit dem er sich ein bisschen was dazuverdient. Das Geld braucht er wiederum, um Flora (Olivia Washington) auszuführen, in die er sich im Schnellimbiss verguckt hat. Ausserdem wird er von einer irren Sekte umworben, die ihn als Messias verehrt, und bekommt Ärger mit einem Milliardär, der sein Vermögen nicht nur mit Superheldencomics gemacht hat, sondern in seiner Freizeit auch noch höchstpersönlich als Batman-Verschnitt für Recht und Ordnung sorgt.

Der Plot mäandert so zunächst vor sich hin. Dann aber verletzt sich einer der neuen Kumpels des Giganten bei einem Velounfall. Der junge Mann kann sich mit einem Metallsplitter im Bauch noch ins Spital schleppen, wird dort aber wegen fehlender Krankenversicherung von der Security wieder vor die Tür bugsiert. Ein paar Stunden später ist er verblutet. Jones (Kara Young), eine queere kommunistische Aktivistin, tritt daraufhin eine Bewegung gegen ein auf Profitinteressen ausgerichtetes Gesundheitswesen los.

Und plötzlich werden auf Amazon Prime Fragen verhandelt, die man sonst eher im Aktivist:innenplenum wälzt: Braucht es charismatische Führer:innenfiguren, um ein verrottetes System zu stürzen, oder setzt man besser auf die kollektive Praxis? Sind heroische Sabotageaktionen zielführend? Oder liegt der richtige Weg womöglich darin, sich von den bestehenden Verhältnissen möglichst abzukoppeln wie Cooties Tante und sein Onkel (die Junkfood verweigern und sicher auch eine Plattform wie Amazon boykottieren würden), um eigene Strukturen aufzubauen?

Humaner hinrichten

Glücklicherweise kommt aber auch all das ziemlich verspielt daher – immerhin geht es hier immer noch um die fantastische Story eines gutmütigen Riesen mit Dreadlocks. Zudem gibt es schön böse Pointen, etwa als Cootie im Burgerladen einem linksliberalen Studenten (Elijah Wood) begegnet, der Richter werden will, um die Hinrichtungspraxis in den USA endlich menschenfreundlicher zu gestalten. «Manche jagen Luftschlössern hinterher, ich dagegen suche praktische Lösungen», erklärt der angehende Jurist abgeklärt.

Fundierter vermag Cooties Freundin ­Jones zu argumentieren, die sich als Volkstribunin von übermenschlicher Qualität entpuppt: Wenn die junge Frau mit coolem «Liberation»-Tattoo auf dem Hals zu einer agitatorischen Rede anhebt, verfällt ihr Publikum in eine Art Trance. Jones’ Herleitungen etwa des Zusammenhangs von kapitalistischer Konkurrenz und Verelendung inszeniert Riley – dessen Band The Coup der Welt einst Rapsongs mit Titeln wie «5 Million Ways to Kill a CEO» bescherte – in kleinen Einspielfilmchen, um so subversive Theoriehäppchen ans Massenpublikum zu bringen.

«All art is propaganda», heisst es einmal programmatisch in «I’m a Virgo», wohlgemerkt aber aus dem Mund des immer mehr zum grossen Antagonisten werdenden Milliardärs. Streng genommen wäre dann Kunst im Dienst der Befreiung undenkbar, immerhin versucht ja noch die wohlmeinendste Propaganda letztlich zu manipulieren. Wer aber würde das einem so schönen Märchen über die Selbstermächtigung der vielen vorwerfen wollen?

«I’m a Virgo», Staffel 1. Idee und Regie: Boots Riley. USA 2023. Amazon Prime.