Sunic gegen die Ostschweiz: Der Schnelldenker und sein Business Angel

Nr. 33 –

Ein ruinierter Firmengründer legt sich mit einem St. Galler Immobilienmillionär und der kantonalen Justiz an. Der spektakuläre Konflikt offenbart Gefahren im hochriskanten Start-up-Umfeld und Verstrickungen im Ostschweizer Kanton.

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Zwei Wochen vor Weihnachten 2021 erreicht den St. Galler Immobilienmagnaten Remo Bienz eine Whatsapp-Nachricht. «Mit deinen Bemühungen, mich zu vernichten, kann ich leben», schreibt der Absender. Er werde trotzdem nicht ruhen, bis Bienz zur Rechenschaft gezogen worden sei. «Wenn ich es nicht schaffe, wird Gott dich und deine Nachkommen richten.»

Autor der Nachricht ist Josip Sunic, einst ein gefeierter Jungunternehmer, der schon mit dreissig sein zweites Technologie-Start-up gegründet hatte. «Vorsprung dank Schulabbruch», titelte der «Tages-Anzeiger», als Sunic ein «Amazon für Dienstleistungen» auf die Beine stellen wollte.

Heute, nach jahrelangem Rechtsstreit, lebt Sunic von der Sozialhilfe. Der Konflikt mit seinem einstigen Investor, Remo Bienz, hat bereits das Bundesgericht, das St. Galler Kantonsparlament, die Staatsanwaltschaft Zürich und Ostschweizer Medien beschäftigt. In Hunderten Seiten von Gerichtsakten geht es um Wucher, Nötigung und Korruption.

Die WOZ hat sie gelesen und mit einem Dutzend einst Involvierten gesprochen – keine der Quellen aus St. Gallen wollte genannt werden. Man wolle sich nicht in das Geplänkel einmischen, hiess es. Aber auch: Bienz und sein Anwalt Markus Schultz seien einflussreiche Männer. Zu Sunic fallen Begriffe wie «Visionär» und «Querulant». Und zwei Vergleiche: Elon Musk und Michael Kohlhaas – der egomanische Techvisionär und der betrogene Pferdehändler aus Kleists Novelle, der auf der Suche nach Gerechtigkeit ganze Städte niederbrennt.

An diesem Märztag jedoch steigt am Bahnhof St. Gallen kein verbitterter Rächer im Kettenhemd aus dem Linienbus, sondern ein gut gelaunter Mittdreissiger in schwarzem Kapuzenpullover, Jeans und Turnschuhen. Josip Sunic streckt zur Begrüssung die Hand entgegen: «Endlich interessiert sich eine Zeitung für die ungeheuerlichen Vorgänge hier in St. Gallen.» Er hat Redebedarf, viel Redebedarf.

In einem Restaurant in der Nähe zeigt er auf seinem Handy ein Erinnerungsfoto. Darauf: ein beachtlicher Neubau mit sehr langem Pool. «Wir hatten Gärtner, Kindermädchen – jetzt wohne ich in einem Loch.» Auch sein Porsche wurde provisorisch gepfändet. Viel brachten Auto und Villa nicht ein, es waren erst wenige Raten und Anzahlungen für den Mietkauf abbezahlt. «Ich habe über zehn Millionen Franken für meine Firmen gesammelt. Remo Bienz hat mich nicht nur meiner beruflichen Existenz beraubt, sondern auch um meine Familie gebracht», sagt Sunic. «Er wird von Gott zur Rechenschaft gezogen», davon sei er als religiöser Mensch überzeugt. «Ich wehre mich auch für all die anderen, die unter die Räder kommen.»

Einzelne Wortsilben zieht Sunic in die Länge, macht dramaturgische Pausen nach Sätzen, die ihm besonders wichtig sind. Er wirkt von der Gerechtigkeit seiner Sache überzeugt – und auch von sich selbst. Es gebe in der Schweiz wohl kaum so einen Schnelldenker wie ihn, der rasch ein paar «Milliönchen» verdienen könne. Stolz spricht er von seinem schwarz folierten Jaguar F-Type, mit dem er bereits zu Zeiten seiner ersten Firma durch St. Gallen kurvte – «das lauteste Auto im ganzen Kanton», finanziert dank einer Investition von Remo Bienz in Prime Computer, Sunics erstes Start-up.

Das Unwetter im Herbst 2016

Der Sohn kroatischer Arbeitsmigrant:innen wuchs zusammen mit vier Schwestern beim Bahnhof St. Fiden in St. Gallen auf. Schon als Kind schraubte Sunic an Geräten und reparierte für Freunde Computer. Nach der Primarschule ging er aufs Gymnasium, brach die Ausbildung aber vorzeitig ab – und gründete, gerade mal 23 Jahre alt, Prime Computer. Spezialgebiet: Computer ohne lärmige Lüfter. Er nimmt Privatdarlehen auf, meldet sich auf Inserate mit dubiosen Kreditangeboten. Rasch gerät er in eine Teufelsspirale, versucht Schulden mit neuen Krediten zu begleichen und steht bald mit 250 000 Franken in der Kreide.

Dann lernt er im Sommer 2016 Remo Bienz kennen und sieht im Immobilienmillionär einen Retter in der Not. Der «Business Angel» kauft sich ein und gewährt Darlehen. Bis im September 2016 treffen sich die zwei fast wöchentlich, sprechen auch über persönliche Dinge. So erzählt es Sunic. Braucht er Geld, reicht ein SMS. Prime Computer überwindet die Geldnot, kaufkräftige Kund:innen melden Interesse an, Medien feiern den Schulabbrecher und Jungunternehmer. Was aber Sein und was bloss Schein ist, darüber gehen die Einschätzungen ehemals Involvierter auseinander.

Und in Sunic hatte sich damals ein Gewitter zusammengebraut, das sich im Dezember 2016 entlädt. «Ich habe kolossale Scheisse gebaut», schreibt er an Bienz. Titel des Mails: «Das Ende des Wahnsinns». Er gesteht Schulden von fast drei Millionen Franken, legt psychische Probleme und seine Spielsucht offen. In den Tagen vor der Nachricht habe er 500 000 Franken im Casino verspielt und Geld am Kryptomarkt verspekuliert – in der Hoffnung, seine Schulden zu tilgen. «Ich glaube nach wie vor an die Prime und übertrage die restlichen Aktien an dich» – damit er «keinen Seich» mache, schreibt Sunic an Bienz. «Zuerst musst du dich jetzt beweisen», schreibt dieser zurück, leiht dem Firmengründer aber weiter Geld. Womit Sunic Aktien von Investoren zurückkauft, um sie für einen viel tieferen Preis wiederum an Bienz zu veräussern – er gerät damit noch tiefer in die Schulden.

Im September 2017 findet im Büro von Prime Computer eine dramatische Sitzung statt. Sunic ist mit Geschäftsentscheidungen unzufrieden. «Alle Aktien gehören mir, du hast nichts mehr zu melden», entgegnet Bienz laut Sunic. Der Gründer verlässt nach eigenen Angaben die Sitzung, läuft zwei Kilometer zur Fussgängerbrücke beim Bahnhof St. Fiden. Doch statt zu springen, lässt er sich nach Wil in die Psychiatrie einliefern, wo man ihn wegen «akuter Suizidalität» behandelt. Im Austrittsbericht ist die Rede von einer bipolaren Störung und einer Persönlichkeitsstörung mit «narzisstischer Auslenkung». Die Diagnose wird im Konflikt noch eine Rolle spielen.

Noch bis Frühling 2019 arbeitet Sunic als Beschäftigter bei Prime Computer. Bei seinem Abgang schuldet er Bienz 3,5 Millionen Franken. Dieser sieht sich noch heute als Retter in der Not. In Gesprächen mit weiteren Start-up-Gründern, die Geld von ihm erhalten haben, erhält man ein ambivalenteres Bild: das eines Investors, der angenehm im Umgang ist und sich grosszügig zeigt, seinen Reichtum aber auch dazu nutzt, Firmengründer:innen in Krisensituationen unter Druck zu setzen – ein Machtgefälle, das im Umfeld von Start-ups weit verbreitet ist.

Der Kampf der Start-ups

Mittellose Gründer:innen von Start-ups sind oft von privaten Investor:innen, sogenannten Business Angels, abhängig. Diese kaufen meist keine direkten Anteile, sondern verleihen Geld, das im Erfolgsfall in Aktien umgewandelt werden kann.

Scheitert ein Start-up, kommt es immer wieder zum juristischen Streit. Laut dem Bundesamt für Statistik überleben nicht einmal die Hälfte der Firmen die ersten fünf Jahre. Bei Start-ups, die technologische Innovation verfolgen und explosionsartig wachsen können, ist die Ausfallrate noch höher.

In einer viel beachteten Studie des Psychiaters Michael A. Freeman gaben fast drei Viertel der befragten Start-up-Gründer:innen psychische Probleme an. Das ist einerseits auf das brutale Umfeld zurückzuführen; andererseits bringen Gründer:innen oft auch Leidenschaft und Unbeirrbarkeit mit – Eigenschaften, die je nach Ausprägung und Situation auch problematisch sein können.

Die Welt ist eng in der Ostschweiz

Für Sunic ist klar: Er wurde hintergangen. Im November 2020 reicht sein Anwalt eine erste Strafanzeige ein: Bienz habe die Abhängigkeit seines Mandanten ausgenutzt, der durch Arbeitsbelastung, psychische und familiäre Probleme «in die Enge getrieben» worden sei. Schliesslich habe der Millionär auch noch versucht, sich unrechtmässig 5000 Aktien von Sunics zweiter Firma Apparranger anzueignen. Eine weitere Strafanzeige soll dies klären. Auch die Vorwürfe der Gegenseite sind zahlreich. Die Klärung obliegt der Justiz. Bloss: Die Prozesse sind sistiert.

«Hier in St. Gallen gibt es keine unbefangenen Richter mehr», sagt Sunic beim Treffen im Restaurant an diesem Märznachmittag. «Die halbe Stadt gehört Geschäftspartnern von Bienz.»

Stephan Schlegel, Sunics Strafverteidiger, sagt: Eine derart enge Verstrickung sei für ihn, der seit zwölf Jahren für eine renommierte Zürcher Kanzlei in der ganzen Schweiz tätig ist, einmalig.

Recherchen der WOZ zeigen: Die Verbindungen zwischen den Involvierten sind tatsächlich bemerkenswert. Ein Beispiel: Nachdem die Staatsanwaltschaft St. Gallen Schlegels Strafanzeigen gegen Bienz nicht angenommen hat, gelangt Sunic mit einer Beschwerde an die Anklagekammer – jenes Gremium, das Strafverfolgungsbehörden Weisungen erteilen kann und dafür sorgen soll, dass diese die Gesetze einhalten. Im Kanton St. Gallen sind dafür neben einem Kantonsrichter vier Rechtsanwält:innen als nebenamtliche Richter:innen zuständig. Einer dieser nebenamtlichen Richter:innen, die Sunics Beschwerde beurteilen sollten, ist ausgerechnet Markus Schultz, der Anwalt von Bienz. Er vertritt seinen Klienten zu diesem Zeitpunkt also vor Strafverfolgungsbehörden, über die er seit zwanzig Jahren Aufsicht führt. Schlegel fordert seinen Ausstand und bekommt recht, worauf die gesamte Anklagekammer für den Prozess durch Kantonsrichter ersetzt wird. Für Sunic allerdings ohne positive Konsequenz. Im Gegenteil: Im Mai 2022 bestätigt das neu besetzte Gremium die Abweisung einer zweiten Strafanzeige gegen Bienz – lässt wegen einer Anzeige von Bienz aber in der Sache gegen Sunic ermitteln.

Der Anwalt als Richter

Die Kantone kennen jeweils eigene, historisch gewachsene Regeln zu nebenamtlichen Richter:innen, die eine Gratwanderung zwischen finanzieller Entlastung und Vertrauen in die Justiz darstellen. Die Vermengung der Anwalts- und Richterfunktionen sorgt immer wieder für Beschwerden beim Bundesgericht. Dieses hat darum in einem richtungsweisenden Urteil festgehalten, dass bereits der objektiv begründete «Anschein der Befangenheit» genüge, um Richter:innen abzulehnen.

Regina Kiener, Rechtsprofessorin und Expertin für richterliche Unabhängigkeit, schreibt in einem Beitrag zum Thema, dass die ganze Art dieser Justizorganisation bedenklich sei. Es geht immerhin um die von der Verfassung garantierte faire Behandlung. Der weltgrösste Berufsverband von Jurist:innen, die American Bar Association, hält darum in seinen Standesregeln klipp und klar fest: «Ein Richter darf nicht als Rechtsanwalt tätig sein.»

Sunics Zivilanwalt fordert daraufhin die Einsetzung eines ausserkantonalen Staatsanwalts, und Sunic selbst – mittlerweile vermögenslos – reicht ohne anwaltliche Beratung in Zürich eine Anzeige wegen Begünstigung und Amtsmissbrauch gegen Staatsanwälte und Richter:innen aus St. Gallen ein. Allein für die Anzeige habe er innert zehn Tagen 150 Stunden gearbeitet, sagt Sunic. Seine Willensstärke, die im Firmenumfeld noch geschätzt worden war, erscheint jetzt vielen als Sturheit.

Wie eng die Beziehungen zwischen der St. Galler Geschäftswelt und Justiz sein können, zeigt eine weitere Anekdote. Anfang 2021 schreibt Sunic ein E-Mail an Rechtsanwalt Michael Hüppi, dessen Kanzlei in der Vergangenheit Leistungen für ihn erbracht hat: Er werde Bienz anzeigen und diverse Leute mit Informationen über seine Erfahrungen mit dem Investor bombardieren. Das werde ein schlechtes Licht auf den FC St. Gallen werfen, wo Bienz Grossaktionär ist. Hüppi, 2008 bis 2010 Präsident des Fussballklubs, leitet das Mail an Bienz’ Anwalt Markus Schultz weiter, der darauf gegen Sunic eine Strafanzeige einreicht. Das Anwaltsmail wird gerichtlich gesiegelt, es darf nicht mehr als Bewismittel genutzt werden . Er habe im Streit vermitteln wollen, auch um potenziellen Schaden vom FC St. Gallen abzuwenden, sagt Hüppi heute.

Michael Hüppi ist heute Mitglied in der Anwaltskammer, die Bewilligungen für Anwält:innen erteilen und Massnahmen gegen diese verfügen kann. Präsident des FC St. Gallen ist mittlerweile sein Bruder Matthias, der früher bekannte Sportreporter. Remo Bienz und sein Zwillingsbruder Philipp wiederum gelten dort als Wohltäter. Im Herbst 2020 stiegen sie mit 2,5 Millionen Franken in die defizitäre FC St. Gallen Event AG ein, die im Stadion Kybunpark für Veranstaltungen zuständig ist. So findet sich im Stadion das Fortimo Pub, das «grün-weisse Momente» für VIPs bietet. Benannt ist es nach dem Immobilienkonzern der Bienz-Brüder, der Liegenschaften im Wert von rund 1,4 Milliarden Franken hält.

Zwischen Sunic, der von der Sozialhilfe lebt, und Bienz, dem Millionär, ist eine Schlammschlacht entbrannt: Der Underdog schickt Nachrichten an Bekannte und Verwandte von Bienz, leitet dessen Einvernahmeprotokoll an die Familie weiter. In der «Ostschweiz» hat er zudem ein Sprachrohr gefunden. Im rechtslastigen Onlinemedium kommentierte Sunic schon während der Pandemie die «Corona-Religion und das Schweigen der Lämmer». Nun schreibt er über «korrupte Staatsanwälte» und «Täterschutz».

Die Gegenseite zeigt sich öffentlich schweigsamer, aber auch sie wendet sich an Bekannte von Sunic. Anwalt Schultz warnt Geschäftspartner:innen vor dessen «pathologischer Spiel- und Spekulationssucht»; zum Mail, in dem Sunic psychische Probleme gesteht, notiert er an den Verwaltungsrat von dessen Firma Apparranger: «durchaus lesenswert!». Zuvor bereits rief Schultz den zuständigen Staatsanwalt an: Er habe wegen der psychiatrischen Diagnosen ein «ungutes Gefühl», dass Sunic ihm etwas antun könne. Das geht aus Briefen und Akten hervor, die der WOZ vorliegen.

Es ist noch nicht vorbei

Mörschwil bei St. Gallen. In der Gemeinde mit den tiefsten Steuersätzen im Kanton wohnt in einem riesigen Anwesen weit oben über dem Bodensee Remo Bienz. Sprechen will er mit der WOZ nicht. Stattdessen redet sein Anwalt Markus Schultz, der wenige Autominuten weiter in einer Villa am Rand des Dorfkerns residiert. Die beiden kennen sich gut: Schultz ist in mehreren Firmen Partner der Bienz-Brüder.

In Schultz’ Kanzlei in St. Gallen stehen in einem altehrwürdigen Eckbüro auf einem Sofa und auf dem Boden gelbe Aktenordner: 32 Stück. «Alles aus dem Rechtsstreit mit Josip Sunic», sagt der Rechtsanwalt. Der 57-Jährige trägt ein Gilet, hat die Ärmel seines Hemds hochgekrempelt, am Handgelenk glänzt eine Uhr. Er wirkt bei der Begrüssung entspannt, nicht wie einer, der einen Gründer in den Ruin verfolgt. Hunderte Stunden habe er in die Streitigkeiten mit Sunic investiert, sagt er.

Schultz’ Geschichte ist einfach: Bienz habe Sunic privat sowie dessen Firma immer wieder Geld geliehen, um sie aus der Not zu retten, und auch zugunsten von Prime Computer auf das Einfordern der Schulden verzichtet. Sunic hingegen habe das Blaue vom Himmel versprochen, sich selbst über die Firma ein verschwenderisches Leben geleistet und besitze nun gar noch die Frechheit, von Bienz mehrere Millionen Franken zu fordern. Man könne das Problem nicht lösen, weil Sunic alle angreife, die ihm nicht nach dem Mund redeten. «Er macht auf mich immer noch den Eindruck einer psychisch schwer kranken Person, verdreht die Tatsachen.» In seiner zwanzigjährigen Karriere in der Anklagekammer sei ihm nie so ein Fall untergekommen, sagt Schultz, der jetzt seine Sätze immer wieder mit einem nachdrücklichen «Herr Schwendener» einleitet. Sunic sei ein Blender, sagt er.

Im Verfahren um die Betreibung habe Sunic sein Vermögen offengelegt: 3,6 Millionen Franken seien in einem Jahr auf einem UBS-Konto eingegangen; zudem habe er 30 000 Apparranger-Aktien mit einem Schätzwert von 7 Millionen besessen. Bei der Pfändung sechs Monate später aber seien Geld und Aktien plötzlich verschwunden gewesen. Im damals eingereichten Kontoauszug finden sich noch 280 Franken und 68 Rappen. Sunic sagt, er habe das Geld für die Finanzierung von Apparranger benötigt, und die Aktien seien in der schwierigen Situation für einen Spottpreis verkauft worden.

Ende März, bei einem erneuten Treffen in St. Gallen. Sunic raucht Kette und bläst den Rauch energisch in den Himmel. Der Firmengründer führt durch das Ostschweizer Start-up-Laboratorium Startfeld, wo auch seine Firma Apparranger ein Büro hat. «Apparranger revolutioniert Terminbuchungen bei Dienstleistern», heisst es auf der Eingangstür. Drinnen stehen zwei Drehstühle, zwei fast leere Tische und ein Korpus mit Drucker.

Sunic sieht sich in die Enge getrieben. Er sucht dringend nach frischem Geld für seine Firma. Wenige Tage zuvor erfuhr er, dass die St. Galler Staatsanwaltschaft seine Anzeige aus Zürich übernommen hat. Diese sagt auf Anfrage der WOZ lediglich, das Verfahren sei pendent. Kurz danach trifft auch ein Brief der Rechtspflegekommission des Kantonsparlaments bei Sunic ein: Ein Antrag auf Strafanzeige gegen mehrere Kantonsrichter wurde vom fünfzehnköpfigen Gremium ohne Gegenstimme abgelehnt. Das Bundesgericht hat seinen Antrag ebenfalls abgelehnt. Im Bescheid aus Lausanne findet sich eine bezeichnende Passage: «Es ist notorisch, dass in der kompetitiven Gründerszene auch juristisch mit harten Bandagen gekämpft wird.»

«Der Krieg ist noch lange nicht vorbei», hatte Sunic in einer Nachricht an Bienz vor eineinhalb Jahren geschrieben. Es ist ein zermürbendes Abnützungsgefecht zwischen den ungleichen Gegnern geworden. Inzwischen hat Sunic auch gegen die Mitglieder der Rechtspflegekommission Strafanzeige eingereicht. Die Vorwürfe hat er um «Korruption» und «organisierte Kriminalität» erweitert. Viel Hoffnung macht sich Sunic nicht, er rechnet mit weiteren fünf Jahren, falls überhaupt etwas passiert. Aufgeben ist für ihn indes keine Option. Den Weg des betrogenen Rächers Kohlhaas wird er aber nicht gehen: «Ich brenne St. Gallen sicher nicht nieder. Aber ich muss mich wohl bald vor ein Gericht ketten, um zu meinem Recht zu kommen.»

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