Film: Schlimmer war besser?

Nr. 35 –

Still aus dem Film «Ruäch. Eine Reise ins jenische Europa»
«Ruäch. Eine Reise ins jenische Europa». Regie: Andreas Müller, Simon Guy Fässler, Marcel Bächtiger. Schweiz 2022. Jetzt im Kino.

Sie erzählen immer wieder von Demütigungen, Ausgrenzungen, Misshandlungen. Davon, dass man sie schon als Kinder beleidigt, als Erwachsene um ihre Rechte betrogen oder sogar unter dem Vorwand einer Krebsbehandlung um die Fruchtbarkeit gebracht habe. Früher sei tatsächlich alles viel schlimmer gewesen, bringt es einer der Protagonist:innen von «Ruäch» auf den Punkt. «Aber gleichzeitig war auch alles viel besser», fügt er lachend hinzu und schüttelt dabei den Kopf. Über den Widerspruch kommt er selbst nicht ganz hinweg.

Es sind solche Widersprüche, die diesen Dokumentarfilm von Andreas Müller, Simon Guy Fässler und Marcel Bächtiger zu einer so spannenden Expedition in bislang wenig beleuchtetes Terrain machen. Über mehrere Jahre ging das Trio jenischem Leben in Europa nach beziehungsweise dem, was sich heute noch davon finden lässt. Am Anfang ihrer Erkundung landen sie auf einem leeren Parkplatz, wo sie eigentlich mit Menschen verabredet waren. Es ist ein gutes Sinnbild für diese Spurensuche in einer Gemeinschaft, für die Geheimhaltung zur Überlebenstaktik gehörte. Mit der Zeit aber konnten die Regisseure – vermittelt durch einen jenischen Freund, der im Film nur als Telefonstimme erscheint – das Vertrauen einiger Jenischer in Kärnten, Graubünden und an einem Stadtrand in Frankreich gewinnen.

«Ruäch» ist grösstenteils eine Collage von Impressionen und Bekenntnissen derer, die sich als Jenische identifizieren. Ihre Aussagen sind oft widersprüchlich: Sie wollen für sich bleiben, ihre Geheimnisse wahren, aber zugleich auch mehr wahrgenommen werden. Was sie einst auszeichnete, war ihr nomadenhafter Lebensstil, heute sind sie alle sesshaft. Für die einen heisst Jenischsein, bewusst in Abgrenzung zur Gesellschaft zu leben, jenseits aller staatlichen Versorgung und Einmischung; andere dagegen erkämpfen sich in jahrzehntelangen Auseinandersetzungen mit den Behörden einen Hausbau. Was also war früher besser? Das traurige Paradox, dass Verfolgung und Unterdrückung die eigene Identität deutlicher erfahrbar machen.