Politische Theorie: Moderne Monster und der Systemsturz

Nr. 36 –

Ökokommunistisches Manifest – oder doch nur freundlicher Appell? Das Buch, mit dem der marxistische Theoretiker Kohei Saito in Japan überraschend einen Bestseller landete, ist jetzt auf Deutsch erschienen.

Vía-Campesina-Aktivist:innen an der Earth-Day-Demo im April 2022 in Buenos Aires
Soziale Bewegungen kommen bei Kohei Saito zu kurz: Vía-Campesina-Aktivist:innen an der Earth-Day-Demo im April 2022 in Buenos Aires. Foto: Carolina Jaramillo Castro, Alamy

Letztes Jahr sorgte Kohei Saito international für Aufsehen: Während der Coronapandemie landete der japanische Philosoph einen Bestseller, und zwar ausgerechnet mit einem als ökokommunistisches Manifest gehandelten Buch (siehe WOZ Nr. 51/22). Mehr als 500 000 Mal wurde es in Japan verkauft, nun ist es unter dem Titel «Systemsturz» auf Deutsch erschienen.

Wer frühere Publikationen des 36-Jährigen kennt, dürfte bei der Lektüre zunächst einigermassen überrascht sein. Während Saito in seiner Forschungsarbeit «Natur gegen Kapital» (2016) noch detailverliebt rekonstruierte, wie sich Karl Marx Mitte des 19. Jahrhunderts mit ökologischen Problemen zu beschäftigen begonnen hatte, und sich damit an einen engen wissenschaftlichen Leser:innenkreis wandte, kommt «Systemsturz» nun als populäres Sachbuch für die Allgemeinheit daher.

Saito beginnt mit der nahezu omnipräsenten Frage: «Was machen Sie eigentlich gegen die Erderwärmung?», um fünf Zeilen weiter aufzuklären: «Der Glaube, dass der Erfolg im Kampf gegen die Erderwärmung davon abhängt, wie viel jeder Einzelne von uns tut, hält uns davon ab, die für die heutige Zeit wirklich wichtigen und mutigen Taten zu vollbringen.»

Ursachen des Raubbaus

Bei seinem Vorhaben, die ökologische Krise zu erklären, begibt sich Saito auf Pfade, die WOZ-Leser:innen bekannt vorkommen dürften. Ausgehend von Ulrich Brands und Markus Wissens Begriff der «imperialen Lebensweise» legt Saito dar, warum das Abwälzen ökologischer und sozialer Belastungen zum Wesen des Kapitalismus gehört. Er kritisiert das politische Projekt des Green New Deal als «Opium des Volks», weil es die systemischen Ursachen des Raubbaus nicht beseitige, sondern nur verschleiere. Und er legt dar, warum ein Schrumpfen der Wirtschaft unter den heute herrschenden Bedingungen nur als verheerende soziale Krise daherkommen kann.

In einem weiteren Kapitel attackiert Saito ökomodernistische Illusionen (siehe WOZ Nr. 28/15). Die These des französischen Philosophen Bruno Latour, man solle das vom Menschen geschaffene technologische «Monster» lieben lernen, müsse ebenso sehr als «Realitätsflucht» gelten wie der «vollautomatisierte Luxuskommunismus» der Akzelerationist:innen. Die technologische Flucht nach vorn werde den ökologischen «Riss im Stoffwechsel», wie es bei Saito heisst, nur noch vertiefen.

Doch wie sieht Saitos kommunistischer Gegenentwurf aus? Zentral für seine Argumentation ist die These, dass es sich mit Mangel und Überfluss ganz anders verhalte als gemeinhin unterstellt. Knappheit, so Saito, sei die Grundvoraussetzung des Kapitalismus schlechthin, denn solange ein Gut, beispielsweise Wasser, ausreichend für alle zur Verfügung stehe, lasse sich mit ihm kein Geld verdienen. So wie der Kapitalismus historisch durch die gewaltsame Enteignung der Allmenden entstanden sei, gelte es deshalb heute, sich «die Commons zurückzuholen».

Die Definition, wonach der Kommunismus einfach die gesellschaftliche Bewegung ist, die die Gemeingüter stärkt und das ausschliessende Privateigentum zurückdrängt, ist nicht allzu weit entfernt von jenem Sozialismus der Grundversorgung, wie ihn SP-Kopräsident Cédric Wermuth und Gewerkschaftssekretär Beat Ringger in ihrem Buch «Die Service-public-Revolution» propagiert haben. Auch Saito will eine demokratisch selbstverwaltete, gebrauchswertorientierte Wirtschaft, in der weniger gearbeitet wird, Produktionsprozesse demokratisiert sind und die Interessen der Allgemeinheit dominieren.

Wo bleibt die Praxis?

Doch die Frage, wie sich gesellschaftliche Ziele und ökologische Notwendigkeiten konkret zusammenführen lassen, spielt bei Saito eine viel geringere Rolle als bei vergleichbaren Publikationen der europäischen Diskussion. So schreibt der japanische Philosoph beispielsweise, dass uns die «Despotie des Kapitals» zu grenzenlosem Konsum treibe. Doch die unmittelbar daraus folgende politische Frage unterschlägt er: Wie will man Demokratie und die ökologisch gebotene «Selbstbegrenzung» des Konsums unter einen Hut bringen, wenn doch «unsere Bedürfnisse» ganz von den heute herrschenden Verhältnissen geprägt sind?

Das ist denn auch die entscheidende Schwachstelle des Buchs. «Systemsturz» weiss wenig über praktische Politikansätze zu sagen. Im letzten Kapitel verweist Saito zwar auf einige Bewegungen, doch Auswahl und Darstellung der Beispiele wirken eher erratisch. Da werden die baskischen Mondragón-Genossenschaften, die unlängst abgewählte linksalternative Stadtregierung von Barcelona, die mexikanischen Zapatist:innen und die Bäuer:innenorganisation Vía Campesina mehr oder weniger in einem Atemzug abgehandelt.

Am Ende ist «Systemsturz» also doch kein ökokommunistisches Manifest, sondern eher ein freundlicher Aufruf, sich für Gemeingüter, Arbeitsrechte und globale soziale Gerechtigkeit zu engagieren. Doch immerhin: Wer verstehen will, warum ökologische Nachhaltigkeit und Commons untrennbar zusammengehören, wird in Saitos Buch wertvolle und leicht verständlich dargelegte Argumente finden.

Buchcover von «Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus»
Kohei Saito: «Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus». Aus dem Japanischen von Gregor Wakounig. dtv Verlag. München 2023. 320 Seiten. 34 Franken.