Wef 2024: Die Mär vom «nachhaltigen Wachstum»

Nr. 3 –

Die Reichen werden immer reicher, die Klimakrise immer bedrohlicher. Doch das Weltwirtschaftsforum in Davos kennt nichts anderes, als noch mehr wirtschaftliches Wachstum zu predigen.

Protestbild des britischen Schneekünstlers Simon Beck auf der Hochebene Dreibündenstein oberhalb von Chur
«Leben über Wachstum»: Protestbild des britischen Schneekünstlers Simon Beck auf der Hochebene Dreibündenstein oberhalb von Chur. Foto: Emanuel Büchler, Greenpeace

Einen riesigen Stern und weitere geometrische Formen haben Aktivist:innen der Umweltorganisation Greenpeace am Montag in den Schnee auf der Bündner Hochebene Dreibündenstein gestampft. «Life over growth» steht am Rand, «Leben über Wachstum». Das zwei Fussballfelder grosse Bild des britischen Schneekünstlers Simon Beck richtet sich gegen das Wachstumsnarrativ des Weltwirtschaftsforums (Wef) in Davos. Dieses stehe, so Greenpeace, «seit über einem halben Jahrhundert für eine umweltzerstörerische Wirtschaft und weltweit wachsende Ungleichheit».

Tatsächlich: Auch das diesjährige Wef, das vom 15. bis 19. Januar in Davos stattfindet, setzt wirtschaftliches Wachstum als Schwerpunktthema. «Arbeitsplätze und Wachstum für eine neue Ära schaffen», heisst es schwammig wie immer. Nach einem wachstumsschwachen Jahrzehnt soll die Weltwirtschaft wieder stärker zulegen. Doch ist das möglich, ohne die Klimakrise weiter zu beschleunigen? Beim Wef ist man davon überzeugt. Ein weiteres zentrales Thema lautet denn auch «eine langfristige Strategie für Klima, Natur und Energie». Das Wef propagiert einen «grünen Kapitalismus», der einerseits Wachstum generieren und andererseits die Welt sauberer werden lassen soll.

Diesen zur Schau gestellten Optimismus jedoch teilen die 1500 «Experten aus Wissenschaft, Regierungen und Wirtschaft» nicht, die kürzlich im Rahmen des «Global Risk Report» des Wef befragt wurden. In den nächsten zehn Jahren sei infolge der Klimaveränderung mit unabsehbaren Risiken zu rechnen, ist da eine grosse Mehrheit überzeugt; insbesondere extreme Wetterereignisse, ein gefährlicher Wandel in den Erdsystemen, der Verlust von Biodiversität, ein Kollaps des Ökosystems und schwindende natürliche Ressourcen werden dabei genannt. Eine weitere Studie aus dem Umfeld des Wef, die am Dienstag veröffentlicht wurde, geht von 14,5 Millionen Toten und wirtschaftlichen Schäden von 12,5 Billionen US-Dollar bis 2050 aufgrund der Erderwärmung aus. Betroffen würden vor allem schon jetzt besonders verwundbare Personen sein, speziell Frauen, Junge und Senior:innen oder Menschen mit wenig Einkommen.

Greenwashing auf höchstem Niveau

Tatsächlich spricht vieles gegen die Vision eines grünen Kapitalismus: Auch im letzten Jahr ist der globale Treibhausgasausstoss angestiegen, obwohl man seit fünfzig Jahren von der Klimaveränderung weiss – und das Wef immer wieder den baldigen Wandel heraufbeschworen hat. In den reichen Ländern, in denen der Treibhausgasausstoss inzwischen sinkt, geschehe die Abkoppelung vom Wirtschaftswachstum viel zu langsam, schreibt etwa der Umweltwissenschaftler Jason Hickel in der Zeitschrift «Lancet Planetary Health» zum Ergebnis seiner entsprechenden Studie. Das Narrativ vom grünen Wachstum entpuppe sich als «irreführend» und «repräsentiere eine Form von Greenwashing».

Auch der japanische Philosoph Kohei Saito, der mit seinem Bestseller «Systemsturz» (siehe WOZ Nr. 51/22) Aufsehen erregte, hält eine wirksame Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Treibhausgasausstoss für unmöglich. Das heisse nichts anderes, als dass der Kapitalismus an sein Ende gekommen sei. Denn ohne Wachstum würden immer mehr Menschen innerhalb des kapitalistischen Systems in die Armut gestürzt. Kohei fordert deshalb einen «Degrowth-Kommunismus», also ein kollektivistisches Wirtschaftssystem, das auf völlig anderen Werten basiert: Verkürzung der Arbeitszeit, Fokussierung auf systemrelevante Arbeiten etwa im Gesundheits- oder Bildungswesen, weg von einer Wirtschaft, die auf Werbung, Statussymbolen und Marken basiert. Die reichsten zehn Prozent der Menschheit würden fünfzig Prozent der Treibhausgase produzieren – sie müssten sich einschränken.

Fälliger Tabubruch

Auch Greenpeace kommt zu ähnlichen Schlüssen: «Es braucht einen Umbau unserer Institutionen, sodass sie unabhängig von Wachstum funktionieren», sagt Agnes Jezler, Fachexpertin für sozioökonomische Transformation bei der Umweltorganisation. Immer mehr Lebensbereiche sollten dem freien Markt und damit der Wachstumslogik entzogen werden. Statt am Bruttoinlandprodukt sollte man sich an der allgemeinen Zufriedenheit und der Ökologie orientieren, an Fragen, ob Armut abnimmt, Gleichstellung verbessert wird oder auch Wohnungsnot schwindet. «Wir wollen mit der Infragestellung des Wachstumsparadigmas ein Tabu brechen», sagt Jezler. Bislang sei die Diskussion sehr akademisch geprägt – nun gelte es, sie in die Politik und die Zivilgesellschaft zu tragen.

Es braucht wohl auch ein globales Forum, wo über Degrowth debattiert werden kann. Das Wef ist dazu nicht in der Lage. Es wird beherrscht von den Konzernen, für die Wirtschaftswachstum lebenswichtig ist. Kommt dazu, dass zu den Unternehmen, die besonders eng mit dem Wef verbunden sind, auch grosse Ölkonzerne und deren Financiers gehören, die mit ihrem Handeln die Klimakrise besonders verschärfen.

So strickt das Wef weiter an der Mär vom «nachhaltigen Wachstum» – und lässt jene aussen vor, die das infrage stellen. Die Schweizer Behörden helfen dabei mit: Demonstrant:innen gegen das Wef, die die Klimagerechtigkeit ins Zentrum rücken wollen und etwa «Eat the rich» skandierten, wurden durch die Polizei grossräumig vom Kongress abgeschirmt – wie schon die Jahre zuvor.

WOZ Debatte

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Kommentare

Kommentar von Igarulo

Fr., 19.01.2024 - 16:53

Das WEF ist eine Bauchbepinselungsanstalt der multinationalen Konzerne und deren angehängten Politikerinnen zum Erhalt des Profits für eben diese, denn die kennen nichts anderes als die pekuniäre Gier und das Problem des Klimawandels kommt bloss auf ihre Lippen als Posaune für Marketing zwecks mehr Umsatz und Münzen in den eigenen Sack.