Ein Traum der Welt: Schweiss und Strom
Annette Hug fährt durch eine Weltstadt

In einer Reportage zu erzählen, was Taxifahrer:innen erzählen, sei etwas platt. «Un peu bateau», würde man auf Französisch sagen. Aber dies ist keine Reportage, darum erlaube ich mir das «vieux bateau», das alte Schiff.
Am Steuer vieler Taxis in Manila sitzen Heimkehrer aus Übersee: Elektriker, Bauarbeiter, Schiffsköche. Sie können sich auf ihre alten Tage ein Auto leisten und wollen nie mehr einen Chef haben. Lieber eine App, die ihnen zwar Noten gibt, aber umgekehrt bewerten sie auch die Kund:innen. Nie mehr Sklave eines Schichtplans sein, sagt ein Grossvater, der seine Enkelkinder herumchauffiert – zur Schule, zum Sportklub –, und zwischendurch nimmt er Aufträge von der App entgegen. Ich sitze also eine Weile neben ihm, und er erzählt von den Bussen, die in Saudi-Arabien Arbeiter auf die Baustellen fuhren, wobei die Fahrer darum baten, dass die Filipinos zuvorderst sässen, weil sie als einzige jeden Tag ihre Kleider wuschen und wussten, wie man die von Hand wirklich sauber bekommt. Der Grossvater hat eine Rangliste entwickelt: Männergeruch aus Bangladesch, Nepal, Pakistan.
Die App würfelt weiter, in einem anderen Taxi fragt ein anderer Grossvater: «Kannst du dich an den Vater von Assad erinnern? Hafiz al-Assad? Da haben wir das Elektrische installiert. Ein unglaublicher Palast. Wir waren eine saudische Firma, aber eigentlich alles Filipinos. Und wir wissen, wie man das sicher macht. Das habe ich dem Bürgermeister von Manila auf seine Facebook-Seite geschrieben. Im Detail habe ich dargelegt, wie man die Vorschriften hier verbessern müsste und dann auch kontrollieren, damit nicht dauernd Häuser abbrennen. Wenn du aus der Schweiz kommst, dann verstehst du, warum mich das Grauen packt, wenn ich hier die wild verknoteten Leitungen vor den Häusern sehe, dieses Gefotz von alten Telefonkabeln und illegal verzweigtem Strom. Was der Palast in Damaskus alles überstanden hat!»
Vielleicht ist «Schiff» nicht nur Metapher: «Du magst das Leben in der Provinz? Dann kann ich dir verraten, dass ich gar nicht in der Stadt wohne, sondern in Bulacan. Richtig: im Überschwemmungsgebiet. Deshalb habe ich keine Schuhe an, siehst du? Und kurze Hosen, das ist zwar gegen den Dresscode, aber du schreibst das bestimmt nicht in die Bewertung, in Bulacan geht man ja seit Wochen nicht mehr trocken aus dem Haus. Die Möbel sind alle im oberen Stock. Um zum Wagen zu kommen, muss ich in Flip-Flops durchs Parterre waten, Wasser bis zu den Knien. Zum Glück habe ich das Auto richtig geparkt, so kann ich weiter arbeiten und schlafe wenn möglich im Wagen.»
«Schweiz? Ist da nicht dieses runde Ding, dieses Cern? Da würde ich gerne mal hin, da sind nämlich die einzigen Ingenieure, die vielleicht eine Ahnung haben, wie man unser Energieproblem löst. Bisher können nur die Aliens auf ihren Ufos dunkle Materie in Strom umwandeln, deshalb sind sie uns überlegen. Die könnten uns vernichten. Aber bei euch sind sie dem Geheimnis auf der Spur. Weisst du eigentlich, wer das alles bezahlt? Regierungen? Das Energieproblem muss ja bald gelöst werden, nicht nur wegen der Aliens, auch wegen des Klimas. Wir hätten hier Vulkane und Geothermie. Und in der Provinz Albay, wo die Leute für einmal keine Deppen gewählt haben, nutzt man das auch. Kluge Leute an der Regierung, das ist was wert.»
Annette Hug ist Autorin und seit kurzem wieder zurück in der Schweiz.