LGBTIQ+ unter Druck: Mit Hass vom eigenen Versagen ablenken
In Jordanien setzt ein neues Gesetz die LGBTIQ+-Gemeinschaft unter Druck, im Irak wird die Todesstrafe für Homosexuelle diskutiert. In der ganzen Region nimmt die Repression zu.
«Anstiftung zur Unsittlichkeit» ist seit dieser Woche in Jordanien strafbar. Auch schwammige Tatbestände wie die Verbreitung von «Fake News» und die «Untergrabung der nationalen Einheit» fallen unter ein neues Cybercrime-Gesetz, das Onlinebeiträge kriminalisiert. Den Beschuldigten drohen bis zu drei Jahre Haft und Geldbussen bis zu 25 000 Franken. Journalist:innen, Oppositionelle, vor allem aber auch die LGBTIQ+-Gemeinschaft befürchten eine Ausweitung der Repressalien. Zudem bedroht das Gesetz die Möglichkeit, sich anonym im Netz zu bewegen, weil es die Nutzung entsprechender Browser wie Tor verbietet, die oft auch von der queeren Community genutzt werden, um sich mit verdeckter Identität austauschen zu können.
Dabei ist Jordanien eines der wenigen Länder im Nahen Osten, in denen gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht strafbar sind. Allerdings werden sie auch im konservativen Land nicht geduldet. Je sichtbarer die LGBTIQ+-Gemeinschaft in den vergangenen Jahren wurde, desto mehr nahm der Druck auf diese zu. Aktivist:innen berichten von Entführungen durch die Geheimpolizei und dem Zwangsouting bei den Familien.
Als im Juni ein queerer ägyptischer Film in Amman gezeigt werden sollte, wurde die Aufführung auf Druck islamistischer Parlamentarier:innen abgesagt. Seit August blockiert die Regierung den Zugang zu Grindr, einer Dating-App, die von queeren Menschen genutzt wird. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) fürchtet, dass das neue Gesetz dazu genutzt werden könnte, solche Praktiken auszudehnen. Für Menschenrechtsaktivist:innen hat der Backlash einen politischen Grund. Dem Land gehe es wirtschaftlich schlecht, da brauche es einen Sündenbock, um vom Versagen der Politik abzulenken. Zudem finden im nächsten Jahr Parlamentswahlen statt. Der jordanische Ableger der Muslimbruderschaft wirbt für sich, indem er Hass gegen LGBTIQ+-Menschen schürt.
Drohende Hinrichtungen im Irak
Die LGBTIQ+-Gemeinschaft steht in vielen Ländern des Nahen Ostens unter zunehmendem Druck. Im Irak wird derzeit im Parlament gar die Möglichkeit diskutiert, Homosexualität mit dem Tod zu bestrafen. Für Menschenrechtler:innen ist der Zeitpunkt des Vorstosses bewusst gewählt. Denn das ölreiche, aber von Krieg verwüstete Land kämpft mit einer schweren Politik- und Wirtschaftskrise.
Im Oktober 2019 entstand dort eine Protestbewegung: Mehrere Monate lang demonstrierten Hunderttausende gegen die steigende Arbeitslosigkeit, gegen Korruption und mangelnde Demokratie. Nur durch Repression und Coronaeinschränkungen konnten die Proteste unterdrückt werden. Vergangenes Jahr gingen Tausende auf die Strassen, um den dritten Jahrestag der Demonstrationen zu begehen. Nun fürchten die Machthaber, dass es im kommenden Oktober wieder zu Ausschreitungen kommt.
Zwar steht im Irak gleichgeschlechtlicher Sex offiziell nicht unter Strafe. Die Behörden nutzen aber das Gesetz gegen Prostitution, um trotzdem Strafen zu verhängen. Eine im vergangenen Jahr von HRW veröffentlichte Untersuchung kam ausserdem zum Ergebnis, dass staatlich unterstützte bewaffnete Gruppen LGBTIQ+-Menschen entführen, vergewaltigen, foltern und töten. Im März 2020 bezeichnete der einflussreiche schiitische Geistliche Muktada al-Sadr gleichgeschlechtliche Ehen als einen der Gründe für die Ausbreitung des Coronavirus.
Hetze im Libanon und in der Türkei
Der Libanon galt bislang als tolerant gegenüber der LGBTIQ+-Gemeinde. Doch auch hier ist die Community in den vergangenen Monaten zunehmend ins Visier der Politik geraten. Auch der Libanon befindet sich in einer Wirtschaftskrise. Während die Politiker:innen untereinander zerstritten sind, sind sich die politische und die religiöse Führung des Landes in ihrem Hass gegenüber der LGBTIQ+-Community einig. Laut einem Artikel im Strafgesetzbuch sind hier sexuelle Beziehungen verboten, die «den Gesetzen der Natur zuwiderlaufen». Dieser Artikel wird häufig gegen Homosexuelle angewendet.
Als im Juli einige Parlamentarier:innen die Abschaffung des Artikels forderten, zogen sie damit die Wut der Mehrheit der Abgeordneten auf sich. Hassan Nasrallah, Chef der islamistischen Hisbollah, rief dazu auf, für homosexuelle Menschen die Todesstrafe einzuführen. Ein sunnitischer Abgeordneter kündigte einen Gesetzesentwurf an, der jeden Versuch, Homosexualität zu legalisieren, unter Strafe stellen soll.
Auch für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist die Abkürzung LGBTIQ+ ein Kampfbegriff. Je länger sich das Land in einer schweren Wirtschaftskrise befindet, desto häufiger wird gegen die Community gehetzt. So gingen 2022 nach einem Kesseltreiben der Regierung in mehreren türkischen Städten Menschen auf die Strasse, um ein Verbot «schwuler Propaganda» zu fordern. «Diese Nation hat keine LGBT», sagte Erdoğan kurz vor den Präsidentschaftswahlen im Mai und konnte mit dieser Rhetorik bei den religiös-konservativen Wähler:innen punkten.