Auf allen Kanälen: Die Kräfte bündeln
Gefährliche Spaltungen: Angesichts drohender Pleiten müssen sich die linken Medien in Deutschland unbequemen Fragen stellen.
Zwei Nachrichten standen zuletzt unangenehm nebeneinander: Die «Weltwoche» macht es der NZZ nach und expandiert nach Deutschland, mit einem extra für den grossen Kanton produzierten E-Paper und einem von Roger Köppel in grauenhaftem Akzent eingesprochenen täglichen Podcast. Gleichzeitig ist wieder ein fortschrittliches deutsches Medium ins Straucheln geraten, diesmal das Magazin «Katapult», das mit lustigen Infografiken und dem Versuch bekannt wurde, im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern der Rechten medial etwas entgegenzuhalten. Davor mussten schon das feministische «Missy Magazine» und andere linke Publikationen Spendensammlungen starten, auch um gestiegene Papierkosten auszugleichen.
Die jüngste Krise linker Medien ist deshalb so beunruhigend, weil in Deutschland gerade finanzkräftige rechte Medienprojekte entstehen, etwa das vom CDU-nahen Milliardär Frank Gotthardt finanzierte Onlineportal «Nius» unter der Leitung des Ex-«Bild»-Chefs Julian Reichelt, das eine klare Linie verfolgt: gegen «Transaktivismus», «Coronadiktatur» und «grossen Austausch». So wie die Rechten in Deutschland mit der AfD eine neue Partei gründeten, statt die etablierte konservative CDU zu übernehmen, versuchen sie, mit der Schaffung einer rechten Gegenöffentlichkeit von aussen den Diskurs zu bestimmen.
Wie im Fieberwahn
In der Schweiz haben bekanntlich rechte Kräfte erfolgreich eine gegenteilige Strategie verfolgt: Hier griffen sie die bürgerliche Mitte von innen an. Erst übernahm der rechte Flügel die davor gemässigtere Bauernpartei SVP, dann, bewaffnet mit Christoph Blochers Milliarden, linksliberale Traditionspublikationen wie die «Weltwoche» und die «Basler Zeitung», um sie in Propagandablätter zu verwandeln, die gegen Migration, Gleichstellung und Linke hetzen. Superspreader aus dem Hause «Weltwoche» finden sich heute in anderen Redaktionen, Themen und Duktus aus dieser Ecke haben andere Publikationen angesteckt: Auch ehemals liberale Blätter wie «Tages-Anzeiger» und NZZ schreiben mittlerweile wie im Fieberwahn gegen «Wokeness» an.
Auch die deutsche Linke hatte seit den Siebzigern die Strategie der Neugründung und der Schaffung einer Gegenöffentlichkeit verfolgt – anstelle des Versuchs, Institutionen zu entern und von innen zu verändern. Auch weil der «Marsch durch die Institutionen» oft vor allem die Marschierenden verändert hat. Heute aber erleben wir womöglich die Krise dieses Modells – und die linken deutschen Medien müssen einen schonungslosen Blick in den Spiegel wagen: Warum haben sie so wenige Leser:innen? Warum überzeugen sie als Produkte so wenig? Das Satireblatt «Titanic» etwa, das gerade die drohende Zahlungsunfähigkeit vermeldet hat, hat nur noch eine verkaufte Auflage von 15 000 Exemplaren – und das in einem Markt von 80 Millionen Menschen.
Glücklicherweise gibt es zwar drei linke Tageszeitungen, was aber auch zeigt, wie fragmentiert die deutsche Linke ist. Die grün-linksliberale «taz», das progressiv-sozialistische «nd» und die altstalinistische «Junge Welt» sind sich spinnefeind. Von Letzterer spaltete sich zudem in den Neunzigern die «Jungle World» ab: Der Wochenzeitung geht es heute auch nicht rosig, und sie steht mit fast allen anderen Medien links der Mitte auf Kriegsfuss. Angesichts der Bedrohung von rechts wirken diese Spaltungen gefährlich. Das «nd» musste erst vor einigen Monaten ebenfalls eine Rettungsaktion starten, auch weil die angestammte ostdeutsche Leserschaft wegstirbt.
Wie wärs mit gemeinsamem Verlag?
Der Finanzstärke kapitalfreundlicher Kräfte hatten Linke noch nie viel entgegenzusetzen. Alles, was sie haben, ist einander. Warum also nicht die Kräfte bündeln? Meinungspluralität und innerlinke Debatten könnte man auch mit einem gemeinsamen Verlag gewährleisten. Dieser würde Synergien schaffen bei Anzeigenwerbung, Druckkosten, Administration und nebenher Artikeltausch ermöglichen.
Immerhin: «Katapult» wurde in Rekordzeit mit bizarren Spendenaktionen wie dem Verkauf von Grashalmen gerettet. Andere Publikationen bieten aber eindeutig mehr: Für Leser:innen auch in der Schweiz interessant sind vor allem das aufwendig produzierte «Jacobin», der deutsche Ableger des sozialistischen US-Magazins, und «Analyse und Kritik», das oft internationale Debatten aufgreift. Abos linker Medien bieten das beste Gegenmittel gegen die rechte Diskurskaperung.