Repression: «Unnötige» Überwachung

Nr. 38 –

Ein Farbanschlag auf die Credit Suisse vor drei Jahren löste bei der Zürcher Staatsanwaltschaft einen gewaltigen Ermittlungseifer aus. Diese Woche standen zwei Beschuldigte vor Gericht.

vermummte Personen rennen nach einem Farbanschlag am 1. Mai 2020 am Zürcher Rigiplatz davon
Farbe, Bank, Anschlag: 1. Mai 2020 am Zürcher Rigiplatz. Screenshot: Youtube

Die Pandemie ist am 1. Mai 2020 erst wenige Monate alt. Die Demonstration in Zürich fällt aus, die Gewerkschaften rufen dazu auf, von den Balkonen aus Lärm zu machen. Eine Gruppe Vermummter setzt stattdessen auf eine andere, aus epidemiologischer Sicht einwandfreie Aktionsform und wirft mit Farbe gefüllte Bierflaschen auf eine Niederlassung der Credit Suisse (CS) im Zürcher Kreis 6.

Wenig später verhaftet die Polizei zwei Aktivisten, damals 20 und 21 Jahre alt. Bei der Festnahme werden unter anderem Einweghandschuhe sichergestellt, auf ihrer Kleidung finden sich Farbspuren. Für ein Urteil reichen diese Indizien noch nicht, also setzt die Zürcher Staatsanwaltschaft eine gewaltige Untersuchung in Gang – als wäre sie einer terroristischen Verschwörung auf der Spur.

In Widersprüche verheddert

Nach ihrer Festnahme werden die beiden Beschuldigten sogleich in Untersuchungshaft genommen, wo sie zwanzig Tage verbringen. Ermittler:innen durchsuchen ihre Wohnungen, beschlagnahmen Telefone, Laptops und Festplatten. Das Ergebnis der Auswertung: Die beiden Aktivisten seien der «linksextremen Szene» zugehörig.

Mit der Freilassung aus der Untersuchungshaft veranlasst die Staatsanwaltschaft sowohl Echtzeit-Telefonüberwachung als auch Observationen. Während der Gerichtsverhandlung diese Woche in Zürich zitiert der Staatsanwalt etwa aus einem Telefonat, das einer der Beschuldigten mit seinem Vater geführt hat. Wie lange die Observation tatsächlich dauerte, bleibt bis heute unklar. Angeblich nur einen Tag lang, behauptet die Staatsanwaltschaft. Das stehe laut einem der zwei Strafverteidiger aber im Widerspruch zu einem Abschlussbericht, der sich in den Verfahrensakten befinde.

Der Verteidiger stellt in seinem Plädoyer direkt infrage, dass es bei der Überwachung tatsächlich nur darum ging, den Farbanschlag auf die CS aufzuklären. Es entstehe der Eindruck, «dass die Strafverfolger mit den verdeckten Überwachungsmassnahmen weniger auf die Aufklärung der vorliegenden zu beurteilenden Straftat als auf die Überwachung einer politischen Szene zielten», sagt er. Für den jetzigen Prozess selbst sind die Erkenntnisse aus der weitreichenden Überwachung jedenfalls unerheblich. Der Staatsanwalt kann damit lediglich belegen, dass die Beschuldigten einander persönlich kennen.

Den Vorwurf, seine Untersuchungsbemühungen seien politisch motiviert gewesen, vermag der Staatsanwalt nicht zu entkräften. Vielmehr stellt er in seinem Plädoyer Reflexionen über die Gesinnung der «Linksextremen» an. Er befindet etwa, dass es manchen von ihnen gar nicht um die Sache gehe, «sondern nur um eins: Krawall». Er betont, dass es sich beim Farbanschlag nicht um einen isolierten Vorfall handle, sondern dass das Vorgehen System habe. Und er sinniert, dass «für die Linksextremen die Banken stellvertretend für den ganzen Kapitalismus stehen» – als ob diese Haltung schon strafbar wäre.

Grosser Schaden

Die Kosten des Verfahrens, die die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten auferlegen wollte, belaufen sich auf über 37 000 Franken. Die Untersuchung dürfte damit deutlich mehr Kosten verursacht haben als der Farbanschlag. Die Staatsanwaltschaft forderte für die beiden Beschuldigten ausserdem je sechzehn Monate Haft. Und sie sollen die Bank entschädigen – zuzüglich fünf Prozent Zinsen. Die CS berechnet für die Fensterscheiben, die beim Anschlag kaputtgingen, und die Reinigung der Fassade fast 50 000 Franken. Dem Prozess bleibt die Bank allerdings fern. Auf Anfrage versichert eine Mediensprecherin – ohne sich zitieren lassen zu wollen –, dass der Schaden tatsächlich massiv gewesen sei.

Laut Strafgesetzbuch erhöht sich das Strafmass erheblich, wenn die Sachbeschädigung einen – so der schwammige Wortlaut – «grossen Schaden» verursacht hat. Und nur wenn der eingetreten ist, handelt es sich bei der Sachbeschädigung überhaupt um ein Delikt, das die Staatsanwaltschaft von sich aus verfolgen kann.

Ausschlaggebend ist ein Urteil des Bundesgerichts von 2010. Darin kommt dieses zum Schluss, es sei «sachgerecht, einen Schaden von mindestens 10 000 Franken als gross» zu bezeichnen. Aber auch: «Ob bei geschädigten natürlichen oder juristischen Personen auch auf deren finanzielle Verhältnisse abzustellen ist, kann offenbleiben.» Die finanziellen Verhältnisse der Credit Suisse sind hinreichend bekannt. Sind ein paar kaputte Fensterscheiben für den ehemaligen Milliardenkonzern wirklich ein grosser Schaden?

Das Gericht folgt der Staatsanwaltschaft schliesslich in seinem Urteil nur teilweise. Zwar spricht der Richter die beiden Aktivisten der Sachbeschädigung mit grossem Schaden schuldig, er verhängt aber nur eine Geldstrafe, und auch die Kosten für die Überwachung erlässt er ihnen, weil sie «unnötig» gewesen sei. Für eine allfällige Entschädigung verweist das Gericht die CS auf den zivilgerichtlichen Weg. In einem Punkt behält der Staatsanwalt aber zweifellos recht: In einer Prozesserklärung, die die beiden Beschuldigten am Ende der Verhandlung vorlesen, kritisieren sie die Banken als «Herzkammern des Kapitalismus».