Auf allen Kanälen: Wie eine Bombe

Nr. 39 –

Einmal mehr streicht die Tamedia Stellen. Vor allem für die Westschweizer Medienlandschaft ist die jüngste Entlassungswelle verheerend.

Grafik: zerbrochenes X des TX Group Logos

Wieder gibt es Kundgebungen vor dem Westschweizer Sitz der Tamedia* in Lausanne: Entlassungswellen in der Tour Edipresse sind zu einer entwürdigenden Betriebsroutine geworden, so auch am 20. September, als die Tamedia, die zur TX Group gehört, den Abbau von zehn Prozent der Belegschaft in der Romandie bekannt gab. Sogar die Transparente der Mediengewerkschaften haben sich seit den letzten Sparrunden nicht verändert, lediglich die Anzahl der gestrichenen Stellen wird noch angepasst. Wer versteht, was in der Westschweiz medienpolitisch geschieht, dürfte schwarzsehen für die Zukunft des gesamtschweizerischen Medienmarkts.

Zwar wurden dieses Jahr bei der Tamedia Stellenstreichungen in der Deutschweiz und der Romandie angekündigt, doch sind die medienpolitischen Rahmenbedingungen unterschiedlich. Die Tamedia hat in der Westschweiz einen viel grösseren Anteil am Leser:innenmarkt als in der Deutschschweiz: Sie stellt mit der (mittlerweile extrem ausgedünnten) «Tribune de Genève» und «24 heures» die einzigen Tageszeitungen der beiden einwohnerstärksten Kantone der Romandie. Die Streichung von 28 Posten oder zehn Prozent der Belegschaft schlägt hier also ein wie eine Bombe, denn die Leser:innen können kaum auf andere Angebote ausweichen. Von Zürcher Verhältnissen mit einer noch akzeptablen Medienvielfalt kann man in der über eine Million Einwohner:innen zählenden Genferseeregion nur träumen.

Das Know-how fehlt

Auch die beiden überregionalen Tageszeitungen, der linke «Courrier» und die wirtschaftsfreundliche «Le Temps», haben schwer zu kämpfen. Während sich Erstere seit Jahren mit Spendenaktionen über Wasser hält, hat die zweite im August bekannt gegeben, drei Stellen einsparen zu wollen. Zudem sind fast alle unabhängigen Medienexperimente, die in den vergangenen Jahren lanciert wurden, gescheitert. Ein Grund sind die geringe Marktgrösse und die journalistisch starke Konkurrenz aus Frankreich, doch fehlt es primär an Know-how, Netzwerken und Mäzenat:innentum. Man ist es in Genf und Lausanne mittlerweile gewohnt, dass hiesige Politskandale erst durch Korrespondent:innen von Deutschschweizer Titeln publik gemacht werden – eine gesunde Öffentlichkeit sieht anders aus.

Jahrelang hat die TX Group die Werbemärkte von ihren Medientiteln abgekoppelt und so den Profit maximiert. Aktuell versucht sie, mit einem halbgaren Gesetzesentwurf zum Leistungsschutzrecht die Politik davon abzulenken, dass sie die Querfinanzierung der Medien vor Jahren eingestellt hat. Denn die TX Group ist höchst profitabel – und gemäss betriebswirtschaftlicher Logik stösst sie die Branchen ab, die sie eben davon abhalten, weiterhin Riesendividenden auszuzahlen.

Die Bundespolitik ist gefragt

In ihrer Argumentation lässt die TX Group einen Aspekt unter den Tisch fallen: Private Medien waren ohne den Werbemarkt noch nie profitabel. Die Schweiz hat sich zu lange der Illusion hingegeben, dass die Konzerne ihre mediale Öffentlichkeit schon irgendwie bereitstellen würden, und hat dabei ökonomische Entwicklungen verpasst, die dazu führen, dass es nicht mehr bloss um die Medienqualität geht, sondern darum, ob es die grössten Privatmedien in einigen Jahren überhaupt noch geben wird.

Fatal ist, dass es trotzdem immer noch keinen Konsens darüber gibt, dass politischer Handlungsbedarf besteht. Als könnte man das Mediensterben einfach aussitzen. Zwar haben mehrere Kantone Massnahmen zur Medienförderung beschlossen, doch diese werden überregionalem Journalismus kaum zugutekommen. Jetzt ist die Bundespolitik gefragt. Das Nein zum Medienpaket aus dem vergangenen Jahr darf da keine Ausrede sein. Denn es sind die rechten Medienmäzene, die ungeduldig darauf warten, sich auf leer gefegten Märkten zu entfalten.

Die Schweiz braucht für ihre mediale Öffentlichkeit neue Finanzierungslösungen. Denn sonst droht im ganzen Land das, was das welsche Komikerduo Vincent Veillon und Vincent Kucholl in einem bitterbösen und schmerzlich realistischen Sketch vor ein paar Tagen gesagt hat: «In ein paar Jahren sind wir gerade noch genug Journalisten für einen Newsletter mit Todesanzeigen, einer dummen Umfrage und ein paar Ausgehtipps.»

Olga Baranova ist Geschäftsleiterin der zivilgesellschaftlichen Oganisation CH++.

*Präzisierung vom 29.9.2023: Auf Bitte eines Tamedia-Mediensprechers haben wir an einigen Stellen dieses Textes «TX Group» mit «Tamedia» ersetzt. Tamedia ist ein Unternehmen der TX Group.