Auf allen Kanälen: Alles freiwillig
Tamedia verkauft eine Entlassungswelle als «Freiwilligenprogramm» – und zeigt sich «überwältigt» von der «Solidarität» der Mitarbeiter:innen.

Die Meldung von letzter Woche klang positiv: Tamedia gab bekannt, dass die im Hochsommer angekündigte Entlassungswelle (siehe WOZ Nr. 35/24) in den Redaktionen deutlich kleiner ausfallen werde als angekündigt. Statt 90 Vollzeitstellen abzubauen, werde der grösste Schweizer Medienverlag, der im Besitz der TX Group ist, nach dem Ende eines «Konsultationsverfahrens» noch 17 Kündigungen aussprechen. Wie sich auf Nachfrage der WOZ nun herausstellt, ist dies nicht korrekt. Tatsächlich streicht Tamedia 17 Vollzeitstellen, die Anzahl der Kündigungen ist mit 25 deutlich höher.
Unter dem Strich entlässt Tamedia dennoch weniger Leute als verkündet. Zunächst konnte die Anzahl durch «interne Wechsel und Fluktuationen» auf 55 Vollzeitstellen reduziert werden, den Rest erledigt ein «Freiwilligenprogramm». Damit ist gemeint, dass Personen «freiwillig durch Kündigung oder Frühpensionierung austreten» oder ihr Pensum reduzieren. So steht es in einem internen Schreiben, das der WOZ vorliegt.
Keine Perspektive mehr
Zynisch ist nicht nur die Begriffswahl, der Aufruf zur Selbstkündigung irritiert auch mit einem flippigen Start-up-Groove: Die vorzeitige Pensionierung wird mit einer Strichfigur dargestellt, die in einem Schaukelstuhl fläzt, die Freiwilligkeit mit «Daumen hoch»- und «Handshake»-Symbolen. Es wirkt, als wäre der Personalabbau für die Chefetage eine vergnügliche Lappalie. Im internen «CEO-Newsletter» schrieb Tamedia-Chefin Jessica Peppel-Schulz: «Das Interesse am angebotenen Freiwilligenprogramm und die Solidarität haben uns überwältigt.»
Offenkundig sehen viele Journalist:innen auf den Redaktionen von Tamedia – darunter gerade hochqualifizierte, wie mehrere Quellen unabhängig voneinander bestätigen – keine erträgliche Perspektive mehr im Unternehmen. Die Unsicherheit in der Belegschaft sei riesig. Die Geschäftsleitung will das nicht wahrhaben. Die «Gespräche und Austausche waren von Vertrauen und Respekt geprägt», die Mitarbeitenden hätten «den Anstoss unserer umfassenden Transformation und der folgenden volatilen Situation sehr solidarisch und immer mit konstruktivem Feedback aufgenommen», heisst es in der offiziellen Tamedia-Pressemitteilung von letzter Woche.
Aus dem Kreis der Mitarbeiter:innen klingt es ganz anders. Der WOZ liegt ein Protestbrief «im Namen der Tamedia-Redaktionen» an den Verwaltungsrat der TX Group und die Geschäftsleitung von Tamedia vor. Durch einen solch «drastischen Abbau» drohe die Schweizer Demokratie Schaden zu nehmen, heisst es darin. Die in der ganzen Schweiz vertretenen Tamedia-Titel würden einen «wichtigen Beitrag zur journalistischen Grundversorgung im ganzen Land leisten. Doch das Schrumpfen und Zusammenstreichen dieser Redaktionen gefährdet die Vielfalt und Qualität der Berichterstattung.»
Wie die WOZ weiter in Erfahrung bringen konnte, sind diverse Forderungen aus der Belegschaft an die Geschäftsleitung herangetragen worden, die mehrheitlich abgeschmettert wurden, etwa ein Moratorium für den Stellenabbau bis Ende 2025 oder ein entschiedenes Vorgehen gegen die bereits bestehende und künftig vermehrt drohende Arbeitsbelastung. Auch die Forderung nach einer Offenlegung der Geschäftszahlen, um die Vorgänge und Massnahmen besser einordnen zu können, stiess auf Ablehnung.
Politischer Druck
In der Romandie, wo Tamedia den mit Abstand wichtigsten Verlag stellt, ist die Lage noch gravierender. Dort gab es in den letzten Jahren bereits mehrere Entlassungswellen (siehe WOZ Nr. 37/24). Mittlerweile sind Zeitungen wie «24 heures» und die «Tribune de Genève» nicht mehr in der Lage, ohne übersetzte Artikel aus der Deutschschweiz eine Komplettzeitung herauszugeben. «Damit wird Tamedia Suisse romande zum Anhängsel der Deutschschweiz. Das ist in einem mehrsprachigen Land ein Affront und ein politisches Problem», sagte kürzlich der renommierte Ex-«Tages-Anzeiger»-Journalist Markus Häfliger in einem Interview mit dem Branchenmagazin «Schweizer Journalist».
In der Romandie ist denn auch der politische Druck auf Tamedia deutlich höher als in der Deutschschweiz. Die Genfer FDP-Regierungsrätin Nathalie Fontanet etwa fordert Tamedia öffentlich auf, die «Tribune de Genève» zu verkaufen oder gar kostenlos abzugeben.