Gianni Vattimo (1936–2023): Philosoph und Kathokommunist

Nr. 39 –

Die konservative Mailänder Tageszeitung «Corriere della Sera» widmete ihm gleich mehrere Nachrufe. Überaus intelligent sei der Verstorbene gewesen, humorvoll, gutmütig, aber auch melancholisch und sarkastisch.

Als Sohn eines kalabrischen Polizisten und einer Hausfrau in Turin geboren, schaffte Gianni Vattimo den Aufstieg zum gefeierten Intellektuellen. Der Promotion über Aristoteles folgte 1963 die Habilitation über Martin Heidegger, der – neben Friedrich Nietzsche – für Vattimo der dauerhafteste philosophische Einfluss blieb.

Nietzsches Diktum «Gott ist tot» interpretierte er auf seine Weise, wie sein Freund Maurizio Ferraris schreibt: «Nach dem Tod des einzigen Gottes tritt an dessen Stelle ein Polytheismus der Werte, und das führt die säkularisierte Menschheit nicht notwendigerweise in die Katastrophe.»

Auch ohne an Gott zu glauben, bekannte sich Vattimo zum Katholizismus – obwohl er als offen Schwuler für die Kirche ein Sünder war und als radikaler Linker ein Feind. 1976 kandidierte er auf der Liste revolutionärer Homosexueller (Fuori) bei der Parlamentswahl. Während einer Solidaritätsaktion vor dem Tor von Fiat wurde er festgenommen, als er über Megafon aus der Bibel vorlas. Vattimo war ein Mensch voller Widersprüche, undogmatisch, offen für unterschiedliche Einflüsse und auch bereit, als Abgeordneter im Europäischen Parlament «Realpolitik» zu betreiben: zunächst für die postkommunistischen Linksdemokrat:innen (DS), dann für die Partei «Italien der Werte» des Korruptionsermittlers Antonio Di Pietro.

Spuren hinterlässt er vor allem als Philosoph. Sein Konzept des «schwachen Denkens» (pensiero debole) richtete sich gegen die «grosse Erzählung» und allzu ambitionierte politische Projekte. Es war aber zugleich ein Denken für die Schwachen. 2009 erschien sein Buch «Wie werde ich Kommunist» (ohne Fragezeichen). Darin bekennt er sich zu einem – leider immer noch nicht realisierten – politischen Projekt: Es bestehe darin, «die Rechte und ihre gegen die Freiheit gerichteten Gesetze zu zerschlagen. Danach sehen wir weiter.»